„Das eigene Haus ist noch wertvoller geworden“

Meißen/Radebeul. Im Frühjahr 2020 sagte der vom Land Sachsen bestätigte Gutachter und Makler Jens Beck aus Radebeul für das Covid-Jahr teils drastische Veränderungen am Immobilienmarkt voraus, wie etwa mögliche Notverkäufe und dämpfende Wirkung der Mietsteigerungen. Was ist davon wirklich passiert in der Region Dresden, Radebeul, Coswig und bis Meißen.
Herr Beck, nahezu jeder, der sich im Netz für Immobilien interessiert, bekommt derzeit Mails mit dem Angebot, seine Immobilie bewerten zu lassen. Was halten Sie davon?
Es gibt ein Portal, das heißt Scoperty. Dort hat man sich die Mühe gemacht, mit einem Bewertungsprogramm anhand ganz weniger Eingangsgrößen wie Lage, Grundstücksgröße, bebaute Fläche Werte einzuschätzen. Für annähernd jedes bebaute Grundstück in Deutschland. Mit so wenig Daten kann das jeder machen.
Ist das nicht gut für den Makler? Oder bootet es ihn gar aus?
Es ist nicht gut genug, aber ein spannender Ansatz. Ein Beispiel: Ein Haus in Altkötzschenbroda bekommt einen Wert zugeordnet, der aussagt, dass die Immobilie 375.000 bis 563.000 Euro wert sei. Die Friedensburg wird mit 400.000 bis 800.000 Euro bewertet. Was sind denn das für Werte und Spannen, frage ich mich. Bei der Friedensburg ist es sofort ersichtlich weit weg von der Realität. Mitunter sind auch feste Preise ausgewiesen, ohne Spannen. Manche Verkaufswillige werden möglicherweise ihre Immobilie verramschen, weil sie denken, mehr sei sie ja nicht wert. Andere haben wiederum viel zu hohe Erwartungen und kriegen sie dann nicht los. Bei diesem Portal wird auf Mängel und Schäden kein Bezug genommen. Es steht nicht drin, wie viele Haushalte in der Immobilie leben. Es ist eine ganz grobe Einschätzung.
Immobilie und Corona - ist es eingetreten, dass die Pandemie den Markt durcheinandergerüttelt hat?
Wir stellen jetzt fest, dass sich die Corona-Krise nicht so schlimm ausgewirkt hat, wie im Frühjahr 2020 vermutet. Die Preise sind relativ stabil. In manchen Bereichen steigen sie sogar leicht, bei Baugrundstücken, Einfamilienhäusern, aber mittlerweile auch bei Eigentumswohnungen. Für Letztere ist Radebeul, Coswig, Weinböhla, Moritzburg kein klassischer Markt. Aber auch hier kommen wir bei Neubauten in den Bereich von 4.000 bis 5.000 Euro je Quadratmeter. Gebrauchte Wohnungen liegen im Preis bei 2.500 bis 3.000 Euro je Quadratmeter.

Was hat Corona für Bauwillige verändert?
Wir bemerken in der Nachfrage, dass eine Reihe von Leuten, junge Familien, in Kurzarbeit sind und jetzt keine Finanzierung bekommen. Wer in Kurzarbeit ist, wird nicht finanziert. Das sind mittlerweile viele, die bei der Bank eine Absage bekommen.
Wie viel macht das am Anteil der Kaufwilligen aus?
Etwa zehn bis 20 Prozent.
Sie müssen als Gutachter auch für städtische und staatliche Immobilien in Sachsen den Weitblick bewahren. Wird sich die große Staatsverschuldung aus Corona auswirken?
Was wir merken, ist, dass über Inflationsgefahren in Fachkreisen zunehmend gesprochen wird. Das kann sich auf die Zinsen auswirken. Denn damit könnte der Inflation entgegengewirkt werden. Wenn der Leitzins steigt, werden auch die Finanzierungszinsen steigen. Derzeit beträgt der Zins ungefähr ein Prozent. Wenn es nur auf zwei Prozent gehen würde, wäre das eine Steigerung um 100 Prozent. Allerdings wäre das immer noch niedrig. Der durchschnittliche Zinssatz der letzten 40 Jahre liegt bei 6,4 Prozent. Aufgrund der hohen Kaufpreise und der derzeit niedrigen Zinsen stricken viele ihren Kauf mit der heißen Nadel. Diese fallen bei steigenden Zinsen dann raus. Das muss nicht kommen. Aber es ist ein Szenario, welches gerade die Runde macht.
Die Flucht in Sachwerte. Hat das Corona noch beschleunigt, oder behält man lieber sein Geld?
Die Suche nach einer Immobilie, zur eigenen Nutzung oder zum Geld sicher anlegen, hat noch weiter zugenommen. Manche haben auch Sorge, um die Geldwertstabilität des Euro. Das halte ich für unbegründet, aber die Sorge besteht. Fazit: Das eigene, wenn auch kleine Haus mit dem eigenen Garten ist noch viel wertvoller geworden. Zumal, wenn man den eigenen Wohnraum nicht verlassen soll, dann zählt die eigene Scholle noch viel mehr. Das hat die Nachfrage noch mal befeuert.
Aus der Partei der Grünen kommt die Ansage gegen Einfamilienhäuser, die schädlich für das Ökosystem Stadt seien. Was halten Sie davon?
Was Flächenpolitik, Zersiedelung und Versiegelung angeht, haben die Grünen absolut recht. Rein von der Ökonomie und Ökologie her müssten alle Menschen in Mehrfamilienhäusern wohnen. Dann verbrauchst du weniger Natur, weniger Fläche, hast weniger Energiekosten beim Bau, für die Bewirtschaftung. Das passt natürlich nicht mit unserem Bild der Wohnqualität und der individuellen Wünsche und Freiheiten zusammen. Also: Sachlich stimmt die Aussage der Grünen. Aber es wäre traurig, wenn alle nur noch in Mehrfamilienhäusern wohnen würden. Das erinnert an die Plattenbausiedlungen zu DDR-Zeiten.
Was hat sich im Corona-Jahr bei den Mieten verändert?
Bei den Mieten hat sich nicht viel getan. Die Nachfrage ist nach wie vor groß. Jeder möchte dort wohnen, wo es schön ist, etwa in Radebeul, Coswig oder Weinböhla. Aber die Mieten steigen nicht mehr wesentlich. Da ist einfach irgendwann Schluss im Verhältnis zu den Einkommen. Höhere Mieten bei den Spitzenmieten als jetzt, sind einfach nicht mehr erschwinglich. Da ist nicht mehr viel Spielraum.
Welche Wohnungen sind gefragt?
Nachgefragt sind Zweizimmerwohnungen und noch stärker Drei- und Vierzimmerwohnungen. Das hat sich mit Corona kaum verändert. Auch fünf und Sechszimmerwohnungen, aber das ist seltener und betrifft Leute, die kein Haus mieten wollen - was es eh kaum gibt - und die auch kein Haus bauen wollen. Also Familien mit zwei, drei Kindern. Manager mit einem Arbeitsvertrag auf Zeit etwa. Kaufgesuche gibt es vor allem für Baugrundstücke und Einfamilienhäuser aller Art.
In Radebeul ist der Markt am meisten überhitzt, aber auch in Coswig und Weinböhla steigt die Temperatur stetig. Auch Mehrfamilienhäuser werden mittlerweile nachgefragt von Kapitalanlegern. Leute, die vorher eher in Dresden gesucht haben und jetzt im Umfeld suchen.
Bei Eigentumswohnungen werden von Anlegern günstige Wohnungen gesucht, zum Kaufpreis von 2.000 Euro je Quadratmeter, die eine Miete von sechs bis 7,50 Euro je Quadratmeter erzielen. Hochwertige Wohnungen werden meist zur Eigennutzung gesucht.
Auffällig ist auch, dass mehr und mehr ältere Bürger, die die Bewirtschaftung ihrer Häuser und Grundstücke nicht mehr schaffen, verkaufen wollen, um in eine Wohnung zu ziehen, die einen Lift und eine verkehrsgünstige Lage hat.
In Radebeul wird viel darüber diskutiert, wie viel noch gebaut werden sollte, um das Grün und die Gartenstadt zu erhalten. Grundstücke teilen und mehr bauen im Villenviertel, macht das dem Makler und Gutachter Freude?
Ich bin der festen Überzeugung, dass man in Radebeul aufpassen sollte, sich nicht den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Es ist zwar mein Geschäft, Verkäufe zu vermitteln, aber viele denken zu kurz. Zum Beispiel: Ein 2.000-Quadratmeter-Grundstück, das Haus von der Straße abgerückt, ist die klassische Baulücke. Jetzt kann man das Grundstück teilen und den vorderen Abschnitt für teures Geld verkaufen. Kann man machen. Andererseits geht der Verkauf gehörig gegen den Wert der Bestandsimmobilie, die bleibt. Es ist kein großes, grünes Grundstück mehr. Bei vielen Häusern ist gerade das großzügige Grundstück der Wert, nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch in Euro für die Immobilie. Indem hier mehr zugebaut wird, Lücken geschlossen und Grundstücke geteilt werden, bleiben weniger großzügige Grundstücke übrig. Und die wenigen, die steigen im Wert. Es gibt Kaufinteressierte, die gerade das bezahlen wollen - für den Gartenteil auch den Baulandpreis und mitunter mehr. Mehr Quadratmeter Fläche auf den Markt zu werfen, sollte man sich überlegen. Es als Grün, als Garten zu behalten, tut letztlich allen gut, fürs Auge und den Wert.
Ein Blick auf die Kreismitte. Meißen ist eine wunderschöne Stadt. Wie entwickelt sie sich auf dem Markt?
Meißen ist für mich eine Stadt mit sieben Siegeln. Die Stadt erfüllt ja ganz viele Kriterien für Aufstreben, aber das schon seit 25 Jahren. Jetzt erhöht sich so langsam die Nachfrage, wahrscheinlich weil die Leute aus Dresden auch dort suchen. Im ganz weiten Vergleich sehe ich da München und Augsburg. Weil München unbezahlbar wurde, sind die Leute ausgewichen und fahren mit Bahn und Auto zur Arbeit 80 Kilometer in die Landeshauptstadt. In Augsburg sind die Preise explodiert. Meißen ist viel näher an Dresden dran als Augsburg an München.