Berlin/Gröditz. Inka Wirtjes, die Leiterin der Gröditzer Stadtbibliothek, wünscht sich eine größere Auswahl an aktuellen E-Books. So wie ihr geht es vielen ihrer Kollegen in Deutschland. Deshalb haben Inka Wirtjes und mehr als 1.100 andere Bibliothekare einen offenen Brief des Deutschen Bibliothekenverbands (DBV) unterschrieben, der an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerichtet ist.
Darin heißt es: "Der freie Zugang zu Wissen und Information, unabhängig von Bezahlschranken, ist ein Grundrecht Ihrer Wähler. Da aber E-Books in Bibliotheken von diesem Grundrecht ausgenommen sind, ist es hochgradig gefährdet." Anlässlich des geplanten Gesetzentwurfes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes sei es deshalb unerlässlich, endlich eine entsprechende gesetzliche Regelung dort aufzunehmen.
Der Hintergrund: Immer mehr Bücher werden heute als E-Book digital veröffentlicht. Die Corona-Pandemie habe diese Entwicklung zusätzlich verstärkt. Der digitale Zugang sei derzeit oft die einzige Möglichkeit, an Bücher, Informationen und Medien heranzukommen. Bibliotheken müssten aber auch mit digitalen Angeboten ihrer Aufgabe nachkommen und ihre Nutzer in geeigneter Weise versorgen können. "Doch wer derzeit in öffentlichen Bibliotheken die aktuellen Titel der Bestsellerlisten als E-Book ausleihen will, bleibt häufig erfolglos", so der DBV.
Nur wenig Chancen auf Bestseller
Der Verband nennt in seinem offenen Brief das Beispiel der „Spiegel“-Bestsellerliste. "Derzeit verweigern die Verlage den Bibliotheken 70 Prozent der E-Book-Titel der Spiegel-Bestsellerliste." Lizenzen für die Ausleihe würden häufig erst nach monatelanger Wartezeit, oftmals auch gar nicht, eingeräumt.
Vor vielen Jahren habe die deutsche Politik ihren Bürgern den freien Zugang zu gedruckten Büchern durch ein Verleihrecht für Bücher in Bibliotheken gesichert. "Aber dieses Recht gilt nicht für E-Books", kritisiert der DBV. Obwohl die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den Bibliotheken das Recht zur Ausleihe von E-Books nach denselben Regelungen wie für gedruckte Bücher zugesteht, lege die Bundesregierung dem Bundestag eine Novellierung des Urheberrechts zur Beratung vor, die erneut keine Rechtsgrundlage für die Ausleihe von E-Books schaffe, und das trotz jahrelanger Diskussion und Zusagen.
"Die Verlage brechen zunehmend die seit Jahrzehnten für beide Seiten bewährten Spielregeln zur Ausleihe von Büchern", heißt es in dem Schreiben. Dabei hätten die Bibliotheken seit mehr als zehn Jahren demonstriert, wie die Ausleihe der E-Books nach den gleichen Regeln wie für die gedruckten Werke durchgeführt wird.
Studie: Bibliothekleser kaufen auch
Der Deutsche Bibliothekenverband widerspricht der Auffassung der Verlage, dass das Ausleihen den Verkauf von E-Books eingeschränkt. Im Gegenteil: Der E-Book-Kauf würde sogar angereizt. Dies habe eine Studie des Börsenvereins ergeben. Danach gehörten Bibliotheksnutzer zu den aktivsten Käufern – sowohl bei gedruckten Büchern als auch bei E-Books.
Der DBV befürchtet, dass Bibliotheksnutzer zu "Lesern zweiter Klasse“ werden. Zugleich würde die kommunale Kultur- und Bildungsinfrastruktur der Öffentlichen Bibliotheken ausgehöhlt. Deshalb müsse der Entwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes korrigiert werden.
Zu den Erstunterzeichnern zählen u.a. der BDV-Vorsitzende Prof. Dr. Andreas Degkwitz und Prof. Dr. Thomas Bürger, der ehemalige Generaldirektor der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden. Aktuell wurde der Offene Brief 1.147 Mal unterschrieben.