Radebeul. Einkaufen bei Bauer Reiche. Das sagt heute noch jeder in Radebeul und teils von weiter her, der Obst, Gemüse und Blumen ganz frisch in dem Hofladen an der Ostseite des Dorfangers Kötzschenbroda kaufen geht. Inzwischen führt Stephan Reiche das Werk seines Großvaters fort. Mancher erinnert sich, kam gar mit dem kleinen Mann mit der großen Energie und dem vielseitigen Wissen ins Plaudern.
Wer sich darauf einließ, brauchte Zeit. Zeit, die nicht vertan war, weil es immer wieder Neues zu erfahren gab. Darüber, wie Hühner die besten Eier legen. Wie Gurken und Radieschen gut wachsen, wie sich das Leben meistern lässt.
Bauer Reiche wusste fast immer einen guten Rat. Seine Erfahrung zu den Dingen, die der Mensch wirklich braucht und beachten sollte. Wie man auf dem Acker arbeitet, damit das Getreide gut wächst, wie mit Kühen, Pferden und Schafen umgegangen werden sollte, damit sie gut Milch und Wolle geben und den Pflug mit Kraft durch die Ackerfurche ziehen. Und darüber, wie man mit seinen Mitmenschen umgehen sollte, damit es ein gutes Auskommen hat.
2009 hat Karl Reiche ein Buch über seine fünfjährige russische Kriegsgefangenschaft veröffentlicht. Geschichten voller bitterer und am Ende doch lebensfroher Erlebnisse. Jetzt gibt es ein zweites Buch über und vor allem von Bauer Reiche. Akribisch und in gut lesbarer Handschrift hat er 20 Hefter mit seiner Lebensgeschichte bei Jens Kuhbandner im Notschriftenverlag im Pfarrhaus von Altkötzschenbroda abgegeben. Als ob nun alles vollbracht wäre, legte er sich kurz danach am 29. Dezember 2017 mit 97 Jahren zur letzten Ruhe.
Im vorigen Jahr wäre Karl Reiche 100 geworden. Doch beileibe nicht nur deshalb hat der Verleger die Manuskripte jetzt zu einem Buch mit einigen Fotos und - einer Besonderheit - Tondokumenten von Bauer Reiche zusammengestellt. Letztere können ganz einfach per Handy vom QR-Code ausgelesen werden.
Hühnerzucht war seine Leidenschaft
Karl Reiche hat seine Aufzeichnungen thematisch geordnet - Jugend, Ackerbau, Obstanbau, Viehhaltung, die Zeit nach 1945. Von vergnügten Tanzabenden der Landjugend bei einer Flasche Wein für die gesamte Tischrunde - mehr Taschengeld war nicht - im Hamburger Hof in Meißen und dem langen Heimmarsch nach Kötzschenbroda ist darin zu lesen. Von der Schwielen verursachenden Sensenmahd in den Elbwiesen, den russischen Soldaten, die die Rasenernte mit ihren Pontons zermalmten, und dem polnischen Kriegsgefangenen auf dem Hof, der wie ein Bruder mit am Tisch saß.
Gewitzt und klug verstand es Karl Reiche, sich mit seinen Mitstreitern gegen Kollektivierungswerber zu behaupten. Es gab damals nur die Möglichkeit, in die LPG einzutreten oder alles stehen und liegen zu lassen, schreibt er. Er hat nicht gejammert, nie verzagt und andere von seinen Ideen begeistert. Hühnerzucht war seine Leidenschaft. Wie erfolgreich er damit sogar auf internationalen Ausstellungen war, ist auf dem Schrank seines Wohnzimmers zu sehen. Da passte kein Pokal mehr drauf. Wen er besonders leiden konnte, dem schenkte er eine große Packung frische Eier.
„Karl Reiche war ein kluger, interessierter und aufrechter Mann“ hat Pfarrerin Brigitte Schleinitz an seinem Grab auf dem Gottesacker über ihn gesagt. Wer darüber und das Leben in Kötzschenbroda und im Elbtal mehr erfahren will, dem sei das Buch sehr zu empfehlen.
Karl Reiche, Ein Leben mit der Landwirtschaft, Notschriftenverlag, 224 Seiten, 19,90 Euro