Radebeul. Große Boxen liegen vor den Weinstöcken bereit, dazwischen sind die Mitarbeiter des Weinguts Karl Friedrich Aust schon bei der Lese, in einem Behälter warten noch viele Winzerscheren auf fleißige Helfer. Am Sonnabendmorgen scheint die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Die Steillagen der Radebeuler Spitzenlage Goldener Wagen leuchten saftig grün. Sie zeigen sich von ihrer schönsten Seite. Und Karl Friedrich Aust strahlt mit ihnen um die Wette. „Heute beginnt eine der schönsten und anstrengendsten Zeiten im Jahr“, sagt der Winzer.
Es ist der erste Tag der Weinlese des Aust-Jahrgangs 2022, der vor allem unter viel Hitze und Trockenheit entstanden ist. Doch von Sorge ist im Gesicht des Winzers keine Spur zu sehen. Eher riesige Freude. „Wir müssen vor allem geduldig sein und nicht gleich alles auf einmal ernten“, sagt er. Los geht es in der Einzellage Goldener Wagen direkt hinter dem Weingut. „Der Goldriesling muss runter“, sagt Karl Friedrich Aust. Zum Lesestart am Sonnabend, zu dem auch viele freiwillige Erntehelfer kommen, wird im unteren Teil in den Flachlagen gelesen.
Die nächsten sechs Wochen soll durchgängig geerntet werden. In der Woche kommen die komplizierteren Flächen dran. In diesem Jahr hat der Weinbauer wieder zur Mithilfe im Weinberg aufgerufen. Auf der Internetseite kann man sich in einen Weinlesenewsletter eintragen und erhält alle Informationen zu den Terminen im Herbst. Auch Aushänge vor dem Weingut laden fleißige Erntehelfer ein. In vergangenen Jahren hat er auch schon rumänische Erntehelfer angestellt. „Ein festes Team aus Mitarbeitern, Freunden, Familie und anderen Helfern spiegelt den kulturellen Zusammenschluss des Weinbaus aber viel besser wider“, sagt er.
Schon mit elf Jahren hat er von seinem Vater seine erste kleine Weinbergterrasse übertragen bekommen. Die hatte 74 Rebstöcke mit Müller-Thurgau. Heute bewirtschaften er und sein Team aus insgesamt zehn Mitarbeitern und zwei Auszubildenden sechs Hektar Rebfläche in Oberlößnitz. Dazu gehören die Einzellagen Radebeuler Goldener Wagen, Radebeuler Steinrücken und Radebeuler Johannisberg.
Am eher kühlen Morgen noch mit Pulli und Mütze bekleidet, steht Noomi Thormann mit Winzerschere und rotem Eimer am Goldriesling. Dass sie heute mithilft, ist Ehrensache, denn sie ist frisch ausgebildete Winzerin. Die letzten drei Jahre hat sie ihre Ausbildung im Weingut Karl Friedrich Aust gemacht und ist mit vollem Herzen dabei. „Ich komme aus Brandenburg und hatte gar nichts mit Wein zu tun“, sagt die 21-Jährige. Nach dem Abitur hat sie bei Aust ein Praktikum gemacht. „Danach wusste ich, das ist es“, sagt die Jungwinzerin.
Bevor sie in einem halben Jahr nach Neuseeland geht, um dort auch auf einem Weingut zu arbeiten, hilft sie noch einmal bei der Weinlese in Radebeul. „Der Goldriesling ist eine frühreife Sorte“, erklärt sie und zeigt auf faulig aussehende Trauben, „das ist Essig und den müssen wir natürlich mit der Schere rausnehmen.“ Um besser heranzukommen, schneidet sie einige Blätter am Stock weg, bevor sie die Traube abschneidet. Ein kurzer prüfender Blick, ein, zwei Handgriffe mit der Schere, der Essig ist draußen und der Wein landet im Eimer. „Eine Tonne wollen wir heute schaffen“, sagt Noomi Thormann.
Vor dem Weingut steht eine ältere Dame, die bei der Lese helfen will und noch auf eine Freundin wartet. Auch Noomi Thormann kennt schon einige der Helfer. „Es gibt einige, die immer wieder kommen“, sagt sie, „und andere machen mit, weil sie wissen wollen, wie der Wein entsteht, den sie so gerne trinken.“ Bei der Lese kommt man ins Gespräch über den Jahrgang, der jedes Mal seine eigene Geschichte erzählt.
Im letzten Jahr zum Beispiel waren die Trauben, im Vergleich zu diesem Jahr, sehr groß, aber hatten dafür viel Schimmel. In diesem Jahr war die hohe Trockenheit das Problem. „Ein Winzer meckert immer“, sagt die Jungwinzerin und lacht.
Seit dem letzten Jahr arbeitet das Weingut Aust deshalb mit der Tröpfchenbewässerung. Das gehe mittlerweile nicht mehr anders, weil es sonst nicht nur zum Ausfall der Trauben, sondern im schlimmsten Fall der ganzen Rebe kommen würde. Es könnte sein, dass es einige für Radebeul typische Sorten vielleicht irgendwann nicht mehr gibt. Besonders betroffen ist die Lieblingssorte der Winzerin, der Goldriesling, und der Bacchus. „Ohne die Bewässerung würde die Hälfte verbrennen“, sagt sie.
Sogar Teile der Flachlage am Goldenen Wagen werden deshalb bewässert. Im unteren Bereich des Weinstocks ist ein Gummischlauch befestigt. Noomi Thormann zeigt auf kleine Löcher im Schlauch, aus denen das dringend benötigte Wasser tropft.
Für Karl Friedrich Aust ist heute in doppelter Hinsicht ein ganz besonderer Tag. Neben dem Weinlesestart wird das neue Herzstück der neuen Weinkellerei zum ersten Mal eingeschaltet. „Vor wenigen Tagen ist unsere neue Weinpresse aus der Pfalz nach Radebeul gekommen“, freut sich der Winzer. Sie fasst 2.700 Liter. Das Kellereigebäude, in dem sie steht, ist pünktlich zur Weinpressung nach einem Jahr Bauzeit fertig geworden.
Die neue Presse bedeutet eine große Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter: Bisher wurden die Trauben per Hand in die alte Presse gehoben, die auch weiterhin zum Einsatz kommen soll. „Das sind vier bis fünf Tonnen am Tag und das geht ordentlich in die Arme“, sagt Karl Friedrich Aust. Das Befüllen und Entleeren übernimmt ab jetzt die neue Maschine namens Europress automatisch. Die erste Ladung Trauben aus der Box in den Trichter zu kippen, war dann ein ganz besonderer Moment für den Winzer. Den Startknopf für die erste Pressung durfte dann aber seine Lebenspartnerin Carolin Netsch drücken.