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Wer der neue Pfarrer in Radebeul ist und was er so vorhat

Martin Scheiter ist mit französischer Ehefrau und Zwillingen sowie Pudel als Pfarrer in die Friedenskirche gekommen. Das hat er spirituell und musikalisch in Radebeul vor.

Von Silvio Kuhnert
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Auf der Kirchenbank in der Friedenskirche hat Pfarrer Martin Scheiter Platz genommen. In das Gotteshaus lädt er von Montag bis Freitag zum Mittagsgebet. Mittwochs erklingt Orgelmusik dazu.
Auf der Kirchenbank in der Friedenskirche hat Pfarrer Martin Scheiter Platz genommen. In das Gotteshaus lädt er von Montag bis Freitag zum Mittagsgebet. Mittwochs erklingt Orgelmusik dazu. © Norbert Millauer

Radebeul. Die Spitzhaustreppe zählt nicht mehr zu den Trainingsstrecken von Pfarrer Martin Scheiter. Der Grund ist sein Pudel. Dieser hat einfach eines Tages gestreikt und wollte die knapp 400 Stufen im Weinberg Goldener Wagen nicht mehr hinunterlaufen. „Er fand es übertrieben. Mit sieben Jahren muss man auch nicht mehr alles mitmachen“, zeigt der sportliche Seelsorger mit einem Schmunzeln Verständnis.

Seit Anfang dieses Jahres ist Martin Scheiter Pfarrer in der Radebeuler Friedenskirche. Mit seiner Ehefrau und den Zwillingen hat er die Wohnung im Gemeindehaus am Dorfanger Altkötzschenbroda bezogen. "Wir sind gut angekommen, sehr freundlich aufgenommen worden, sagt der Gottesmann, der am 3. Dezember 1981 in Karl-Marx-Stadt das Licht der Welt erblickte.

Zur Familie gehört auch ein Pudel, mit dem der 42-Jährige mit Vollbart und Kurzrasur-Haarschnitt regelmäßig joggen geht. Die Spitzhaustreppe gehört nicht mehr zum Trainingsprogramm. Dagegen läuft es sich wunderschön durch den Lößnitzgrund und vor allem durch die Elbaue bis zur Panzerstraße. Dort muss der Hund nicht an der Leine sein. „Dann geht die Sonne auf und der Mohn blüht – einfach ganz traumhaft“, so Scheiter.

Im kirchlichen Milieu aufgewachsen

Die Elbwiesen waren auch ein Schlüsselmoment, als er sich die Pfarrstelle das erste Mal anschaute. Auf der einen Seite der Dorfanger mit seinen zahlreichen Restaurants, doch hinter der Kirche, zum Fluss hin, sind Gärten mit Obstbäumen, dazwischen grasen Schafe und Kühe. „Mein Bauerntumherz war sofort versöhnt“, sagt Scheiter. Mit Eltern sowie einer großen Schwester und einem kleinen Bruder ist er auf einem Bauernhof in Niederwiesa, ein Dorf bei Chemnitz, aufgewachsen.

Die Familie war im kirchlichen Milieu verankert. Der Opa mütterlicherseits war Pfarrer in Meerane, die Oma Kantorin. „Bis zum 85. Lebensjahr hat sie Orgel gespielt“, berichtet Scheiter. Musikalität hat er auch vom Opa väterlicherseits mit in die Wiege gelegt bekommen. „Dieser hat Tanzmusik gemacht“, berichtet Scheiter, der bis zu seinem Umzug nach Radebeul fast zehn Jahre als Pfarrer in Glaubitz wirkte.

Der neue Gottesmann in der Friedenskirchgemeinde kann Klavier und Gitarre. Als seine Töchter die Musikschule in Riesa besuchten, wollte er nicht draußen auf den Fluren auf sie warten, sondern fing an, das Trompetenspiel zu erlernen. Damals noch heimlich, damit der Posaunenchor davon nichts erfährt. „Wenn sie es bemerkt hätte, wäre man sofort verhaftet“, scherzt Scheiter. In seiner neuen Kirchgemeinde musizierte er bereits beim Sommerblasen des hiesigen Posaunenchores mit. „Ich fühle mich als aktives Mitglied. Es macht mir große Freude, mit anderen im Ensemble Musik zu spielen“, so Scheiter.

Spiritualität und Intellektualität

Banderfahrung bringt der Neue mit. Als Jugendlicher und Student war er Gitarrist und Sänger der Band „Cottonbomb“, Baumwollbombe. Vom Stil her vereinte seine Gruppe „Rage Against the Machine“, die für einen Crossover-Mix aus Metal, Hip-Hop, Punk, Funk und Alternative Rock bekannt ist, mit dem Blues von B. B. King. Der Proberaum war in einer alten Pfarrwohnung. Scheiter hat daher von der Jugendzeit an das Gemeindehaus als Kreativraum erlebt. Auf seiner Wunschliste für Radebeul steht, dass sich aus der Jungen Gemeinde heraus ein Bandprojekt entwickelt, das er gern begleiten möchte.

Zum Studium der Theologie kam Pfarrer Scheiter über mehrere Erfahrungen. Einerseits über das Ausschlussprinzip. Ein medizinischer Beruf kam nicht infrage, weil er kein Blut sehen kann. Gegen Sozialarbeiter entschied er sich während seines Zivildienstes bei der Heilsarmee. Ein Beruf im technischen Bereich schloss er aus, weil naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik und Physik nicht seine Stärken waren. Er kann besser reden und schreiben. Zu einem Schlüsselerlebnis zählt die Lektüre einer Biografie von Dietrich Bonhoeffer. „Gelebte Spiritualität und eine weltzugewandte Intellektualität sprechen mich bis heute an“, sagt Scheiter.

Mittagsgebet und Orgelspiel

Während der Zeit seiner ersten Pfarrstelle in Glaubitz startete er in den Tag mit einem Morgengebet. Ebenso hielt er dort mit einem Mittagsgebet inne. Diese bewusste Einkehr mit dem Glockengeläut um 12 Uhr möchte er auch in Radebeul zelebrieren. Von Montag bis Freitag lädt Pfarrer Scheiter zum Mittagsgebet in die Friedenskirche ein. Eine Viertelstunde kann man mit ihm in der Mitte des Tages zur Ruhe kommen und in Frieden einkehren. Zudem wird für jedes Geburtstagskind der Gemeinde eine Fürbitte gesprochen. Über 3.000 Mitglieder zählt die Friedenskirchgemeinde.

Bis Ende Oktober dieses Jahres wird das mittägliche Friedensgebet einmal in der Woche um einen sogenannten Orgelpunkt erweitert. Am 7. August dieses Jahres geht es um 12 Uhr los. Immer mittwochs können Besucher gemeinsam mit Pfarrer Scheiter beten und Musik von der denkmalgeschützten Jehmlich-Orgel mit 2.979 klingenden Pfeifen erleben.

Den Käse aus der Ursprungsheimat seiner Ehefrau lässt Pfarrer Scheiter zur Mittagsandacht sicher zu Hause. Sie stammt aus Arras, dem Gebiet Nordfrankreichs, wo der Film „Willkommen bei den Sch’tis“ spielt. Durch diese Komödie hat auch der Käse „Maroilles“ eine gewisse Bekanntheit bekommen. „Der schmeckt ganz gut“, sagt Scheiter, was man jedoch von dem gewöhnungsbedürftigen Geruch, den dieser Käse verströmt, wohl eher nicht erwarten würde. Die Zwillinge wachsen zweisprachig in der deutsch-französischen Familie auf und sind mit Schuljahresbeginn in die vierte Klasse gestartet.