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Ist Corona schuld an mehr Todesfällen im Kreis Meißen?

Im vergangenen Jahr sind deutlich mehr Menschen gestorben als üblich. Woran das liegt, dazu kursieren viele Behauptungen. Sächsische.de macht den Faktencheck.

Von Peter Anderson & Theresa Hellwig
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Eine Übersterblichkeit von 65 Prozent hat es im November 2020 im Kreis Meißen gegeben. Die Zahlen stellte das Krematorium von Geschäftsführer Jörg Schaldach vor große Herausforderungen.
Eine Übersterblichkeit von 65 Prozent hat es im November 2020 im Kreis Meißen gegeben. Die Zahlen stellte das Krematorium von Geschäftsführer Jörg Schaldach vor große Herausforderungen. © Claudia Hübschmann

Meißen. "Wir arbeiten an der Kapazitätsgrenze." Das sagte der Leiter des Meißner Krematoriums Jörg Schaldach im Januar gegenüber Sächsische.de. In der Lagerhalle stapelten sich die Särge zu diesem Zeitpunkt mannshoch. Zeitweise musste auf die Feierhalle zurückgegriffen werden. Dass die Corona-Pandemie Auswirkungen hat, merken Bestatter wie er ganz deutlich. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die das Ganze leugnen, die behaupten, eine Übersterblichkeit gibt es nicht – und wenn, dann habe sie andere Ursachen als Corona. Sächsische.de hat sich die Zahlen genauer angeschaut.

Wie viele Sterbefälle gab es 2020 im Kreis Meißen?

Zunächst einmal: Es sind viele Tote. Sächsische.de liegen die Zahlen seit 2010 vor – und in keinem Jahr sind im Kreis Meißen so viele Menschen gestorben wie 2020. In den Jahren 2010 bis 2019 schwankte die Zahl der Sterbefälle zwischen 3.003 und 3.361. Im vergangenen Jahr waren es laut Statistischem Landesamt 3.910 Todesfälle. Das ist im Vergleich zum Durchschnitt der vorangegangenen Jahre eine Übersterblichkeit von knapp 23 Prozent.

Besonders viele Leute sind im Dezember gestorben, aber auch im November lag die Zahl bereits deutlich höher als sonst. Konkret waren es im Landkreis Meißen im Dezember 638 Todesfälle. Im November starben 435 Menschen. Zur Einordnung: In den Jahren 2010 bis 2019 lag die Durchschnittszahl bei den Sterbefällen im Dezember bei 301 und im November bei 264.

Im vergangenen Dezember starben im Kreis Meißen also 337 Leute mehr als sonst üblich. Und im November 171. Das ist eine Übersterblichkeit von etwa 65 Prozent und im Dezember sogar von 112 Prozent.

Ist diese Übersterblichkeit auf Corona zurückzuführen?

Definitiv nachgewiesen worden ist Corona 2020 laut Landratsamt bei 67 der Gestorbenen im November und bei 242 im Dezember. Dazu kommen von April bis Oktober 26 weitere Fälle. In den Sommermonaten Juli, August und September lagen die Corona bedingten Sterbezahlen bei Null. Dazu kommt vermutlich eine hohe Dunkelziffer.

Die nachgewiesenen Corona-Todesfälle machen somit im November nahezu 40 Prozent und im Dezember knapp 72 Prozent der Mehrfälle aus.

Werden mehr Corona-Tote gezählt, als es wirklich gibt?

Immer wieder werden die veröffentlichten Todeszahlen angezweifelt. So heißt es etwa: „Wer einen Autounfall hat und Corona, der geht als Corona-Toter in die Statistik ein.“

Nach Behördenangaben sowie Aussagen des Robert-Koch-Instituts ist dies falsch. Die Fälle „verstorben an Coronavirus“ und „verstorben mit Coronavirus“ werden dem RKI zufolge zusammengefasst, um ein genaueres Bild der Todesfälle zu bekommen. Damit solle verhindert werden, dass die Todesfälle untererfasst werden, so Sprecherin Marieke Degen gegenüber dem Aufklärungsportal Correctiv.org.

Jemand, der gewaltsam durch Eigen- oder Fremdeinwirkung stirbt, sei demnach „verstorben mit“ Covid-19 und werde in die Statistik der Todesfälle aufgenommen. „Die beschriebene Situation – dass jemand an Covid-19 erkrankt ist und danach tödlich verunglückt – ist sehr selten", sagt Marieke Degen.

© SZ Grafik

Gibt es noch andere Gründe für die hohen Todeszahlen?

Die nachgewiesenen Corona-Todesfälle decken im November nahezu 40 Prozent und im Dezember knapp 72 Prozent der Mehrfälle im Landkreis ab. Wie lassen sich die restlichen 60 Prozent beziehungsweise 28 Prozent erklären?

Hier gibt es offenbar tatsächlich weiteren Analysebedarf. Das Phänomen tritt sachsenweit auf. Etwa die Hälfte der aktuell im Freistaat beobachteten Übersterblichkeit könne nicht direkt mit einer registrierten Covid-19-Erkrankung in Verbindung gebracht werden, heißt es in einem Bericht des Institut für Statistik der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Das Statistische Landesamt müsse analysieren, "ob und warum in Sachsen eine extreme nicht-Covid-19 bedingte Übersterblichkeit besteht oder ob diese durch fehlende Post-mortem Tests, falsch ausgestellte Todesursachen, reine Datenfehler oder anderweitig begründet werden kann".

Was ist mit den Grippetoten?

Dem Landratsamt Meißen zufolge gab es 2020 keinen Grippetoten. Auch 2021 ist dies bislang nicht der Fall. Bis zum Stichtag 19. Februar sei ein Influenzafall vom Gesundheitsamt Meißen registriert worden. Die geringere Grippe-Fallzahl kann nach Behördenangaben auf die Kontaktbeschränkungen, die Hygienemaßnahmen und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz zurückgeführt werden.

Auch Magen-Darm-Erkrankungen konnten in den vergangenen Monaten stark zurückgedrängt werden. Norovirus-Infektionen: minus 55 Prozent. "Auch hier zeigt sich ein deutlicher Einfluss der Corona-Schutzmaßnahmen auf das aktuelle Infektionsgeschehen", schätzt die Landesuntersuchungsanstalt ein. Noroviren werden meist über Schmierinfektionen weitergegeben. Die gebetsmühlenartige Aufforderung zum häufigeren Händewaschen scheint also tatsächlich etwas gebracht zu haben. Dasselbe gilt für Brechdurchfall, der durch Salmonellen ausgelöst wird: minus 29 Prozent, verglichen mit dem Jahr davor.

Steigt die Zahl der Suizide angesichts des Lockdowns?

Von Leugnern der Pandemie wird auch behauptet, dass die hohen Todeszahlen auf Suizide angesichts des Lockdowns zurückzuführen seien. Auf eine Anfrage zu aktuellen Zahlen für 2020 teilte das Statistische Landesamt mit, diese würden für den Landkreis Meißen erst im Sommer vorliegen.

Bereits bekannt sind Zahlen für den Landkreis Bautzen. Dort geht die Polizei derzeit für 2020 von 42 Suiziden aus. Die Zahl sei jedoch insofern vage, da sich manchmal im Nachhinein noch andere Todesursachen herausstellen würden. Sicher ist aber: Die Zahl ist 2020 nicht unüblich hoch gewesen. Das zeigt ein Blick in die Statistik. So gab es in den beiden vorherigen Jahren sogar etwas mehr Fälle. Ähnliche Angaben liegen für den Landkreis Görlitz vor.