Radebeuler Hilfskonvoi bringt 76 Ukrainer in Sicherheit

Von Beate Erler und Silvio Kuhnert
Radebeul/Obuchiw. Fest umschlungen hält eine junge Frau ihren einjährigen Sohn in den Armen, als sie aus einem Transporter des Radebeuler Hilfskonvois steigt. Der Junge ist müde und weint kurz, als er geweckt wird. Es ist gegen 2.15 Uhr am Sonntagmorgen. Eine stundenlange Fahrt von der polnischen Grenze bis in die Lößnitzstadt liegt hinter den beiden Ukrainern. Bis zum Auffanglager in Polen haben sie bereits eine anstrengende Flucht aus dem Kriegsgebiet hinter sich.
Nach und nach treffen weitere Fahrzeuge ein. Gegen drei Uhr sind alle da. Erschöpfte Menschen steigen aus. Es sind Frauen und Kinder. Bei sich haben sie nur das Nötigste: Rucksäcke, kleine Rollkoffer und Einkaufstaschen. Aber nur so viele, wie eine Person jeweils tragen kann. Sie sind vollgestopft mit Kleidungsstücken. Aus manchen schaut ein Plüschtier, aus anderen eine Wolldecke oder Isomatte.
48 Stunden ohne Schlaf
In einem großen Raum des Radisson Blu Park Hotels hat die Stadt Radebeul alles für die Ankunft der Ukrainer vorbereitet. Am Eingang hängt ein Begrüßungsschild in ukrainischer Sprache. Zwei Landesfahnen sind an einer Wand angebracht, eine mit dem Wappen von Radebeuls Partnerstadt Obuchiw. Mitten im Raum steht ein großer Tisch mit Getränken und Lebensmitteln zur Stärkung. Mitarbeiter der Stadtverwaltung sowie Dolmetscher warten in den frühen Sonntagmorgenstunden auf Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet, wissend, dass eine lange und anstrengende Fahrt hinter den Ankommenden liegt.

Trotz Müdigkeit und Erschöpfung lässt sich der Ausdruck der Freude in vielen Gesichtern erkennen, endlich in Sicherheit zu sein. Dankbar umarmen die Menschen ihre Fahrer und Begleiter, die seit rund 48 Stunden ohne Schlaf auf den Beinen sind. Den ehrenamtlichen Helfern gilt der besondere Dank der Stadt Radebeul.
Viele Menschen helfen
Der Hilfskonvoi um den Radebeuler Sportstättenchef, Titus Reime, war am frühen Freitagmorgen gestartet. In etwa zehn Stunden wollten die 23 Helfer mit zehn Fahrzeugen das polnische Dorf Korczowa an der ukrainischen Grenze erreichen. Dort warteten Menschen aus der Ukraine und Radebeuls Partnerstadt Obuchiw, die nur 45 Kilometer südlich von Kiew liegt. Doch am Freitagabend waren sie immer noch auf der Autobahn. „Es ist das reinste Chaos“, sagt Titus Reime, „überall Staus und Unfälle.“ Das Navi zeigt noch 150 Kilometer bis zum Grenzort. Rund 800 Kilometer liegen zwischen Radebeul und Korczowa insgesamt.

Aller halben Stunde klingele das Telefon mit neuen Informationen. Trotz guter Planung läuft nichts nach Plan. Schön wäre es, zu sehen, wie viele Menschen helfen wollen, sagt Titus Reime am Telefon. Man erkennt sich an den Aufklebern auf den Fahrzeugen: „Hilfe für die Ukraine“. „Wir winken uns gegenseitig zu und an Tankstellen kommt man kurz ins Gespräch“, sagt er.
Probleme an der Grenze
Der Plan war hinfahren, Hilfsgüter übergeben, Flüchtlinge aufnehmen und zurückfahren. Doch daraus wird zunächst nichts. Der Lkw aus der Ukraine, in den die zahlreichen Spenden, vor allem medizinisches Material, geladen werden sollen, kommt nicht. Die Helfer aus Radebeul warten den ganzen Abend, die ganze Nacht und auch am Sonnabendnachmittag ist der Lkw noch nicht da.
„Wir stehen hier seit Stunden in der Kälte und warten“, so Titus Reime. Die ganze Nacht hat er telefoniert, mit der Botschaft, dem polnischen Innenministerium und weiteren Regierungsbehörden. Einerseits gab es Probleme für den Lkw-Fahrer, die Ukraine zu verlassen. Er ist im wehrfähigen Alter. Andererseits brach auf polnischer Seite das Registrierungssystem für Hilfsgüter, vermutlich wegen Überlastung, zusammen.
Erster Teil des Konvois war am Sonnabendmorgen zurück
In der Zwischenzeit ist der Bus der Landesbühnen Sachsen, der sich Freitag um 21 Uhr auf den Rückweg gemacht hat, schon in Radebeul angekommen. Früh um sieben treffen die ersten 42 Flüchtlinge im Radisson Blu Park Hotel ein, wo sie über das Wochenende eine zentrale Unterkunft haben. Am Freitagabend gibt es noch viel vorzubereiten für die Ankunft, sagt Radebeuls Pressesprecherin, Ute Leder. „Am Montag wird der größte Teil der Flüchtlinge in die Privatquartiere in Radebeul übergeben“, sagt sie.

Auch für den Onlinefragebogen der Stadt zu Hilfsangeboten haben sich schon einige Unterstützer gemeldet. Am Freitagmorgen waren es bereits 42 Personen. „Die Liste wächst ständig“, sagt Ute Leder, „von Fahrdiensten über die Betreuung und Unterbringung ist alles dabei.“
Hilfsgüter an polnischer Grenze zwischengelagert
Derweil in Korczowa, wo 5.000 bis 6.000 Menschen vor Ort sind, schätzt Titus Reime. Fotos zeigen einen nicht abreißenden Strom von Tausenden Flüchtlingen. Vor allem Frauen und Kinder werden mit Bussen in die Notunterkunft gebracht. Überall warten Menschen mit Rucksäcken, kleinen Rollkoffern und Taschen. Es gibt eine Suppenküche, wo Helfer mit gelben Westen Essen und Getränke verteilen.
Trotz aller Widrigkeiten lobt Reime die Organisation. Im Minutentakt sind polnische Busse unterwegs. Sie bringen Ukrainer von der Grenze in das Auffanglager, wo sie im Warmen sind und verpflegt werden. Dort steigen sie dann in organisierte Hilfstransporte oder private Fahrzeuge um.
Neue Anfragen für weitere Transporte
Der Lkw ist auch am Sonnabendnachmittag noch nicht gekommen. Inzwischen haben die Radebeuler über das polnischen Technische Hilfswerk organisiert, dass sie die Spenden in ein zentrales Lager rund 80 Kilometer entfernt von der Grenze bringen können. Dort sammelt eine Stiftung Hilfsmittel und bringt sie koordiniert über die Grenze in die Ukraine.
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Nachdem die Radebeuler Helfer ihre Fracht abgeladen und sicher verstaut haben, fahren sie wieder zur Grenze zurück, um flüchtende Mütter mit ihren Kindern für die Rückreise nach Deutschland in ihre Transporter einsteigen zu lassen. 34 Menschen können sie mitnehmen. Gegen 18 Uhr treten sie am Sonnabend ihre Rückfahrt nach Radebeul an. Als sie dort am frühen Sonntagmorgen noch im Dunkeln ankommen, liegen bereits neue Anfragen aus Obuchiw für Flüchtlingstransporte vor.
- Spendenkonto: Stadtverwaltung Radebeul
Sparkasse Meißen
IBAN: DE97 8505 5000 3100 0031 00
Verwendungszweck: "831000 Nothilfe Ukraine und Obuchiw"