Angeblich soll sich der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki für seinen 85. Geburtstag am 2. Juni unter anderen zwei Gratulanten gewünscht haben: Thomas Gottschalk und Richard von Weizsäcker. Ob das wirklich so kommt, dafür will sich der frühere Bundespräsident nicht verbürgen. Aber die hübsche Geschichte freut ihn gleichwohl, vollendet er doch wenige Wochen zuvor, am 15. April, auch sein 85. Lebensjahr. Vor elf Jahren schied er aus dem Amt, doch für viele Bundesbürger verkörpert Weizsäcker immer noch den Idealtypus eines Staatsoberhauptes.
Am 15. April 1920 in Stuttgart als viertes Kind des Diplomaten Ernst von Weizsäcker geboren, macht er nach dem Krieg Karriere in Wirtschaft und Politik. Die düstere Seite der deutschen Geschichte, mit der er sich immer wieder auseinander setzt, prägte auch die Familiengeschichte. 1981 geht er von Bonn in das von Affären gebeutelte West-Berlin und wird Regierender Bürgermeister. 1984 wird er der sechste Bundespräsident.
Den Aufstieg Weizsäckers hat Helmut Kohl tatkräftig gefördert. Doch ein folgsamer Parteigänger war Weizsäcker nie. In den 70er Jahren warb er gegen die Parteilinie für die von der sozialliberalen Koalition ausgehandelten Ostverträge. Als Bundespräsident macht Weizsäcker später aus seiner kritischen Distanz zum Parteienbetrieb keinen Hehl. Unvergessen ist seine Schelte der Parteien, die er 1992 als „machtversessen und machtvergessen“ geißelte. (dpa)