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Raser wegen "Alleinrennens" verurteilt

Ein junger Mann rast durch Stuttgart und verschuldet den Tod zweier Menschen. War das Mord? Nein, entscheidet ein Gericht. Und schreibt Rechtsgeschichte.

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Der Angeklagte wird im Gerichtssaal des Landgerichts Stuttgart an seinen Platz geführt.
Der Angeklagte wird im Gerichtssaal des Landgerichts Stuttgart an seinen Platz geführt. © Marijan Murat/dpa

Von Martin Oversohl und Gregor Bauernfeind

Stuttgart. Fünf Sekunden. Nur ein kurzer Moment. So lange dauerte es vom Vollgas im Sportwagen bis zum fatalen Aufprall auf das stehende Auto eines jungen Paares in der Stuttgarter Innenstadt. Im vergangenen März hatte ein heute 21-Jähriger bei mehr als 160 Stundenkilometern die Kontrolle über sein Auto verloren und den Unfall gebaut. Mord sei das gewesen, meint die Staatsanwaltschaft. Keineswegs, entschied die Kammer des Landgerichts Stuttgart am Freitag in einem aufsehenerregenden Urteil.

Denn die Kammer greift bei ihrer Verurteilung zu fünf Jahren Jugendstrafe auf einen noch vergleichsweise jungen Straftatbestand zurück, der eigentlich vor allem auf illegale Straßenrennen abzielt. Und sie schreibt Rechtsgeschichte. Denn bundesweit ist es nach Gerichtsangaben das erste Urteil dieser Art bei einem vergleichbaren Raser-Unfall mit Todesfolge.

Nach dem noch jungen Strafgesetzbuch-Paragrafen aus dem Jahr 2017 muss sich ein Fahrer in einem Rennen nicht mit einem anderen gemessen haben, er kann auch ein sogenanntes Alleinrennen fahren. Ihm muss aber nachgewiesen werden, dass er deutlich zu schnell und rücksichtslos unterwegs war, "um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen", wie es im Paragrafen 315d heißt.

"Hirnlose Raserei"

Diesen Umstand sah die Kammer erfüllt, schließlich hatte der junge Jaguar-Fahrer kurz vor dem Crash das Gaspedal noch voll durchgedrückt - in der Innenstadt. Sie könne das kurz und knapp auch als "hirnlose Raserei" bezeichnen, sagte die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf während der 90-minütigen Urteilsbegründung im bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal.

Mord? Fahrlässige Tötung? Oder eben doch der noch junge neue Straftatbestand? Bundesweit hat sich die Justiz bereits mehrfach mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob Raser in ihren meist aufgemotzten PS-starken Autos als potenzielle Mörder unterwegs sind und den Tod anderer billigend in Kauf nehmen.

Zuletzt musste das Landgericht Darmstadt in einer ähnlichen Ausgangslage entscheiden. Es verurteilte einen 19 Jahre alten Raser zwar wegen Mordes, allerdings nach dem milderen Jugendstrafrecht. Im bayerischen Deggendorf wird demnächst ebenfalls über einen tödlichen Raser-Unfall entschieden. Zwei Angeklagte sollen bei Achslach im Bayerischen Wald ein verbotenes Rennen Auto gegen Motorrad veranstaltet und dabei den Tod eines entgegenkommenden Autofahrers verursacht haben.

Eine rote Linie für eine Mordverurteilung in Raser-Fällen hat auch der Bundesgerichtshof nicht festgelegt. "Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls", urteilten die Karlsruher Richter. Für die Stuttgarter Richterin Eßlinger-Graf ist die Gesetzgebung nicht "der Königsweg".

Bei dem Unfall kamen eine 22-Jährige und ihr 25 Jahre alter Freund ums Leben.
Bei dem Unfall kamen eine 22-Jährige und ihr 25 Jahre alter Freund ums Leben. © Kohls/SDMG/dpa

Im Stuttgarter Fall zeigte sie sich dagegen überzeugt: "Dass Sie ein Mörder sind, konnten wir nicht feststellen", sagte sie zu dem Angeklagten. Der 21-Jährige, der den Ausführungen zusammengekauert, mit starrem Blick zu Boden folgte, sei sich natürlich des Risikos bewusst gewesen. Aber er habe seine Freunde beeindrucken wollen und dem Drang nicht widerstehen können, Gas zu geben. "Sie haben gewusst, dass das gefährlich ist", warf ihm die Richterin vor. Doch sei er überzeugt davon gewesen, das Auto - einen 550 PS starken Boliden - kontrollieren zu können. "Sie waren sich sicher, das Auto sicher fahren zu können... Hierauf haben Sie vertraut, in völliger Überschätzung Ihrer Fähigkeiten."

Auch sei der 21-Jährige von Natur aus eigentlich schüchtern und hilfsbereit, kein passionierter Poser, auch wenn er in diesem fatalen Fall schlicht protzen wollte, um vor seinen Kumpeln aus der Shisha-Bar seinen Freunden zu imponieren. Dieses Motiv sei "an Sinnlosigkeit kaum zu überbieten", sagte Eßlinger-Graf.

Das Gericht entschied zudem, den zur Tatzeit 20-Jährigen nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. Er sei abhängig von seiner Familie, sei immer noch das "Nesthäkchen" und "Baby" und stehe finanziell noch nicht auf eigenen Beinen. Ihm soll außerdem der Führerschein für vier Jahre abgenommen werden, sobald er wieder auf freiem Fuß ist.

In den Trümmern ihres kleinen Wagens waren an jenem späten Abend im März eine 22-Jährige und ihr 25 Jahre alter Freund aus Nordrhein-Westfalen ums Leben gekommen. Ihre Eltern zeigten sich nach dem Urteil unversöhnlich. Unklar ist nach Angaben ihrer Anwälte, ob sie gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil vorgehen werden. "Kein Urteil der Welt kann meinen Mandanten ihren Sohn wiedergeben", sagte Anwalt Christof Müller-Holtz. (dpa)