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Radebeul gehen die Arbeitskräfte aus

Wegen des Geburtenknicks nach der Wende gibt es zu wenig junge Leute, die Jobs in der Stadt übernehmen. Der OB warnt vor einer dramatischen Entwicklung.

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© Norbert Millauer

Von Nina Schirmer

Radebeul. René Schlimpert passt an diesem Nachmittag auf eine Kinderschar auf. Eigentlich gehört das nicht zu den Aufgaben des Leiters vom Lößnitzer Kinderland. Der Chef hat normalerweise keinen Gruppendienst. Doch weil seine Mitarbeiterinnen in Elterngespräche müssen, übernimmt er ihre Arbeit. Jemand anderes ist in der Kita der Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen auch gar nicht zusätzlich verfügbar. Erst recht nicht in den Ferien und bei hohem Krankenstand. So wie in dem Kindergarten sieht es in vielen Branchen aus. Weniger Mitarbeiter müssen immer mehr Arbeit übernehmen. Mancherorts ist die Personalnot so groß, dass ein normaler Betrieb gar nicht mehr möglich ist. Gaststätten zum Beispiel führen Schließtage ein, weil sie nicht genügend Leute finden.

Diese Entwicklung werde noch dramatisch zunehmen, warnt Radebeuls Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) und legt Zahlen vor. Demnach fehlen in den nächsten 30 Jahren weit über 5 000 potenzielle Arbeitskräfte in der Stadt. Das heißt, dass bis zu 40 Prozent der jetzigen Stellen nicht besetzt werden können. Schlicht, weil es dafür gar keine Leute gibt, so Wendsche.

Entscheidender Grund dafür sei der Geburtenknick nach der Wende. 1993 zum Beispiel kamen in Radebeul nur 142 Kinder zur Welt. 1989 waren es noch 340. Der Einschnitt sei sogar größer als der Geburtenrückgang in den Nachkriegsjahren, so der OB. Die schwachen Nachwendejahrgänge treten jetzt ins Berufsleben ein.

Während besonders starke Jahrgänge der 50er- und 60er-Jahre nach und nach in Rente gehen oder schon sind. Pro Jahr scheiden bereits jetzt in Radebeul über 500 Personen aus dem Berufsleben aus. Demgegenüber stehen nur rund 200 Radebeuler, die frisch mit arbeiten anfangen. Davon gehen der Stadt aber auch noch rund 20 Prozent verloren, die für Ausbildung oder Studium wegziehen. Für den Oberbürgermeister steht fest: In Radebeul und Ostdeutschland insgesamt gibt es nicht in erster Linie den so oft zitierten Fachkräftemangel. Der richtige Ausdruck für diese Region sei Arbeitskräftemangel. Verfügbare Leute fehlen, von einer fachlichen Qualifizierung noch ganz abgesehen.

Im Lößnitzer Kinderland ist das auch schon spürbar, sagt Leiter Schlimpert. Es gibt weniger Bewerber für freie Stellen. Noch hinzu komme, dass der sächsische Betreuungsschlüssel für Kitas Urlaubstage, Krankenausfall und Weiterbildungen nicht berücksichtige. Die Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen suche ständig nach pädagogischen Fachkräften, weil für die Kinderzahlen zu wenige Erzieher auf dem Markt seien, sagt auch Geschäftsführer Sven Krell. Im Bereich der Altenpflege und Therapie sei der Markt ebenfalls hart umkämpft. „In der ambulanten Pflege wirkt sich die problematische Situation unter anderem so aus, dass wir zurzeit nur sehr begrenzt neue Patienten aufnehmen können“, so der Geschäftsführer.

Wie viele andere Unternehmen auch, versucht die Volkssolidarität, sich als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Zum Beispiel, in dem sie ausgebildeten Pflegefachkräften eine Startprämie von 1 000 Euro zahlt. Für die Mitarbeiter gibt es unter anderem Erholungsbeihilfe, eine betriebliche Gesundheitsvorsorge und eine Altersvorsorge, die der Arbeitgeber finanziert. Azubis bekommen einen Zuschuss zum Führerschein. Alles in der Hoffnung, geeignete Leute zu finden.

Noch gibt es in Radebeul eine stabile Geburtenzahl. Im Durchschnitt kommen 307 Kinder pro Jahr zur Welt. Der Bürgermeister geht aber davon aus, dass sich die Zahl der Geburten in den nächsten acht Jahren um nahezu ein Viertel reduzieren wird. Ganz einfach deshalb, weil es auch weniger potenzielle Mütter gibt. Auf Arbeitslose könne die Stadt auch so gut wie nicht zurückgreifen, so Wendsche. Selbst mit einem vollständigen Abbau der Arbeitslosigkeit könnte die Lücke nur zu 25 Prozent geschlossen werden. Ein Wanderungsausgleich innerhalb von Sachsen hält er ebenfalls für unmöglich. In anderen Regionen sei die Lage noch dramatischer.

Eine Lösung für das Problem habe er auch nicht parat, sagte das Stadtoberhaupt. Die Augen dürfte man deshalb vor der Entwicklung aber nicht verschließen. Für Radebeul gebe es eine entscheidende Zukunftsversicherung und das sei ein positiver Zuzug. Die Stadt müsse deshalb umso attraktiver für junge Familien gemacht werden, so der OB.