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Wie Inklusion in Kitas gelingen kann

Maik Kretzschmar möchte in Radebeul ein inklusives Zirkusprojekt für alle Altersgruppen starten. Darüber und über weitere Herausforderungen der Inklusion berichtet er im Interview.

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Maik Kretzschmar leitet die Kita "Zwergenland" in Radebeul-Wahnsdorf. In seinem Haus darf er drei Kinder mit einem besonderen Bedarf betreuen.
Maik Kretzschmar leitet die Kita "Zwergenland" in Radebeul-Wahnsdorf. In seinem Haus darf er drei Kinder mit einem besonderen Bedarf betreuen. © Norbert Millauer

Unter dem Begriff Inklusion stellt man sich meist nur das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung vor. In der täglichen Arbeit, nicht nur innerhalb der Kindertagesstätten der Volkssolidarität des Elbtalkreis Meißen e.V., ist es aber sehr viel mehr – so entstehen beispielsweise ständig neue Herausforderungen im Zusammenleben mit Diversität oder auch der Flüchtlingsproblematik. Inklusion fördert aber nicht nur die sozialen Kompetenzen der Kinder im besonderen Maße, sondern Kinder mit Beeinträchtigung erleben zudem keine Ausgrenzung. Die Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte im Sinne der Inklusion ist es, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, sein individuelles Potenzial so stark wie möglich auszuschöpfen. Wie dies gelingen kann, sagt Maik Kretzschmar.

Herr Kretzschmar, die Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen nimmt in diesem Jahr zum ersten Mal an den Interkulturellen Tagen teil, warum?

Die Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen ist weltoffen und wir haben die Möglichkeit, uns so zu präsentieren. Genau das wollen wir zeigen.

Sie halten im Rahmen der Interkulturellen Wochen der Diakonie einen Vortrag und eine Multimediashow über Inklusion in Kitas und Horten. Wie kann diese gelingen?

Sie kann gelingen, indem wir offen und vor allem weltoffen sind. Bevor ich zur Volkssolidarität kam, war ich bereits in den verschiedensten inklusiven Projekten involviert. So haben wir unter anderem den Fachtag "Ein bewegter Tag, ein Tag der Motopädie" ins Leben gerufen. Die Motopädie ist eine erweiterte Fachausbildung des Begründers der deutschen Psychomotorik, Ernst J. Kiphard, welcher im nächsten Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Unter anderem hat er für "schwer erziehbare" Kinder die Therapieform mit Zirkusprojekten entwickelt. So plane und leite ich Zirkusprojekte für Menschen mit und ohne Behinderung und unterstütze aktiv Pädagogen und Erziehende in ihrer Tätigkeit mit meinen Erfahrungen aus dem heilpädagogischen Bereich.

Die Volkssolidarität lebt und verinnerlicht den inklusiven Gedanken. Solche Veränderungsprozesse sind aber auch langwierig, das darf man nicht unterschätzen. Sie werden nicht einfach an einem Tisch beschlossen, sondern es handelt sich um einen Prozess, der entstehen muss. Inklusion muss sich aber vor allem auch in der Gesellschaft entwickeln und akzeptiert werden. Sie ist anders als Integration.

Zur Person

Maik Kretzschmar, ausgebildeter und staatlich anerkannter Artist, Erzieher, Heilerzieher und Motopäde sowie Leiter der VS-Kindertagesstätte "Zwergenland" in Radebeul-Wahnsdorf. Seit Mai dieses Jahres ist er außerdem Leiter des Referats Fort- und Weiterbildung der Deutsche Akademie Aktionskreis Psychomotorik (dakp) und zuständig für die Neukonzeption, Planung und Organisation von Weiterbildungsangeboten (u.a. die Berufsqualifikation zum Psychomotoriker) für die dakp und den Regionalverband Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen e.V. Weiterhin ist er Mitgründer des nunmehr "6. Bewegter Tag, ein Tag der Motopädie" in Radebeul.

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Was ist der Unterschied zwischen Integration und Inklusion?

Integration bedeutet, ein Kind kann nur in die Einrichtung gegeben werden, in welcher das Personal und die Gegebenheiten für Menschen mit besonderen Bedarfen auch vorhanden sind. Der Inklusionsgedanke hingegen bedeutet, dass wir den Kindern beziehungsweise Betroffenen die Möglichkeit bieten, die Einrichtung aufzusuchen, in die sie auch gern gehen möchten, die beispielsweise in der Nähe ihres Wohnortes liegt. Dies ist ein großer technischer Aufwand, da die Einrichtungen entsprechend nachgerüstet werden müssen. Außerdem muss speziell ausgebildetes Personal zur Verfügung stehen. Aber dem Gedanken der Inklusion sollte uns das wert sein: Menschen, egal wie sie sind, sind ein Teil unserer Gesellschaft. So sollen sie auch dort sein, wo sie gern sein möchten, und nicht dort hingehen müssen, wo wir meinen, dass sie dort gut aufgehoben sind.

Sie sprechen von Bedarfen. Was ist damit konkret gemeint?

An einem Beispiel erläutert: Die Kindertageseinrichtung in Radebeul-Wahnsdorf besucht ein Kind mit einem Gendefekt. Es muss sehr intensiv gepflegt werden. Ursprünglich war die Pflege für das Kind in dieser Einrichtung nicht gewährleistet, da die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Wir schaffen diese Voraussetzungen aber, da es der Wunsch der Eltern ist, ihr Kind - im ländlichen Bereich in einer kleinen Einrichtung und mit der Ruhe der Umgebung - betreut zu sehen. Die Volkssolidarität organisiert weiterhin die erforderlichen barrierefreie Maßnahmen, wie beispielsweise eine Rückzugsmöglichkeit für die Pflege. In diesem Raum steht beispielsweise eine Wickelkommode, welche hydraulisch funktioniert, damit das Kind nicht mit Muskelkraft hochgehoben werden muss. Zudem steht dem Kind und uns zusätzlich eine ausgebildete Pflegekraft zur Seite.

Die Technik ist das eine. Das andere sind die therapeutisch- pflegerischen Bedürfnisse. Wie sichert und gewährleistet die Volkssolidarität die Manpower?

Benötigt wird, wie bereits erwähnt, speziell ausgebildetes Pflegepersonal. Zusätzlich verfügt die Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen in Radebeul über ein Diagnostik- und Beratungszentrum mit Ergo- und Physiotherapeuten sowie Logopäden. Dadurch sind wir in der Lage, Kinder mit besonderen Bedarfen optimal fördern zu können. Wir arbeiten interdisziplinär zusammen und versuchen, gute und individuelle Lösungen für die Kinder zu bieten.

Wie viele Kinder werden aktuell inklusiv in den Einrichtungen der Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen betreut?

Inklusive Arbeit erfolgt aktuell mit 74 Kindern in den Einrichtungen der Volkssolidarität. Um die Kinder entsprechend zu fördern, ist für die Erziehenden eine heilpädagogische Zusatzausbildung erforderlich. 15 Kindern mit geistiger Behinderung wird zudem eine 1:1-Betreuung ermöglicht. In meinem Haus darf ich drei Kinder mit einem besonderen Bedarf betreuen.

Und wie bereiten Sie Ihre Mitarbeiter auf das Thema Inklusion vor?

Ich habe sehr engagierte Mitarbeiter, die völlig offen sind, auf das, was auf uns zukommt. In unserer täglichen Arbeit, nicht nur innerhalb der Kindertageseinrichtungen und Horten der Volkssolidarität Elbtalkreis-Meißen, entstehen ständig neue Herausforderungen im Zusammenleben mit Diversität oder auch der Flüchtlingsproblematik. Wir haben beispielsweise in unserer Einrichtung fünf ukrainische Kinder aufgenommen, oder aber es kommen Kinder aus Familien, in denen es zwei Mamas oder Papas gibt. So ist Inklusion viel mehr als das Zusammenleben von Menschen, die besonders sind. Sich diesen verschiedenen Herausforderungen zu stellen und anzunehmen, tut auch eine ganze Menge für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.

Sie sind ausgebildeter Erzieher, Heilerzieher und Motopäde. Was ist ein Motopäde?

Ich komme aus dem heilpädagogischen Kontext, habe Kinder mit körperlicher und geistiger Behinderung betreut. Und da stellte sich mir immer die Frage, wie man die verschiedenen Lernmöglichkeiten vermitteln kann. Die Motopädie stellt einen Lösungsansatz dar und bedeutet Lernen in Bewegung. Hierbei werden kognitive Lernaufgaben in Bewegung eingebaut und umgesetzt. Diese ganzheitliche Methode findet man häufig im Rehasport und im klinischen Kontext.

Sie leiten in Berlin-Wilmersdorf ein inklusives Zirkusprojekt für Menschen mit und ohne Behinderung. Steht dieses Projekt im Zusammenhang mit der Motopädie?

Ich bin ausgebildeter Artist und in meinem ersten Leben viel durch die Welt gereist. Durch familiäre Veränderungen und der Geburt des eigenen Kindes habe ich noch mal umgeschult und eine heilpädagogische Ausbildung absolviert. Im Inneren bin ich aber immer noch ein Artist. Zirkusprojekte geben Menschen, die besonders sind, die Möglichkeit, sich auszudrücken und damit spielerisch Teil einer Gesellschaft zu sein.

Wollen Sie dieses Zirkusprojekt auch nach Radebeul holen?

In Radebeul wollen wir ein inklusives Zirkusprojekt in Zusammenarbeit mit dem Diagnostik- und Beratungszentrum aufbauen. Momentan schließen wir eine Kooperation mit Berlin-Wilmersdorf ab. Dort nehmen ausschließlich geistig behinderte Menschen im Erwachsenenalter teil. Hier in Radebeul möchten wir einen Zirkus für Menschen aus allen Lebensbereichen öffnen, vom Kind über Erwachsene bis hin zu Senioren. Aktuell sind wir daran, entsprechende Räumlichkeiten zu finden.

Das Gespräch führte Silvio Kuhnert.

Vortrag im Rahmen der Interkulturellen Tage der Diakonie Meißen: "Wie Inklusion in den Kindertageseinrichtungen und Horten des Regionalverbandes Elbtalkreis-Meißen gelingt – oder die Haltung gegenüber dem Anderssein" mit Maik Kretzschmar; Donnerstag, 22. September 2022, 9 Uhr; Veranstaltungshalle im Kultur-Bahnhof Radebeul-Ost; Eintritt ist frei.