Merken

Reichsbürger wollen nicht zahlen

Weil sie die Existenz der BRD leugnen, ignorieren sie Bußgeldbescheide. Wie gehen Behörden mit diesen Leuten um?

Teilen
Folgen
© Archiv/André Schulze

Von Tina Soltysiak

Landkreis. Sie beschäftigen Behörden und öffentliche Verwaltungen mit kruden Schreiben, unsinnigen Forderungen und Strafandrohungen. Lange wurden die Reichsbürger als Spinner abgetan. Polizeieinsätze gegen Reichsbürger sind aus den Landkreisen Meißen und Bautzen bekannt. Bislang ist die Szene in Mittelsachsen nicht durch besonders schwere Straftaten aufgefallen. Aber die Behörden haben gar nicht so selten mit Leuten zu tun, die die Bundesrepublik nicht anerkennen, sondern behaupten, das Deutsche Reich bestehe fort. In der Reichsbürgerbewegung tummeln sich Verschwörungstheoretiker, Querulanten, aber auch Rechtsextreme und Waffennarren. Lange Zeit wurden sie nicht wirklich ernst genommen. Noch im Juli schätzte das Bundesinnenministerium ein, dass die „unstrukturierte, zersplitterte Reichsbürgerszene“ bislang „keine konkrete Gefahr“ für die öffentliche Ordnung und das Zusammenleben in Deutschland darstelle. Spätestens seit dem 19. Oktober ist das anders, als ein „Reichsbürger“ im bayerischen Georgensmünd einen Polizisten erschoss.

„Ich warne davor, sie nur als Spinner abzutun. Mit zunehmender Unzufriedenheit der Leute steigt die Anfälligkeit für solche Ideologien“, sagte Politikwissenschaftler Jan Rathje kürzlich in Roßwein bei einer vom Treibhausverein Döbeln organisierten Veranstaltung zum Thema „Reichsbürger“. Der Freistaat Sachsen habe Aufholbedarf, was die Beobachtungen dieser Gruppierungen betrifft, meint er.

Trotzdem Sozialhilfe beziehen

Seit dem 1. Dezember dieses Jahres stehen „Reichsbürger und Selbstverwalter“ unter Beobachtung des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen. Patricia Vernhold, Sprecherin des Sächsischen Innenministeriums, erklärte auf DA-Nachfrage, dass sich „Reichsbürger“ in Sachsen mit „öffentlichen Schreiben“, „öffentlichen Bekanntmachungen“ oder „Anordnungen“ an die Öffentlichkeit, aber auch gezielt an Dienststellen des Freistaates und der sächsischen Kommunen wenden. „Darin wird die Auffassung dargelegt und begründet, dass es die Bundesrepublik Deutschland als Staatsgebilde nicht gäbe“, erläuterte sie.

In vielen Fällen handele es sich lediglich um lokal oder regional aktive Einzelpersonen oder Gruppierungen, die die Verwaltung irritieren und stören, so Patricia Vernhold. Das bestätigen mittelsächsische Behörden auf DA-Nachfrage. Mitarbeiter verschiedener Fachbereiche des Landratsamtes Mittelsachsen hätten bereits Kontakt zu Bürgern gehabt, „die aufgrund ihrer Handlungen oder Äußerungen vermutlich dieser Bewegung zugerechnet werden“, so Kreissprecher André Kaiser. Die „Reichsbürger“ weigern sich beispielsweise Steuern, aber auch Strafzettel und andere Bußgelder zu bezahlen. Gerade hinsichtlich der Vollstreckung habe es wiederholt Schwierigkeiten mit dieser Bewegung gegeben. „Da grundsätzlich nicht nur die Existenz der Bundesrepublik Deutschland negiert wird, sondern auch die Legitimation der Behörden, werden selbst bestandskräftige Bescheide ignoriert“, so Kaiser. Trotzdem würden die Verfahren „normal“ weitergeführt und die verwaltungsrechtlichen Schritte vollzogen.

Im Zusammenhang mit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten in Bayern ist die Diskussion hochgekocht, „Reichsbürgern“ den Besitz von Waffen zu verbieten. Vor der Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis erfolge laut Kaiser eine sogenannte Bedürfnis- und Zuverlässigkeitsprüfung. „Insofern Versagungsgründe vorliegen, werden die beantragten Erlaubnisse nicht erteilt. Sie werden auch nicht erteilt, wenn die zur Erteilung notwendigen Unterlagen, Dokumente und Nachweise nicht vollständig vorliegen“, erklärte er.

Im Jobcenter Mittelsachsen habe es bisher nur wenige Einzelfälle gegeben. „In der Regel, wenn es sich um Rückforderungen oder Bußgelder handelt, berufen sie sich darauf, dass sie die geltenden Gesetze nicht anerkennen. In diesen wenigen Fällen gab es schriftliche Beschwerden mit entsprechenden Äußerungen und in seltenen Fällen auch Beleidigungen der Mitarbeiter“, so Sprecherin Annett Voigtländer. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen sei es bisher glücklicherweise nicht gekommen, ergänzte sie. Die Mitarbeiter seien geschult, wie sie sich in

Notsituationen zu verhalten haben. „Das rechtzeitige Einschalten der Führungskräfte vor Ort hat dann ausgereicht, um die Situationen mit vermeintlichen ,Reichsbürgern’ zu entschärfen“, erklärte sie.

Die Reichsbürger lehnen den Staat ab, wollen aber unter Umständen dennoch Leistungen des Jobcenters oder der Arbeitsagentur beziehen. Wie passt das zusammen? „Die Antragsteller geben sich nicht als ,Reichsbürger’ zu erkennen“, so Annett Voigtländer. Ihre Kollegin von der Arbeitsagentur, Mirjam Sobe, erklärte, dass die Behörde nur demjenigen Unterstützung gewährt, der sich aktenkundig durch einen Personalausweis oder Reisepass der Bundesrepublik Deutschland ausweisen kann. „Da ,Reichsbürger’ die Existenz der Bundesrepublik leugnen, verneinen sie auch die Legitimität von Grundgesetz, Behörden und Gerichten und besitzen ,eigene Personaldokumente’. Die darf die Bundesagentur für Arbeit jedoch nicht akzeptieren, sodass die Antragstellung auf Arbeitslosengeld I oder II abgelehnt werden muss“, so Mirjam Sobe. In der Agentur für Arbeit Freiberg habe es bislang noch keine Nachfragen von „Reichsbürgern“ gegeben. „Die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen brauchen keine Handlungsempfehlung, da die bestehenden Gesetze für sie bindend sind“, erklärte sie. Zu diesem „Dienst nach Vorschrift“ rät auch Politikwissenschaftler Jan Rathje.