Herr Oberbürgermeister Wendsche, wie vor einem Jahr um die Zeit gibt es hohe Infektionszahlen, arbeiten Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern am Limit. Hätten Sie gedacht, dass wir in der Corona-Pandemie wieder vor einer derartigen Situation stehen?
Wer würde schon von sich behaupten, dass er dies gewusst hätte. Natürlich auch ich nicht. Umso ernüchternder ist die jetzige Situation für uns alle.
Was lief in der Pandemiebekämpfung aus Ihrer Sicht bislang gut? Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Mir steht es nicht zu, hier den Besserwisser zu mimen. Richtig weh tut mir jedoch, dass es nicht gelungen ist, diese Herausforderung miteinander anzugehen, sondern dass das Gegeneinander scheinbar dominiert.
Wie meinen Sie das?
Folgendes Bild: Wenn eine Wandergruppe in ein Unwetter gerät, dann hakt man sich unter und diskutiert in dem Moment nicht, ob einer das falsche Schuhwerk anhat. Ich habe in der gegenwärtigen Situation mitunter den Eindruck, dass wir, anstatt uns unterzuhaken, nur noch über das Schuhwerk diskutieren. Diese Manöverkritik kann man am Ende machen, wenn die Pandemie überstanden ist. Aber jetzt ist sie unangebracht. Es fehlt oft der Respekt vor dem Gegenüber, egal, ob ich die Meinung des Anderen teile oder nicht.
Bis Ende Mai befanden wir uns im Lockdown, seit 22. November gibt es den sogenannten Wellenbrecher. Lassen sich die Folgen längerer Schließungen oder Teilschließungen von Kitas und Schulen, Einzelhandel und Gastronomie schon für die Bildungslandschaft und Wirtschaft in der Stadt abschätzen?
Kinder und Jugendliche hatten und haben enorme Lasten zu tragen. Und dies nicht nur, weil der Unterricht teilweise ausgefallen ist, sondern weil die Einschränkungen ihre Kindheit mit allem was dazugehört, betreffen, wie Herumtollen, Freunde treffen und vieles mehr.
Die wirtschaftlichen Folgen werden wir sicher noch lange spüren. Vor Herausforderungen stellt uns einerseits eine wachsende Inflation. Andererseits gibt es viele Menschen, vor allem in der Dienstleistungsbranche wie Gastronomie und Hotellerie sowie in Pflege und Gesundheitswesen, die diesen Bereichen den Rücken gekehrt haben. Es wird sehr schwer, diese Lücken nach Corona wieder zu schließen.
Wie ist es um die Finanzen der Stadt Radebeul bestellt?
Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nur ein Zwischenstand geben. Gegenwärtig ist die Finanzlage weitgehend stabil.
Der Schuldenabbau wurde pandemiebedingt ausgesetzt und geht erst ab 2026 weiter. Wird es eine längere Pause werden und wann ist Radebeul schuldenfrei?
Die Reduzierung der Tilgung bis zum Jahr 2025 ist eine Vorsichtsmaßnahme, um angesichts der drohenden finanziellen Folgen durch die Coronakrise dennoch als Stadt investiv handlungsfähig zu bleiben. Diese Entscheidung wurde jedoch ganz bewusst damit verknüpft, dass, wenn die Finanzlage wider Erwarten besser ausfällt, Sondertilgungen vorgenommen werden. Mit dem gerade festgestellten Jahresabschluss 2020 konnten wir so doch rund 2,3 Millionen Euro für den Schuldenabbau in diesem Jahr noch nutzen. Damit wären wir theoretisch nicht erst im Jahr 2033, sondern bereits 2032 schuldenfrei.
Die Haushaltsplanung ist im Gange. Müssen die Radebeuler mit finanziellen Folgen, die sich durch die Pandemie ergeben, bei Steuern, Abgaben etc. rechnen?
Steuererhöhungen sind wie in den Vorjahren nicht geplant. Allerdings kommen wir nicht umhin, steigende Kosten, beispielsweise für Unterhalt, Betrieb und Energieversorgung kommunaler Einrichtungen, anteilig über Gebühren weiterzugeben. So wird mit Beginn des Jahres 2022 eine neue Beitragsordnung für die Stadtbibliothek gelten. Steigende Kosten können auch wir als Stadt nicht einfach wegzaubern.
Ein Blick zurück: Welche Projekte konnten trotz Coronakrise im nun endenden Jahr abgeschlossen werden?
Trotz Pandemie und der angespannten Marktsituation am Bau, wie zum Beispiel Liefer- und Materialengpässe, waren dies erstaunlich viele. So haben wir zum Beispiel den neuen Schiller-Hort in Betrieb genommen. Die Grundschule Oberlößnitz wurde brandschutztechnisch saniert. Im Straßenbau konnten wir die Sanierung der Mittleren Bergstraße abschließen sowie einen weiteren Abschnitt der Meißner Straße in Zitzschewig grundhaft ausbauen. Nicht zu vergessen ist die zentrale Abwassererschließung der Grundstücke im Bereich Amselweg.
Welche Vorhaben sind im Jahr 2022 geplant?
Über neue Projekte wird zunächst der Stadtrat in der laufenden Haushaltsberatung befinden. Aus Respekt gegenüber den gewählten Mandatsträgern werde ich der Diskussion nicht vorgreifen und Vorhaben nennen. Natürlich werden die bereits begonnenen Investitionen fortgeführt. Hier sind die Brandschutzsanierung im Steinbachhaus des Lößnitzgymnasiums oder die Komplettsanierung des Altbaus am Luisenstift zu nennen. Darüber hinaus gehen die Ausführungsplanungen für den Neubau der Oberschule Kötzschenbroda sowie für die neue Feuerwache in Radebeul-Ost weiter. Außerdem steht der Bau der Schiffsmühlenbrücke an.
Apropos Feuerwache in Ost: Hier sollten die Bauarbeiten doch längst im Gange sein. Geht es 2022 nun los?
Durch die vielen Planungsleistungen für die einzelnen Gewerke sowie deren Koordination in Zeiten der Coronakrise sind wir bei dem Projekt ein wenig in Rückstand geraten. Im Laufe des Jahres 2022 werden wir definitiv mit den Bauarbeiten loslegen. Mit einem reichlichen Jahr Bauzeit ist zu rechnen.
Für Straßenbauprojekte hat das sächsische Verkehrsministerium einen Antragstopp verhängt. Die Förderquote wurde auf 50 Prozent gesenkt. Beim Vorhaben Nach der Schiffsmühle konnte die Stadt einen derart drastischen Einschnitt beim Landeszuschuss noch abwenden. Wie sieht dies bei anderen Straßenbauprojekten aus, wie zum Beispiel der weiteren Sanierung der Meißner Straße? Kann die Sanierung des nächsten großen Abschnittes zwischen Gleisschleife und Eduard-Bilz-Straße wie geplant im Jahr 2023 beginnen?
Wenn der Freistaat nur noch einen Zuschuss von 50 Prozent gibt, dann muss es mit diesem Fördersatz halt weitergehen. Wir als Stadt können dies nicht ändern. Da hilft auch kein Jammern und Wehklagen. Straßenbau wird es dennoch auch künftig in Radebeul geben. Für den nächsten Ausbauabschnitt der Meißner Straße zwischen Gleisschleife Radebeul-Ost und Eduard-Bilz-Straße lässt sich sagen: Baurecht haben wir und Eigenmittel sind entsprechend der aktuellen Förderrichtlinie im Haushalt eingeplant. Den Förderantrag können wir erst Mitte des Jahres 2022 stellen. Dann werden wir sehen, ob wir die erhoffte Förderung vom Freistaat bekommen und 2023 mit dem Bau loslegen können.
Ob Kolbe-Villa, Villa Heimburg oder die Ruine an der Ecke Meißner Straße, Gutenbergstraße – Radebeul hat sich an vielen Stellen herausgeputzt, doch diese drei Gebäude verfallen zusehends. Was kann die Stadt unternehmen, um den Verfall zu stoppen?
Warum ist das Glas immer vermeintlich halb leer, anstatt halb voll? Wir sollten einmal in andere Städte schauen und uns darüber freuen, wie wenige unsanierte oder baufällige Gebäude es bei uns in Radebeul gibt. Hier sollte man auch einmal Dank sagen und den Eigentümern Respekt zollen. Letztlich haben sie dafür gesorgt. In Kürze werden mit dem Abriss der Kfz-Gebäude an der ehemaligen Aral-Tankstelle sowie dem desolaten Objekt an der Ecke Meißner, Schildenstraße zwei weitere Ärgernisse aus dem Stadtbild verschwinden. Natürlich ist der Zustand der drei von Ihnen erwähnten Gebäude ärgerlich. Bei der Kolbe-Villa konnten wir gerichtlich eine überdimensionierte Zusatzbebauung verhindern. Außergerichtlich kann die Denkmalschutzbehörde bei Denkmalobjekten einen gewissen Druck aufbauen. Ansonsten gilt es, mit den Eigentümern zu reden. Dies war bislang der erfolgreichste Weg, dauert aber mitunter seine Zeit. Und es setzt voraus, dass der Eigentümer auch Gesprächsbereitschaft zeigt. Dies ist bei dem Gebäude an der Ecke Meißner, Gutenbergstraße leider nicht der Fall.
Und wie steht es um das Bahnhofsgebäude in Radebeul-West? Wie ist hier der aktuelle Stand?
Wir sind weiterhin bemüht, entsprechend dem Stadtratsbeschluss die Stadtbibliothek und weitere kulturelle Nutzungen in dem Objekt unterzubringen. Auch hier gibt es leider keine Gesprächssignale des Eigentümers.
In diesem Jahr fand die Bürgerbeteiligung zur Sanierung der Schwimmhalle statt. Liegt bereits ein Ergebnis der Umfrage vor? Und wie geht es bei dem Projekt weiter?
Der Aufsichtsrat unseres Sportstättenbetriebes hat sich einstimmig für die Vorzugsvariante mit dem neu zu schaffenden zentralen Eingangsbereich von Schwimmhalle und Krokofit entschieden. Nun kann die Stadtbäder und Freizeitanlagen GmbH die Planungsleistung voranbringen. Unser Ziel ist es, die Pläne im neuen Jahr so weit voranzubringen, dass wir Ende 2022 Fördermittel beantragen können.
Der Beschluss des Stadtrates zum Bau eines Kleinspielfeldes für den Fußballnachwuchs neben dem Krokofit liegt nun auch schon wieder einige Monate zurück. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Bei der ursprünglich vorgesehenen Fläche hinter dem Krokofit und neben der Bahntrasse gibt es zu viele Planungshindernisse, wie zum Beispiel der Immissionsschutz der Nachbarschaft. Daher untersuchen wir nun eine Alternativfläche in der Nähe. Wenn ein positives Ergebnis vorliegt, werden sich die zuständigen Gremien mit dem Thema befassen.
Und was ist mit dem geplanten dritten Sportplatz neben dem Lößnitzbad? Die Hochwasserkarten zur Neubewertung der Überschwemmungsgefahr wurden dieses Jahr veröffentlicht. Wurde das Areal neu bewertet und ist eine Sportstätte dort möglich?
Die neuen Hochwasserrisikokarten des Landes Sachsen haben wir sehnlichst erwartet. Auf dieser Grundlage kann nun das Landratsamt Meißen, als zuständige Behörde, tätig werden und die Überschwemmungsgebiete neu festsetzen. Wir hoffen, dass im Laufe des Jahres 2022 eine Entscheidung vorliegt. Erst dann können wir mit einer konkreten Planung beginnen.
Karl-May-Festtage mitten im Sommer, Herbst- und Weinfest mit abgespecktem Programm sowie erneut ein Advent ohne Budenzauber – werden Radebeuler und ihre Gäste im neuen Jahr wieder die drei großen Feste traditionell und wie früher, vor Corona, feiern können?
Weder unser Kulturamt noch ich besitzen eine Glaskugel, um in die Zukunft zu schauen. Aber eins ist sicher: Im nächsten Jahr wird es wieder Feste und Feiern in Radebeul geben. Unsere Mitarbeiter im Kulturamt haben in den beiden zurückliegenden Jahren bewiesen, dass sie kreativ mit der jeweiligen Situation umgehen können. Und die Gäste haben die Veranstaltungen und entwickelten Formate dankbar angenommen.
Im kommenden Sommer schließt die Stadt Radebeul eine Kita, und zwar die an der Harmoniestraße, für immer. Ein Hauptgrund ist die demografische Entwicklung. Lässt sich der Trend, dass die Einwohnerzahl nicht mehr wächst, noch stoppen?
Es wird ein Erfolg sein, wenn wir die Einwohnerzahl stabilisieren können. Die viel größere Herausforderung der demografischen Entwicklung stellt sich in der Wirtschaft. Die Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sinkt. Frei werdende Stellen können immer schwerer wieder neu besetzt werden. Jeder Unternehmer steht vor der zentralen Frage: Wie kann ich mir Arbeitskräfte von Morgen sichern? Das Bewusstsein ist überall angekommen, dass wir nicht vor einem Fachkräfte-, sondern einem Arbeitskräftemangel stehen. Wir müssen lernen, mit dieser Situation umzugehen. Einen größeren Bevölkerungszuwachs wird es nicht geben.
Im Juni stellen Sie sich zur Wiederwahl für weitere sieben Jahre. Was möchten Sie in Ihrer letzten Amtszeit unbedingt erreichen?
Radebeul ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen. Viele Projekte sind schon auf den Weg gebracht. Einige habe ich bereits aufgezählt. Andere sind bereits als Ideen im Kopf. Mit ganzem Herzen dranzubleiben und mich für das Wohl der Stadt einzusetzen - das treibt mich an. Über Einzelprojekte sprechen wir, wenn es so weit ist. Jetzt lassen wir erst einmal das alte Jahr ausklingen und starten in ein neues.
Das Gespräch führte Silvio Kuhnert.