Von Thomas Schade
Um sechs Uhr morgens klingelten Beamte der Soko Rechtsextremismus des Landeskriminalamtes gestern in dem kleinen Dorf bei Riesa an der Tür des Hauses von Thomas E. Sie verkündeten dem Aktivisten der rechtsextremistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), dass der Bundesinnenminister diesen Verein ab sofort verboten hat. Nach SZ-Informationen ist der 33-Jährige Schatzmeister des Vereins. Nach der Durchsuchung der Wohnung sperrten die Beamten bei einer Bank in Meißen auch ein Konto, das offenbar zur HDJ gehört. In Kirchberg im Südwesten Sachsens tauchten die Staatsschützer ebenfalls auf, trafen den gesuchten HDJ-Aktivisten aber offenbar nicht an.
Zeitgleich waren Staatsschützer auch in Brandenburg, Niedersachsen und Berlin unterwegs, um das Vereinsverbot zu vollziehen. Wenig später erklärte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, dass er alles tun werde, „um unsere Kinder und Jugendlichen vor diesen Rattenfängern zu schützen“.
Die HDJ ist eine bundesweit agierende Jugendorganisation, die nach Erkenntnissen des sächsischen Verfassungsschutzes versucht hat, „den Eindruck einer harmlosen Pfadfindergruppe zu erwecken“, jedoch „eindeutig rassistische und nationalsozialistische Ziele“ verfolge. Ihre Gefährlichkeit besteht darin, dass sie Kinder und Jugendliche für diese Ziele gewinnen wollte.
2008 verstärkt in Sachsen aktiv
Lange spielte die 1990 gegründete HDJ in Sachsen keine Rolle. Erst 2007 bildete sich eine „Einheit Sachsen/Niederschlesien“ der HDJ. In Dresden gab es angeblich eine Leitstelle „Mitte“. Im Juni 2008 schätzte Innenminister Buttolo die Mitgliederzahl auf „unter zehn“.
Bekannt wurde die HDJ 2008 durch ein Osterlager in einem Heim der Arbeiterwohlfahrt in Limbach und durch ein Pfingstlager im Mai in Koltzschen (Landkreis Leipzig). Nachdem Fotos von dem Pfingstlager auftauchten, leitete die Polizei Ermittlungen ein. Der Verdacht: Im Lager sollte gegen das Uniformverbot des Versammlungsgesetzes verstoßen worden sein.
Lagerfeuer und Kanufahrten
Mit Lagerfeuer, Kanufahrten und Geländespielen werden Kinder und Jugendliche angelockt. Später lernen sie die Trillerpfeife kennen, werden mit Fanfaren geweckt und müssen zum Morgenappell antreten. Bei der HDJ, so der Bundesinnenminister, werde Jugendarbeit missbraucht, um „Kinder und Jugendliche zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen“.
Da werde „Rassenkunde“ unterrichtet. Ausländer und Juden würden als „Bedrohung für das deutsche Volk“ dargestellt, Teilnehmer angehalten, für die „Blutreinheit“ und das „Fortbestehen des deutschen Volkes“ einzutreten. Es existieren Bilder von HDJ-Lagern, in denen an Zelten in Frakturschrift Bezeichnungen wie „Führerbunker“ oder „Germania“ zu sehen sind.
Offiziell registriert war die HDJ im Kieler Vereinsregister unter der Nummer VR 672930. Ihr Sitz war in Plön in Schleswig-Holstein. Doch viele Aktivitäten leitete der völkische Verein, dem bundesweit rund 400 Mitglieder zugerechnet werden, laut Verfassungsschutz von Berlin aus. Letzter „Bundesführer“ soll Sebastian R. aus Radebeul gewesen sein. Er war früher „Gauleiter Sachsen“ in der „Wiking-Jugend“ und lebt jetzt angeblich in Brandenburg, wo laut Verfassungsschutz die wichtigsten HDJ-Aktivisten leben.
Ausgangspunkt für das gestrige Verbot ist ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren, das im Juni 2008, wenige Wochen nach dem Pfingstlager in Sachsen, eingeleitet worden war. Am 9. Oktober durchsuchten Staatsschützer in fast allen Bundesländern bei 88 HDJ-Anhängern Privat- und Büroräume und stellten unter anderem 100 PCs und 50 Handys sicher.
Am 12. November schließlich beschloss der Innenausschuss des Bundestages auf Antrag der schwarz-roten Koalition, ein Verbot zu prüfen. Im Dezember passierte der Antrag das Plenum. Wirklich überrascht, so hieß es gestern im LKA Sachsen, sei der HDJ-Schatzmeister von dem Besuch der Staatsschützer nicht gewesen.