Von Christoph Scharf
Dreieinhalb Tonnen Gewicht, 1.400 PS, reichlich 250 Sachen Spitzengeschwindigkeit. Die Werte von Christoph 62 können sich sehen lassen. Der gelbe Rettungshubschrauber auf dem Bautzener Flugplatz ist im vergangenen Jahr so oft gestartet, wie noch nie: Fast 1.100 Einsätze zählten die Mitarbeiter der ADAC-Luftrettung. Ein Zuwachs von fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Grund dafür ist derselbe wie in anderen Regionen Sachsens: Der Notarztmangel am Boden.
Sind die beiden regulären Notärzte im Landkreis mit ihren PS-starken Kombis schon zu Rettungseinsätzen fernab von Bautzen unterwegs, wird es knapp, wenn ein weiterer Hilferuf in der Leitstelle eingeht. „Dann sind wir am Zug“, sagt Ulrich Grenz, Leiter der Hubschrauberstation am Bautzener Flugplatz. Dann wirft der Pilot die Triebwerke des Helikopters an. Ein speziell ausgebildeter Rettungsassistent spurtet auf den Nachbarsitz. Hinten steigt ein Notarzt ein, der meist vom Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt abgestellt ist. Binnen weniger Minuten schwebt die Maschine mit der ADAC-Aufschrift über dem Flugfeld, bevor es an den Einsatzort geht. Gut die Hälfte der 1.100 Flüge vergangenes Jahr waren Rettungseinsätze – oft nach schweren Verkehrsunfällen. Ein weiterer Schwerpunkt der Bautzener Truppe ist die Bergwacht: Ihr Hubschrauber vom Typ BK 117 ist aufgrund seiner speziellen Ausrüstung dazu geeignet, Helfer in unzugänglichen Gegenden per Bergetau abzulassen – oder Verunglückte auf demselben Weg zu retten. Stürzt im hintersten Winkel der Sächsischen Schweiz ein Kletterer ab oder klappt ein Wanderer mit einem Kreislaufzusammenbruch zusammen, kommt die Hilfe vom einstigen NVA-Flugplatz an der Weißenberger Straße.
Mehrere Hundert Mal pro Jahr starten Ulrich Grenz und seine Kollegen aber auch zu sogenannten Sekundär-Einsätzen. Das sind im Regelfall Flüge von einem Krankenhaus in ein anderes. Sehr häufig sind dabei Säuglinge an Bord. Anders als manch moderne Hubschraubermodelle bietet der mehr als 20 Jahre alte Bautzener Flieger so viel Platz, dass auch neben der eigentlichen Besatzung noch Platz für einen weiteren Arzt, eine Krankenschwester und einen Säuglings-Brutkasten bleibt – den sogenannten Inkubator. Solche Schnelltransporte sind nötig, wenn es in einem kleineren Krankenhaus Probleme mit Neugeborenen gibt und die Kinder möglichst schnell in Spezialkliniken überführt werden müssen. In solchen Fällen ist der Bautzener Hubschrauber auch mal bis nach München oder Tübingen unterwegs.
Ähnlich aufwenig ist der Transport von Menschen mit sperrigen externen Herzschrittmachern. Das betrifft meist Patienten, die auf ein Spenderherz warten. Sie müssen im Regelfall ins Leipziger Krankenhaus, das sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Für die Bautzener ist die Strecke schnell zu meistern: 40 Minuten braucht der Hubschrauber von Litten aus.
Weil viele neuere Maschinen von den Abmessungen her für solche Einsätze gar nicht infrage kommen, wird das Bautzener Exemplar Baujahr 1990 noch lange im Einsatz sein. „Bis auf die eigentliche Zelle sind die meisten Teile sowieso schon mal ausgetauscht worden“, sagt der Stationsleiter. Alle 50 Flugstunden wird der Hubschrauber in der eigenen Halle nebenan unter die Lupe genommen. Alle 300 Flugstunden steht eine Kontrolle in der Werft in Bonn an, wo Techniker die Maschine weitgehend zerlegen und regelmäßig Bauteile ersetzen. So ist die ständige Einsatzbereitschaft des gelben Dreieinhalbtonners gesichert.
Aus dem Grund hat die ADAC-Luftrettung jetzt auch drei neue Piloten am Standort Bautzen eingestellt. Denn nach neuen Luftfahrt-Vorschriften müssen mittlerweile nachts immer zwei Piloten mitfliegen – bislang genügte einer. Da für die Bautzener eine 24-Stunden-Einsatzbereitschaft gilt, reichte das vorhandene Personal nicht mehr aus. Deshalb soll dieses Jahr sogar das Unterkunftsgebäude am Flugplatz vergrößert werden. Schließlich brauchen zusätzliche Piloten auch mehr Platz.
Weil die neuen Kollegen noch fleißig mit der BK 117 trainieren müssen, wird der Flugbetrieb wohl noch weiter zunehmen. „Wir danken den Anwohnern für das Verständnis“, sagt Ulrich Grenz. Denn ganz leise ist der Hubschrauber nicht. Dafür kann die Besatzung Leben retten.