Riesa
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Reise in die Vergangenheit

Eine Sonderausstellung im Museum widmet sich dem Kindsein – und lässt vor allem die Riesaer selbst zu Wort kommen.

Von Stefan Lehmann
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Brigitte Bock hat schon eine ganze Reihe von Besuchergruppen durch die Sonderausstellung im Museum geführt. Die allermeisten erkennen den einen oder anderen Gegenstand wieder.
Brigitte Bock hat schon eine ganze Reihe von Besuchergruppen durch die Sonderausstellung im Museum geführt. Die allermeisten erkennen den einen oder anderen Gegenstand wieder. ©  Sebastian Schultz

Riesa. Den roten Puppenwagen hat sie gleich wiedererkannt, erzählt Brigitte Bock und lächelt. „Genau so einen Kinderwagen haben wir zur Hochzeit von den Schwiegereltern bekommen.“ Die Erinnerungen an das gute Stück, in dem sie ihre Tochter und ihren Sohn spazieren fuhr, kamen gleich wieder hoch, als jemand die kleine Version im Museum vorbeibrachte.

Wie Brigitte Bock dürfte es vielen gehen, die die Ausstellung „Mit kleinen Schritten in die große Welt“ besuchen. Die Präsentation im Haus am Poppitzer Platz ist eins der Ergebnisse aus dem Projekt „Stadtgefährten“, das mittlerweile seit zwei Jahren läuft. Und sie ist für die meisten Besucher eine Art Reise zurück in die eigene Vergangenheit. Nahezu jeder ältere Besucher erkenne irgendeines der Ausstellungsstücke von früher wieder, sagt Brigitte Bock, die als museumspädagogische Mitarbeiterin im Museum schon mehrmals Besucher durch die Ausstellung geführt hat.

Vor der Reise in die Vergangenheit betreten die Besucher allerdings erst einmal das Kinderzimmer der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit. „Die Kinder, mit denen ich durch die Ausstellung gehe, stellen dann öfters fest, dass sie letztlich nur mit einem Bruchteil des Spielzeugs wirklich spielen, das sie bei sich zu Hause haben“, sagt Bock. Von diesem Eingangsbereich geht es dann abschnittsweise weiter, vom Säuglingsalter über die Krippen- und Kitazeit bis in die frühe Jugend.

Zeitzeugen berichten in Bild und Ton: Deutlich stärker als bei früheren Ausstellungen setzt das Museum diesmal auf Multimedia-Elemente.  
Zeitzeugen berichten in Bild und Ton: Deutlich stärker als bei früheren Ausstellungen setzt das Museum diesmal auf Multimedia-Elemente.   ©  Sebastian Schultz

Viele Exponate wurden überhaupt erst von Bewohnern der Stadt zur Verfügung gestellt. „89 Leihgeber haben die Ausstellung unterstützt“, erklärt Museumsmitarbeiterin Ramona Geißler. Von Kaufmannsläden über Poesiealben aus der Schulzeit bis hin zu Medaillen und Kindergarten-Chroniken ist alles dabei. Dazu kommen Raritäten aus dem frühen 20. Jahrhundert, die Kinder heute nicht mehr kennen dürften. Etwa eine alte Schulbank, wie sie bis in die 70er-Jahre benutzt wurden. Oder ein Matrosenanzug – eine gängige Kleidung zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts angesichts des allgegenwärtigen Kaiserkults.

Eine Uniformpflicht gab es damals nicht, betonen die Museumsmitarbeiterinnen. Aber der junge Kaiser habe eben diese Sachen getragen. Die Kleidung entsprach damit schlicht dem Zeitgeist. „Außerdem muss man sagen, dass es vermutlich der erste Kleidungsstil war, der funktional und auf die speziellen Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten war.“ Die Knickerbocker versprachen schlicht mehr Bewegungsfreiheit als die strengen Kleider in vorangegangenen Jahrzehnten. Zu vielen Exponaten haben die Leihgeber auch gleich eine Geschichte mitgeliefert. So erfährt der Besucher etwa, was Teddy „Matzel“ alles mitgemacht hat oder wie sehr sich eine Dame aus Riesa über ein gestricktes Unterkleid gefreut hat, das sie zur Jugendweihe bekam.

Neben diesen schriftlichen Zeitzeugenberichten lebt die Ausstellung aber vor allem von den multimedial aufbereiteten Erzählungen. „Wir haben dieses Mal deutlich mehr Multimedia-Elemente dabei als bei früheren Ausstellungen“, sagt Ramona Geißler. Unzählige Interviews wurden im Rahmen des Stadtgefährten-Projekts geführt, bei den Erzählsalons kam deutlich mehr Material zusammen, als sich für diese eine Ausstellung verwenden ließe. Die Berichte, die es letztlich hineingeschafft haben, werden aber sehr rege genutzt, hat Ramona Geißler beobachtet.

Vor diesen lebhaften Schilderungen der Zeitzeugen treten die harten geschichtlichen Fakten etwas zurück. Es habe darüber durchaus einige Diskussionen gegeben, deutet Ramona Geißler an. Aber zu viele Tafeln zum Mitlesen hätten die Ausstellung möglicherweise überfrachtet oder die Besucher ermüdet. Was nicht heißt, dass die Sonderausstellung eine pure Nostalgie-Veranstaltung ist. Denn wer will, kann sich neben den Zeitzeugenberichten trotzdem die eine oder andere Zusatzinformation aneignen.

So geben Grafiken etwa Auskunft über die erschreckend hohe Kindersterblichkeit gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, und es wird über die Anfänge der Namensweihe als sozialistischer „Ersatz“ für die kirchliche Taufe informiert, ebenso wie über die Geschichte der Kinderbetreuung in Riesa, beginnend mit einer Kinderbewahranstalt Mitte des 19. Jahrhunderts. Garniert sind diese Informationen mit Fotos aus den Kindereinrichtungen der DDR-Zeit. Auch dort dürfte sich mancher Besucher wiederentdecken – und gedanklich in die eigene Kindheit zurückreisen.

Die Ausstellung „Mit kleinen Schritten in die große Welt – Kindsein in Riesa im 20. Jahrhundert“ kann noch bis 6. Oktober im Haus am Poppitzer Platz besucht werden.

Die Ausstellung zeigt auch das Kinderzimmer, ...
Die Ausstellung zeigt auch das Kinderzimmer, ... © Sebastian Schultz
... die Schulbank ...
... die Schulbank ... © Sebastian Schultz
... und den Kaufmannsladen von früher.
... und den Kaufmannsladen von früher. © Sebastian Schultz