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Radebeul schlägt seit 110 Jahren im Bilzbad Wellen

1911 in Dresden vorgestellt und 1912 von Friedrich Eduard Bilz in den Lößnitzgrund geholt, verrichtet die Undosa-Wellenmaschine noch immer ihre Dienste – Radebeuls Technikwunder.

Von Silvio Kuhnert
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Räder, Lederriemen, Achsen, Zahnräder und Kurbeln sorgen dafür, dass zwei fünf Tonnen schwere Kästen ins Wasser plumpsen. Sebastian Mai (l.), lauscht an der Undosa-Wellenmaschine den Erläuterungen von Reinhard Geistlinger.
Räder, Lederriemen, Achsen, Zahnräder und Kurbeln sorgen dafür, dass zwei fünf Tonnen schwere Kästen ins Wasser plumpsen. Sebastian Mai (l.), lauscht an der Undosa-Wellenmaschine den Erläuterungen von Reinhard Geistlinger. © Norbert Millauer

Radebeul. Bei über 30 Grad Celsius im Schatten, wie dieser Tage sollten alle Erfrischungshungrigen dem Rat eines alten Gedichtes folgen: "Der Mensch, vom Mutterwitze helle, / Entflieht so gern der Hitzewelle. / Reist in die Meereswellenbäder, / Doch so viel Zeit hat nicht ein Jeder. / Sind weite Reisen dir ein Greu'l – / Dann fährste bloß – bis Radebeul."

Die Zeilen stammen aus "Stimmung im Undosabade". Als diese Strophen gereimt wurden, war das Reisen zu den Meereswellen den meisten Menschen kein Gräuel. Sondern Anfang des 20. Jahrhunderts fehlte den meisten Menschen einfach das Geld für eine kostspielige Reise zur See. Um so mehr Pioniergeist bewies Friedrich Eduard Bilz (1842-1922). Er holte quasi das Meer nach Radebeul in Form der Wellenmaschine. Seit 110 Jahren schlägt sie in Radebeul ihre Wellen.

Um 10 Uhr öffnet das Radebeuler Freibad seine Pforten. Eine Stunde später läutet die Glocke zum ersten Mal und damit das Wellenspiel ein. 15 Minuten lang ist das Wasser im Wellenbad in Wallung, baut sich eine Gischt auf. Dieses Ritual mit Glocke und Wellen wiederholt sich stündlich. In den Sommerferien ertönt die Glocke täglich um 19 Uhr das letzte Mal.

Neben dem Vorgänger des Dynamo-Stadions präsentiert

Doch wie kommt die Welle ins Wasserbassin? Das Geheimnis lüften Sebastian Mai, stellvertretender Objektleiter des Bilzbades, und Reinhard Geistlinger vom Bilz-Bund für Naturheilkunde. Ersterer betreut die technische Anlage heute, letztgenannter ist profunder Kenner ihrer Geschichte. Denn die Undosa-Wellenmaschine ist ein historisches Denkmal. 1911 hat sie Bilz auf der Internationalen Hygieneausstellung in Dresden erworben. "Für 100.000 damalige Mark. Ein Jahr später ist sie in Radebeul in Betrieb gegangen", berichtet Geistlinger.

Wie dieses Bild zeigt, genossen bereits im Jahr 1913 die Welle im Bilzbad. Damals konnte man in die Gicht noch rutschen.
Wie dieses Bild zeigt, genossen bereits im Jahr 1913 die Welle im Bilzbad. Damals konnte man in die Gicht noch rutschen. © Norbert Millauer

Von jener Hygiene-Ausstellung besitzt der 79-Jährige einen Lageplan. Die Ausstellungspavillons befanden sich an der Nordostecke des Großen Gartens, wo heute Gläserne Manufaktur, Cockerwiese und Lingner-Allee anzutreffen sind. Eine transportable Schwimmhalle war neben der Hermann-Ilgen-Kampfbahn, dem heutigen Rudolf-Harbig-Stadion, aufgebaut. Dort wurde die Wellenmaschine der Marke Undosa präsentiert, und dort hat sie Bilz entdeckt.

Wie es der Zufall will: Der Namensgeber der Kampfbahn, Hermann Ilgen, kam als Apotheker in Kötzschenbroda mit Mäusegift zu Ruhm und Geld.

Bilz setzte auf Strom statt auf Wasserdampf

Durch das Auf- und Abbewegen von Kästen wird mit der Undosa-Maschine Wasser rhythmisch verdrängt und so Wellen erzeugt. Um die dahinter befindliche Technik in Bewegung zu bringen – die beiden mit Ballast gefüllten Kästen bringen jeweils eine Last von fünf Tonnen auf die Waage – benötigt man Antriebskraft. Eine Undosa-Wellenmaschine am Starnberger See beispielsweise wurde mit einer Dampfmaschine angetrieben. Und bereits im Laufe der 1920er-Jahre schon wieder verschrottet, weil diese Form des Antriebs sich längst nicht mehr bewährte.

"Bilz war da ein anderer Typ, er war immer dem Neuesten aufgeschlossen", sagt Geistlinger. Er entschied sich für einen Elektromotor. Den Strom bezog er aus dem nicht weit entfernten E-Werk im Lößnitzgrund und war dort schnell ein Großabnehmer für seine Wellenmaschine. Durch den innovativen Antrieb blieb der Radebeuler Maschine das Schicksal ihrer Starnberger Schwester erspart. "Die Wellenmaschine ist noch Original erhalten", sagt Geistlinger, als er den Maschinenraum betritt. Nur der Motor wurde später durch einen leistungsstärkeren ausgetauscht, wobei der Originalmotor immer noch vor Ort steht und unterstützend zum Einsatz kommen kann.

Das Wellenbad hat nichts von seiner Faszination verloren, Paula (l.) und Melanie genießen über 100 Jahre später das Meeres-Feeling mitten in Radebeul.
Das Wellenbad hat nichts von seiner Faszination verloren, Paula (l.) und Melanie genießen über 100 Jahre später das Meeres-Feeling mitten in Radebeul. © Arvid Müller/Archiv

Durch den Motor werden zunächst Räder mit Lederriemen zum Laufen gebracht. Diese übertragen die mechanische Kraft auf Kurbeln, Achsen und Zahnräder. Bei letztgenanntem Bauteil greifen die Zacken mitunter schräg ineinander, damit die Axialkraft nicht die Achsen der Rotationskörper zerstört. All die Technik dient letztlich dazu, mittels der Schubstangen die Ballastkästen nach oben zu ziehen. Diese befinden sich in einem Hohlraum zwischen Technikraum und Wasserbassin. Wenn die Kästen oben sind, lässt man sie nach unten fallen. Dabei verdrängen sie das unten befindliche Wasser. Dieses kann nur nach oben weg. Es türmt sich auf. Die Welle nimmt ihren Anfang und strömt durch das Wasserbecken. Dabei nimmt sie an Höhe und Kraft ab.

Originalzeugnisse aus der Anfangszeit des Bilzbades

1998 generalüberholt, ist die Radebeuler Wellenmaschine die älteste Maschine ihrer Bauart, die bis heute in Funktion ist. Daher gilt Reinhard Geistlingers besonderer Dank allen Badeleitern bis heute. Denn sie haben dafür gesorgt, dass die Wellenmaschine weiterhin in Betrieb ist und überhaupt noch existiert, auch über die DDR-Zeit hindurch.

Wer das nächste Mal das Bilzbad besucht, sollte einmal das kleine Freilichtmuseum, östlich vom Wellenbad gelegen, besichtigen. Denn hier liegen "Heiligtümer", wie Geistlinger sie nennt, an denen leider der Zahn der Zeit nagt und die langsam verrotten. Zwischen Kassenhäuschen und Umkleidekabinen verschiedener Art. Sie stammen unter anderem aus den Anfängen des Bilzbades. Als "Licht-Luft-Bad" wurde es im Jahr 1905 eröffnet. Zwischen den verschiedenen Häuschen und einer alten Pumpe steht ein mächtiger Holzkasten. "Eichenblanken sind das Haltbarste im Wasser", informiert Geistlinger. Die Kästen wurden einst mit Steinen gefüllt und dienten in den ersten Jahren als der Ballast, der im Fall das Wasser für die Wellenbildung verdrängt. Heute sind die Kästen aus Edelstahl.

Rutschen leider verboten

Ein Wermutstropfen aber bleibt. Als Geistlinger selbst Kind und Jugendlicher war, konnte man noch von Rutschen aus sich in die Gischt der Wellen gleiten lassen. Am Ende der Rutsche ließen sich die jungen Leute mit Handstand oder anderen Akrobatenstücken ins Wasser plumpsen. Bauchklatscher oder das Treffen des Vordermanns mit Beinen oder Händen blieb nicht aus. So trug man beim Besuch des Wellenbades schon mal Blessuren und blaue Flecke mit davon. Bis Ende der 1980er-Jahre hat sich daran auch keiner gestört. Der Spaß überwog. Die Hämatome nahm man in Kauf.

Doch nach der Wende haben Leute wegen blauer Flecken geklagt. Das Rutschen wurde erst im Wellenbad, später auch im Familienbecken untersagt. "Die Gesellschaft verweichlicht", urteilt Geistlinger kopfschüttelnd kurz und knapp dazu.