Von Karin Schlottmann
Folter – das klingt nach Mittelalter oder Militärdiktatur. Folter ist verboten, sie wird von zivilisierten Staaten geächtet. Der Türkei wurde der Zutritt zur Europäischen Union verwehrt, weil Polizei und Justiz dort im Verdacht standen, politische Gefangene zu misshandeln.
Umso bemerkenswerter erscheint die aktuelle Debatte, die der Frankfurter Polizeibeamte Wolfgang Daschner im Mordfall Jakob von Metzler ausgelöst hat. Polizei-Vizepräsident Daschner hatte dem Entführer und mutmaßlichen Mörder des elfjährigen Jungen gedroht, ihn mit körperlicher Gewalt dazu zu bringen, das Versteck des Kindes preiszugeben.
Die meisten Politiker und eine Reihe namhafter Rechtsprofessoren betonen die Bedeutung des Folterverbots als Kern der Rechtsordnung. Trotzdem erhält Daschner Zuspruch von Bürgern und auch von einigen wenigen Politikern. Der Innenexperte der brandenburgischen CDU, Sven Petke, hält eine „härtere Gangart“ der Polizei bei Verhören für denkbar. Innenminister Jörg Schönbohm will über Folter nachdenken, wenn Terroristen viele Menschen gefährden. Sachsens Justizminister Thomas de Maizière betont demgegenüber, dass das geltende Folterverbot in Grundgesetz und Europäischer Menschenrechtskonvention keinerlei Klarstellung bedarf. Folter sei nicht nur zur Aufklärung von Straftaten strikt untersagt, sondern auch, wie im Fall Metzler, zur Gefahrenabwehr. Folter sei jedoch auch dann nicht erlaubt, wenn es das einzige Mittel wäre, um viele Menschen vor einem Bombenattentäter zu schützen. Bereits die Androhung von Folter könne strafbar sein, betont der Jurist.
De Maizière: „Und trotzdem kommt man gerade als Familienvater und Christ natürlich ins Grübeln, ob das das letzte Wort sein kann.“ Er hat sich deshalb in den Fall vertieft und hält es für denkbar, dass sich Daschner auf den „übergesetzlichen Notstand“ berufen kann. Das bedeutet, dass eine Straftat entschuldigt wird, durch die jemand, der sich in einem rechtlich nicht lösbaren Konflikt befindet, ein höherwertiges Rechtsgut rettet – wie in diesem Fall das Leben eines Kindes. „Ich halte es für richtig, dass gegen den Polizisten ermittelt wird und sich gegebenenfalls ein Gericht damit befasst. Aber ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass eine Bestrafung im Ergebnis ausbleibt.“
Daschner habe sich in einem „klassischen Gewissenskonflikt“ befunden, der nur bedingt rechtlich lösbar sei, so der CDU-Politiker. „Gewissen und Verantwortung sind nicht zuallererst juristische Begriffe. Wenn der Fall geholfen hat, dass allen klar wird, dass wir nicht allein schon deswegen moralisch handeln, weil wir uns an den Wortlaut der Gesetze halten, dann hat der Polizist Wichtiges für die moralische Debatte in Deutschland bewirkt. Recht ersetzt keine Gewissensentscheidung.“
Vor einem weiteren schwierigen Fall stand die Frankfurter Polizei Anfang des Jahres, als ein psychisch Gestörter drohte, mit einem gestohlenen Kleinflugzeug in ein Hochhaus zu fliegen.
Es ist rechtlich umstritten, ob die Bundeswehr in diesen Fällen einschreiten darf. De Maizière hält es deshalb ähnlich wie der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, für nötig, die Zuständigkeit im Grundgesetz zu regeln.
Allerdings könne die Rechtsordnung niemals jedes Detail im Vorhinein abschließend regeln. „Wir können demjenigen, der den Einsatzbefehl erteilt, nicht die Gewissensentscheidung abnehmen. Ob der Verteidigungs- oder ein Landesinnenminister die Entscheidung trifft: Einer lädt immer Schuld auf sich.“