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„Riesa hat Angst vor neuen Wegen“

Stadtrat und Ex-Kulturwerkchef Dirk Haubold wollte eigentlich weg aus Riesa. Jetzt ist er wieder da.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Er ist zurück: Dirk Haubold – Stadtrat (Freie Wähler), Ex-Kulturwerk-Chef, Kutscher, streitbarer Geist, studierter Sozialarbeiter, Ur-Riesaer. Im Frühjahr ging er an die Küste. In Wilhelmshaven war der 49-Jährige wieder in seinem Element: Im Kulturzentrum Pumpwerk organisierte er Konzerte, Lesungen, Kleinkunst-Vorstellungen – wie bis 2014 in Riesa. Und jetzt? Im SZ-Interview spricht Haubold über seine Zeit im hohen Norden, die Rückkehr nach Sachsen und seine Pläne für die Zukunft.

Herr Haubold, Sie haben das letzte halbe Jahr in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz an der Nordsee verbracht. Wie war das?

Sehr schön! Ich habe dort gelebt, wo andere Urlaub machen.

Allerdings gingen die anderen an den Strand und Sie zur Arbeit.

Das stimmt. Aber ich bin gern auf Arbeit gegangen. Außerdem bin ich auch gar nicht so der Strandtyp. Baden ist weniger mein Ding. Trotzdem mag ich das Meer: den Wind, das raue Klima. Daher war die Lösung auf dem Campingplatz auch genau die richtige. Vor dem Ende der Probezeit wollte ich nicht mit meinem ganzen Hausstand umziehen. Auch meine Familie ist erst einmal in Riesa geblieben, und mein Stadtratsmandat habe ich auch behalten. Das war ein ganz schöner Spagat – eine anstrengende Zeit.

Dass Sie nicht alles in Riesa stehen und liegen gelassen haben, hat sich offenbar bewährt. Sie sind wieder zurück. Was ist passiert?

Um das vorweg zu nehmen: Ich wäre lieber geblieben. Die Stadt hat schon allein wegen ihrer Größe ein gutes kulturelles Angebot. Die Menschen habe ich als sehr aufgeschlossen erlebt. Und wenn ich als Sachse mal nicht verstanden wurde, habe ich es eben noch mal gesagt. Dieses leidige Ost-West-Gehabe hat überhaupt keine Rolle gespielt. In Wilhelmshaven tummeln sich sowieso Menschen aus der ganzen Republik. Und auch der Job war gut. Ich war für Weltmusik und Kleinkunst zuständig. Innerhalb kürzester Zeit habe ich das Programm für das komplette nächste Jahr organisiert. Aber ich habe in meinem Team keine Entwicklungsperspektive gesehen. Die Probezeit ist ja dafür da, zu sehen, ob alles passt, was passen muss. Das war leider nicht der Fall. Nach ein paar Monaten haben der Chef und ich uns angesehen und gewusst, dass das mit mir als Wirbelwind nicht passt.

Das wird viele Riesaer vermutlich nicht überraschen. Wollten Sie wieder mit dem Kopf durch die Wand?

Diesmal nicht. Aber meine Füße kann ich auch nicht stillhalten. Ich konnte in dem Team einfach nicht so, wie ich wollte.

Wie ist es, wieder in Riesa zu leben?

Natürlich fühle ich mich in meinem Haus und mit meiner Familie wohl. Aber ich muss auch sagen, dass mir eine breit aufgestellte Kulturlandschaft hier fehlt. Außerdem geht mir der Umgang mit der Flüchtlingskrise auf den Geist – diese ablehnende, konservative Haltung. Und die Klagen über die Sauberkeit und angebliche Schandflecke finde ich müßig. Man sollte sich einfach noch mal vor Augen rufen, wie Riesa vor 26 Jahren ausgesehen hat. Allein die Fassaden – das ganze Stadtbild ist heute auf einem ganz anderen Niveau. Mich wundert es übrigens gar nicht, dass junge Leute abwandern.

Was lässt sich dagegen tun?

Natürlich habe ich kein Patentrezept gegen den demografischen Wandel im ländlichen Raum. Aber ein bisschen mehr Mut zu Veränderungen wäre ein Anfang. Mir fehlt einfach der positive Zeitgeist. Stattdessen gibt es eine unglaubliche Angst davor, neue Wege zu gehen. Das sehen wir auch an den letzten Entscheidungen im Stadtrat.

Welche meinen Sie?

Zum Beispiel den Beschluss zur Gewinnentnahme aus unserer städtischen WGR. Die Mehrheit hat das leider abgelehnt – bloß um nichts zu riskieren, dabei wäre das eine Chance für Riesa gewesen. Ich meine außerdem die unsägliche Diskussion um die Überprüfung der Stadttochter AGV. Eigentlich waren sich im Vorfeld alle einig. Und dann wird das Vorhaben auf der Zielgeraden doch noch zerredet – und kommt nur mit einer hauchdünnen Mehrheit und Stimmen zustande, auf die man eigentlich lieber verzichten würde. (Anm. der Red: Stimmen der rechtsextremen NPD)

Wie geht es beruflich jetzt weiter?

Ich werde mich weiter nach freien Stellen in der Kulturbranche umschauen. Wenn es etwas Passendes gibt, ist der Ort erst einmal zweitrangig.

Trauern Sie dem Kulturwerk noch nach?

Ich trauere dem kulturellen Miteinander nach, das das Kulturwerk in Riesa geschaffen hat. Es war nicht einfach nur eine Bühne, sondern Nährboden für bürgerschaftliches Engagement. Das Kulturwerk war ein Netzwerk und ein Motor der Szene. Das sehen wir bis heute. Letztlich war das Kulturwerk Geburtshelfer des Kunst- und Handwerkermarkts in Gostewitz und der Klosterweihnacht. Heute habe ich den Eindruck, dass jeder wieder seins macht.

Das Gespräch führte Britta Veltzke.