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Reich und schön auf dem Lande

In Auterwitz konnte junge Leute mit kleinem Geldbeutel große Musik hören. Aber womöglich zum letzten Mal.

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© Dietmar Thomas

Von Benjamin Schuke und Jens Hoyer

Ein Berg voller Iglu-Zelte leuchtet in der Sonne. Lange Reihen Autos säumen die Zufahrtsstraße. Ein junger Mann mit Mandala-Tattoo trägt seinen freien Oberkörper spazieren. Seine Bermuda guckt großzügig aus der Hose hervor. Ein Fan von Technomusik trinkt ein Dosenbier vor einer dröhnenden Box. Es ist warm. Ein Akkordeonspieler improvisiert Melodien. Die 200 Meter lange Fähnchenschnur über dem Festivalgelände zeugt davon, dass der Schnelllaufruf per facebook geholfen hat.

Mit vieler Hände Hilfe ist das Alternativmusikfestival „Reich und schön“ in Aberwitz am Wochenende trotz Gewitterüberflutung gestartet. Noch am Donnerstag hatte die Veranstalter – darin der Verein Kultursegel aus Leipzig – den 4000 Interessierten eine Absage erteilt, weil die Tonanlage von einer Überschwemmung in Mitleidenschaft gezogen worden war. „Auch die 8000 Euro teure Disko-Spiegelkugel war kaputt gegangen“, sagt Grundstücksnachbarin Jacqueline Ziegeler-Jentzsch.

Doch am Freitag entspannte sich die Lage und die Veranstalter beschlossen in urdemokratischer Abstimmung, das Fest doch durchzuführen. Das ganze Wochenende über spielten Regionalbands aus den Bereichen Indie, Rock, Punk und Elektor und Tausende Jugendliche tanzten. Die Zahl der Gäste war von 800 auf etwa 2200 in diesem Jahr gestiegen.

Das Festival findet zum dritten Mal in Aberwitz statt – und womöglich zum letzten Mal. Am Sonntagnachmittag war Bürgermeister Immo Barkawitz ziemlich sauer. Die Organisatoren haben eine wichtige Auflage nicht erfüllt: Im 2 Uhr sollte mit Rücksicht auf die Dorfbewohner Schluss mit der lauten Musik. War aber nicht. Schon in der Nacht zu Sonnabend habe es nicht richtig funktioniert. Am Sonntag musste um 6.30 Uhr die Polizei eingreifen, damit Ruhe wird. „Wir sind enttäuscht. Ich muss kein Prophet sein, der Gemeinderat wird da wohl nicht mehr zustimmen“, sagte Barkawitz. Das Festival stand sozusagen „unter Bewährung“, nachdem es in den vergangenen Jahren schon Beschwerden gab. „Wir wollen die Organisatoren noch mal einladen“, sagte der Bürgermeister.

Am Wochenende war die Welt für Veranstalter und Gäste aber noch in Ordnung: Die Besucher sind so bunt wie ein bemalter Wohnwagen, der im Schatten auf dem Campingplatz steht. Davor sind drei junge Männer mit Rastalocken zu sehen, die mit Freunden das Bier vom kippenden Tisch zu retten versuchen. Eine Organisationssprecherin, die ihren Namen nicht nennen möchte, kommt barfuß den Hügel heruntergelaufen. „Das ist ein werbefreies Festival“, sagt sie und blickt streng durch die Blümchenbrille. „Wir möchten keine Auskünfte geben“. Sie hat ein Funkgerät über der Schulter hängen. Ein Schild am Eingang warnt, dass sexistisches, homo- und transphobes, antisemitisches, rassistisches, nationalistisches und faschistisches Gedankengut nicht toleriert werden.

Auf Hilfe ist die Teamleitung dennoch angewiesen. Nachbarin Jacqueline Ziegeler-Jentzsch bot in ihrem Hof Schlafplätze und Duschen als Gegenleistung für Küchenarbeit an. „Die dürfen hier schlafen und haben mir dafür beim Löffelputzen geholfen“, sagt sie. „So ein Festival zu organisieren, ist eine echte Leistung. Es werden jedes Jahr mehr Besucher“, sagt sie.

Sven Jonaczek aus Stollberg schläft bis Sonntag im Auto. Der Liebhaber von Elektromusik kommt in Aberwitz ganz auf seine Kosten. „Es gibt vegan Küche und Zuckerwatte“, sagt er. „Ich bin froh, dass das Festival doch stattfindet. Jemand hat mir erzählt, dass hier am Donnerstag ein Auto weggespült wurde. Aber nun ist alles trocken.“

Auch Bauernehepaar Hartmann unweit des Festivalgeländes freut sich mit der Jugend. „Die wissen heute gar nicht mehr, wo sie tanzen gehen sollen“, sagt Karl Hartmann. Das Paar hat gerade andere Sorgen. „Unsere Scheune stand am Donnerstag zum ersten Mal unter Wasser. Auch die ganze Gülle ist in unseren Garten gelaufen“, sagt der 80-Jährige. Der Hof liegt in einer Senke. „Drei Wochen wurde hier Gülle aufgefahren. Nun ist alles in unserem Tomatenbeet und auf den Kartoffeln gelandet“, sagt Karl Hartmann.