Radebeul. Vom Sockel über Anzahl der Geschosse bis hin zur Dachform - in den Radebeuler Villengebieten Nieder- und Oberlößnitz werden um die 2.500 Gebäude derzeit genau unter die Lupe genommen. Stadtverwaltung und ein beauftragtes Planungsbüro interessieren sich für die architektonischen Merkmale. Ortsbildanalyse nennen sie dies. Und sie ist fundamental für die geplante Erhaltungssatzung bedeutsam.
Um nicht tatenlos zusehen zu müssen, wie kleinere alte Gebäude mit großzügigem Garten in den Villenvierteln abgerissen werden, um Platz für größere Neubauten zu machen, die kaum noch Raum für Blumen, Sträucher und Bäume auf den Grundstücken lassen, hat der Stadtrat im November 2019 beschlossen, der Verwaltung das Instrument einer Erhaltungssatzung in die Hand zu geben.
Wo so eine gilt, müssen Eigentümer jeden Abriss und Neubau sowie jede andere bauliche Veränderung auf ihrem Grundstück genehmigen lassen. Die Stadt kann das Ansinnen verweigern, wenn ein Gebäude nach der Satzung als erhaltungswürdig gilt. Derzeit kann sie einen Abriss nur verweigern, wenn ein Haus unter Denkmalschutz steht. Diesen Schutzstatus besitzt aber nur jedes fünfte Gebäude in den beiden Stadtgebieten.
Bei der Entscheidung des Stadtrates im Herbst 2019 habe es sich um den Aufstellungsbeschluss gehandelt. „Es ist noch nicht die Erhaltungssatzung“, betont Sixten Menger vom Stadtplanungsamt. Vielmehr hat sein Amt mit dem Beschluss erst einmal den Arbeitsauftrag erhalten, für ein rund 400 Hektar großes Gebiet, eine Erhaltungssatzung zu erarbeiten.
Satzung bedarf guter Begründung
Man kann auch von einem Untersuchungsgebiet sprechen. Es umfasst das Stadtgebiet nördlich der Meißner Straße bis zu den Weinhängen zwischen der Gleisschleife in Ost und Schloss Wackerbarth in West. Denn eine Erhaltungssatzung kann eine Kommune nicht nach Lust und Laune erlassen. Sie muss nachweisen, dass in dem Areal ein besonderer städtebaulicher Charakter herrscht und die dort stehenden Gebäude ortsbildprägend sowie von geschichtlicher und künstlerischer Bedeutung für das Umfeld sind.
Um im Geltungsgebiet einer Erhaltungssatzung einen Gebäudeabriss zu verhindern oder einem Häuslebauer Auflagen hinsichtlich Grundfläche, Geschosszahl und Dachform bei einem Neubau machen zu können, kommt es auf die Begründung an. „Sie muss gerichtsfest sein“, so Baubürgermeister Jörg Müller (parteilos), sprich Widersprüchen und Klagen standhalten. Die Satzung selbst besteht in der Regel nur aus sieben Paragrafen.

Für Begründung muss Ortsbild analysiert werden
Für eine ausführliche Begründung ist eine Ortsbildanalyse erforderlich. Für diese aufwendige Arbeit suchte sich das Stadtplanungsamt Verstärkung. Nach dem Grundsatzbeschluss des Stadtrates im November 2019, begann 2020 die Suche nach einem Planungsbüro mittels Ausschreibungs- und Vergabeverfahren. Im September des gleichen Jahres bekam die Bürogemeinschaft freier Architekten Dr. Braun & Barth aus Dresden den Zuschlag.
Bereits einen Monat später startete die Analyse. Sie besteht aus zwei Phasen. „Die erste ist die Entscheidende für alles Weitere“, berichtet Menger. Mitarbeiter des Planungsbüros sind mit Fotoapparaten losgezogen. Sie machen Bilder von ganzen Straßenzügen, von Blickbeziehungen in die Weinhänge und aus den Weinbergen heraus. Sie knipsen jedes Gebäude mehrmals. „Pro Haus entstehen drei bis vier Fotos“, so Menger. Das Fotografieren dauert noch an. Man nutzt die kalte Jahreszeit, weil keine dichte Laubkrone der Bäume den Blick versperrt.
Zwei Arbeitsteams sind im Einsatz
Ein weiteres Team wertet die Bilder aus und notiert die architektonischen Merkmale eines jeden Gebäudes in Exceltabellen. So ist unter anderem von Interesse, wieviel Fläche das Gebäude auf dem Grundstück einnimmt, wie groß der Vorgarten ist und wo Nebengebäude wie Garagen und Schuppen stehen.
Hat das Gebäude einen Sockel oder gar ein ganzes Sockelgeschoss, wie ist die Fassade gegliedert, wie viele Geschosse gibt es, wie hoch sind Traufe und First, ist der Dachboden ausgebaut und hat das Haus ein Sattel-, Walm- oder Zeltdach, sind weitere Fragen, auf dessen Antworten es in vorbereiteten Tabellen Häkchen gibt oder nicht. Fenstergröße und -form oder die Fassadenfarbe werden nicht erfasst, auch nicht was sich hinter dem Haus befindet. Von Belang ist nur der Blick von der Straße.
Ortsbildanalyse nimmt Zeit in Anspruch
Rund ein Jahr dauert dieses detailreiche Erfassen. Im Herbst dieses Jahres startet dann voraussichtlich die zweite Phase. Dann erfolgt die Auswertung der Tabellen mithilfe spezieller Computerprogramme. Die Software ermittelt, wie häufig bestimmte architektonische und städtebauliche Merkmale in einem Gebiet vorkommen, um daraus abzuleiten, wie ortsbildprägend sie sind. Beispielsweise könnte dies folgendes Gebäudeschema sein: ein Sockelgeschoss, zwei Volletagen darüber und ein Walmdach. Um als prägend zu gelten, müssten diese Merkmale bei 70 bis 90 Prozent der Gebäude in einem bestimmten Gebiet nachweisbar sein. Dann kann man eine Erhaltungssatzung darüber legen, um den für das Viertel typischen Baustil zu schützen.
Da eine derartige Häufigkeit hinsichtlich bestimmter Merkmale nicht für das gesamte Untersuchungsgebiet zu erwarten ist, könnte das Ergebnis der zweiten Phase wohl der Vorschlag von mehreren Erhaltungssatzungen für jeweils eigene Gebiete sein. So erinnert Menger an die Nachbarstadt Dresden. Dort ist man in den Stadtteilen Blasewitz und Striesen ebenfalls mit einem Untersuchungsgebiet gestartet. Nach der Analyse hat die Landeshauptstadt Erhaltungssatzungen für fünf Teilgebiete erlassen.
Die Auswertung der Ortsbildanalyse samt Vorschlag zum Geltungsbereich der Satzung soll im Sommer 2022 vorliegen. Danach beginnt der Beratungsprozess im Stadtrat. Auch die Öffentlichkeit soll an dem weiteren Verfahren laut Baubürgermeister Müller beteiligt werden. Erst nach erfolgreichem Abschluss des Prozesses ist mit dem Inkrafttreten einer oder mehrerer Erhaltungssatzungen zu rechnen.