Merken

Reichsbürger unter uns

Zahlreiche Einwohner bestreiten die Existenz der Bundesrepublik, lehnen Ausweis und Steuern ab. Und pöbeln auf Ämtern.

Teilen
Folgen
© André Schulze

Von Constanze Junghanss, Sabine Ohlenbusch und Sebastian Beutler

Als die Polizei Anfang September nach Oderwitz eilt, weiß sie nur etwas von einer Geiselnahme. Tatsächlich verbarrikadierte sich ein 60-jähriger Mann im Haus, ließ seinen 86-jährigen Vater nicht gehen und drohte mit einer Waffe. Der Mann gibt auf, ehe ein Spezialeinsatzkommando der Polizei das Haus stürmt. Bei seiner Festnahme bezeichnet er sich gegenüber den Beamten als „Reichsbürger“.

Der Oderwitzer steht nicht allein. Polizeieinsätze gegen Reichsbürger sind auch aus den Landkreisen Bautzen und Meißen bekannt. Bislang ist die Szene im Landkreis Görlitz nicht durch besonders schwere Straftaten aufgefallen. Aber die Behörden haben gar nicht so selten mit Leuten zu tun, die die Bundesrepublik nicht anerkennen, sondern behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort. In der Reichsbürgerbewegung tummeln sich Verschwörungstheoretiker, Spinner, Querulanten, aber auch Rechtsextreme und Waffennarren. Der Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Carlo Weber, äußerte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass „ein nationalistisch-revisionistisches, rassistisches, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung ablehnendes und in Teilen gewaltbefürwortendes Gedankengut“ für diese Gruppe kennzeichnend sei. Lange Zeit wurden sie nicht wirklich ernst genommen. Noch im Juli schätzte das Bundesinnenministerium ein, dass die „unstrukturierte, zersplitterte Reichsbürgerszene“ bislang „keine konkrete Gefahr“ für die öffentliche Ordnung und das Zusammenleben in Deutschland darstelle. Spätestens seit dem 19. Oktober ist das anders. Damals erschoss ein „Reichsbürger“ im bayerischen Georgensmünd einen Polizisten.

Seitdem laufen bei den Sicherheitsbehörden hektische Bemühungen, sich einen Überblick über die Reichsbürgerszene zu machen. Schließlich erwägt der Bund, die Reichsbürgerszene ab Anfang nächsten Jahres vom Bundesamt für Verfassungsschutz deutschlandweit beobachten zu lassen. Doch dazu benötigen die Experten erst einmal Klarheit über die Szene. Doch das ist gar nicht so einfach. So weiß zwar die Görlitzer Polizei von einzelnen Straftaten mit Beteiligung sogenannter Reichsbürger. „Gesonderte Statistiken zu Aktivitäten von ,Reichsbürgern’ werden in den Behörden des Freistaates Sachsen nicht geführt“, räumt Polizeisprecher Thomas Knaup ein.

Auch eine SZ-Umfrage ergab keine genauen Zahlen, da auch die Kreis-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen keine Statistik über selbst erklärte Anhänger dieser Szene führen. Über Erfahrungen mit ihnen äußern sich aber fast alle angefragten Ämter. So berichtet das Görlitzer Einwohnermeldeamt von Fantasiedokumenten, die die Mitarbeiter vorgelegt bekommen. In der Kämmerei weigern sie sich, Steuern oder Bußgelder zu bezahlen. Auch rühren sich die „Reichsbürger“ nicht, wenn ihr Ausweis abgelaufen ist. Dabei herrscht in Deutschland Ausweispflicht. Wer sie umgeht, dem droht ein Bußgeld. Wird der Personalausweis zerstört, kann gegebenenfalls Strafantrag wegen Sachbeschädigung gestellt werden, da Ausweisdokumente Eigentum der Bundesrepublik sind.“

So ist das Problem mittlerweile auch bei der Bußgeldstelle des Landkreises gut bekannt. Tendenz steigend. Denn hier landen alle Ausweisverweigerer, die den Staat nicht anerkennen. „Kollegen werden beschimpft, und es werden Fantasieschreiben zu laufenden Verfahren eingereicht“, erklärt Kreis-Sprecherin Marina Michel. Zwar versuchten die Meldeämter, die selbst ernannten Reichsbürger und Ausweisverweigerer auf die von ihnen verursachte Ordnungswidrigkeit hinzuweisen. „Empfohlen wird allerdings, sich mit ihnen auf keine Diskussion einzulassen und nur pauschal zu antworten“, so Marina Michel.

Der Verwaltungsverband Weißer Schöps/Neiße mit Sitz in Kodersdorf machte ganz früh Erfahrungen mit Reichsbürgern. Im Dezember 2012 kamen zwei Bürger mit zerschnittenen Ausweisen an. Derzeit sind dem Verband jeweils ein Reichsbürger im Schöpstal, einer in Neißeaue und zwei in Horka bekannt. Das Reichenbacher Rathaus weiß von zwei Einwohnern, die ihren Ausweis verweigern. Im Verwaltungsverband Diehsa, der die Gemeinden Hohendubrau, Mücka, Quitzdorf am See und Waldhufen umfasst, entzündet sich der Widerstand gegen staatliches Handeln oftmals bei Grundsteuererhöhungen. „In jüngster Zeit“, so sagt der Vorsitzende des Verbandes, Dirk Beck, „werden die Betreffenden wieder lauter und radikaler“. Häufiger hätten ihm selbst gemalte Unterlagen von Menschen aus dem gesamten Verbandsgebiet vorgelegen. Er hält sich ähnlich wie die Mitarbeiter in Kodersdorf an die Marschrichtung des Kreises: „Wir lassen uns diesbezüglich auf keinerlei Diskussionen mit diesen Bürgern ein, obwohl wir meistens auf das Übelste beleidigt werden und uns mit Anzeige gedroht wird.“ Auch die Mitarbeiter des Görlitzer Rathauses sind immer wieder mit Schreiben kruden Inhalts konfrontiert. Allein das ist aber noch keine Straftat. Allerdings, so bestätigt Sprecherin Sylvia Otto, wurden auch bereits Strafanträge gestellt – wegen Beleidigungen, Drohungen und in einem Fall auch Körperverletzung.

Das bestätigt auch die Görlitzer Staatsanwaltschaft. Die Verfahren werden jedoch auch hier nicht im Einzelnen erfasst, teilt Pressesprecher Till Neumann mit, so dass die Behörde innerhalb einer Woche nicht sagen kann, wie viele Verfahren bei ihr laufen oder bereits abgeschlossen wurden. Jedoch sei zu beobachten, sagt Neumann, dass „sich die Taten überwiegend auf Beleidigungsdelikte sowie Straftaten der versuchten Nötigung oder Erpressung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte beschränken“. Selbst ein Fall der Insolvenzverschleppung sei dabei. Doch einen Überblick sucht man hier wie überall bei den Behörden vergebens.