Von Martina Rathkeund Axel Büssem
Ein Dutzend Atomkraftgegner sitzt am späten Dienstagabend auf den Bahngleisen mitten in der vorpommerschen Landschaft bei Kemnitz. Nur der Lichtkegel vom Polizeihubschrauber, der über ihnen kreist, hebt sie von der dunklen Nacht ab. Schweigend drücken sie ihren Protest gegen das aus, was auf sie zurollt: ein Spezialtransport mit dem Reaktordruckgefäß aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg. Kurz vor dem Ziel des Zuges, dem atomaren Zwischenlager Nord in Lubmin bei Greifswald, schaffen sie es, die geballte Staatsmacht auszutricksen. 1700 Polizisten hatten den Transport seit dem Morgen abgesichert. Sie können nicht verhindern, dass die Aktivisten den Transport fast eine Stunde aufhalten, bevor er Lubmin um 0.45 Uhr erreicht.
Damit hat der Zug am Ende rund zwei Stunden Verspätung. Schon im brandenburgischen Dierberg hatten Atomgegner mit einem Transparent den Zug für zehn Minuten gestoppt. Vier wurden in Gewahrsam genommen, ebenso die zwölf Gleisblockierer, die die Polizei schließlich mit sanfter Gewalt von den Gleisen holt. Insgesamt werden während des Transports laut Polizei 16 Atomgegner in Gewahrsam genommen. Kurz nachdem der Zug Lubmin erreicht hat, werden alle freigelassen.
Die mehr als dreizehnstündige Fahrt war laut Energiewerke Nord (EWN) der erste Transport eines radioaktiven Druckgefäßes per Zug. Das Rheinsberger Reaktorgefäß wiegt 170 Tonnen. Gegner des Transports hatten daher massive Bedenken gegen die Sicherheit der Brücken auf der rund 290 Kilometer langen Strecke. Die Bahn hatte jedoch vorgesorgt. Sie überprüfte die gesamte Strecke, zwei Brücken wurden zur Sicherheit abgestützt.
Das Kernkraftwerk Rheinsberg mit einer elektrischen Leistung von 70 Megawatt war vor 17 Jahren stillgelegt worden. Es war Lehr- und Versuchsreaktor der DDR und von 1966 bis 1990 in Betrieb. Seine Demontage begann 1995. Im Zwischenlager Nord auf dem Gelände des ebenfalls stillgelegten Kernkraftwerkes Lubmin wird der Reaktordruckbehälter, in dessen Innern die Kernspaltung vollzogen wurde, zunächst im Ganzen eingelagert. Dort wird bereits der Kernbrennstoff aus Rheinsberg in Castor-Behältern verwahrt. Er hat eine Strahlenabschirmung aus 15 Zentimeter dickem Stahl erhalten. Im Zwischenlager soll die Reaktorhülle mindestens 40 Jahre lang abklingen. Dann wird sie zerlegt. (dpa)