Der Bücherkönig wird 85

Staucha. König wollte er schon immer sein. Bereits im Kindergarten. Deshalb ist er dort mal rausgeflogen. Weil er sich geweigert hatte, ein Lied mit der Strophe "Mädel heirate mich, ich bin ein Lump" zu singen. "Ich wollte aber nicht der Lump sein, sondern der König", sagt er und lacht. Später spielte der Schauspieler und Intendant den König Drosselbart im gleichnamigen in Märchenfilm.
Wie viele Filme er gedreht hat, weiß der Mann, der am 1. Juni seinen 85. Geburtstag feiert, nicht genau. Die Zahl der "Tatorte", in denen er den Kommissar Bruno Ehrlicher gab, schon. Es waren genau 45. "Ich hätte gern die 50 voll gemacht. Doch mal wollte mich nicht mehr, wegen des Alters", sagt er. Den Namen Ehrlicher hatte er sich zu einem großen Teil selbst gegeben. "Ich habe gesagt, wenn ich einen "Tatort"-Kommissar spielen soll, dann möchte ich es ehrlicher machen als alle anderen", erzählt der gebürtige Meißner, der aus Weinböhla stammt und dort aufwuchs.
Vor einigen Jahren nun ist er in seine sächsische Heimat zurückgekehrt, wohnt in Staucha und baute dort die Peter-Sodann-Bibliothek auf. Wie viele Bücher aus der Zeit zwischen 1945 und 1990 dort lagern, weiß er nicht genau. Es dürften mittlerweile zwei Millionen sein. In seinem zweiten Leben ist Peter Sodann sozusagen der Bücherkönig.
Ein bisschen geht es ihm wie Goethes Zauberlehrling. Die Geister, die er rief, wird er nun nicht los. Er geht in die Scheune, schaltet da Licht an, zeigt auf einen Stapel voller Kisten. "Das ist das Ergebnis der vergangenen Woche." Er freut sich und er ärgert sich zugleich. "Die Leute schmeißen mit den Büchern auch ihr Gehirn weg, wollen ihre Vergangenheit vergessen. Das Vergessen ist die Mutter der Verwahrlosung", sagt er.
Viele hätten bis heute nicht begriffen oder wollten nicht begreifen, was er da eigentlich mache. "Als ich hierher kam und die Bibliothek eröffnete, zeigten mir Kinder auf der Straße einen Vogel. Da konnte ich mir denken, was die Leute so über mich redeten", sagt er. Dabei möchte er doch nur Kulturgut bewahren.
In der Bibliothek werden nicht nur Bücher angenommen, sortiert, katalogisiert, sondern auch verkauft. Nämlich welche, die mehrfach vorhanden sind. Lieferungen gehen nach ganz Deutschland, aber auch nach Frankreich oder sogar China. Dennoch: Die Zahl der Neueingänge übersteigt die der Verkäufe um ein Vielfaches. Er hat einen Traum. Er wünsche sich, dass mal eine junge Frau mit ihrem Kind komme und diesem sage: "Ich zeige dir mal, was es alles an Büchern gibt." Er macht eine kurze Pause, sagt dann resigniert: "Aber es kommt keine."
Wo der Hund begraben lag
Peter Sodann hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er ist ständig unterwegs, ständig auf Achse. Schon als 14-Jähriger fährt er mit dem Fahrrad von Weinböhla auf den Sachsenring. Turnt später auf dem Einrad, tritt einem Motorradclub bei. Bereut er etwas, würde er heute etwas anders machen? "Nein ich würde alles wieder genauso machen", sagt er fast ein bisschen trotzig. Also auch wie damals in Leipzig mit seinem Studentenkabarett "Rat der Spötter" in seinem Programm "Wo der Hund begraben liegt" einem Stoffhund das "Neue Deutschland" in den Hintern schieben? Das brachte ihm 1961 wegen konterrevolutionärer und staatsgefährdender Hetze fast zehn Monate Untersuchungshaft. Ironie der Geschichte: Seinen damaligen Vernehmer spielte er 1995 in Frank Beyers Verfilmung des gleichnamigen Romans "Nikolaikirche".
Schließlich wird er zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt, gleichzeitig aus der SED, der er 1959 beitrat, ausgeschlossen. Ehe er sein angefangenes Schauspielstudium fortsetzen durfte, musste er sich in der sozialistischen Produktion bewähren. Machte im Starkstromanlagenbau eine Ausbildung zum Dreher. Ab 1963 konnte er sein Studium fortsetzen.
Einfach vor die Tür gesetzt
Peter Sodann wächst als Einzelkind auf, stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Mutter Elsa ist schon 31 Jahre alt, als er geboren wird, ist Landarbeiterin. Sein Vater Willi ist Stanzer und Kommunist. Im April 1944 wird der Vater in die Wehrmacht eingezogen. Als wenige Monate später Pfarrer Leuner vor der Tür steht, wissen er und seine Mutter Bescheid. Der Vater ist mit 44 Jahren an der Ostfront gestorben.
Der sinnlose Tod seines über alles geliebten Vaters trifft den damals Achtjährigen schwer, er hat ihn bis heute nicht überwunden. Viel später wird er den Platz, an dem sein Vater begraben sein soll, besuchen. "Es war schlimm", erinnert er sich. Sein Vater prägte ihn. Er trat in die FDJ ein und später in die SED. "Ich wollte die Welt verbessern", sagt er. Das will er bis heute.
Sein erstes Theaterengagement bekommt er 1964 am Berliner Ensemble. Unter der Regie von Brecht-Witwe Helene Weigel spielt er dort in "Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui". 1966 wechselt er an die Städtischen Bühnen Erfurt, 1971 zum Städtischen Theater Karl-Marx-Stadt. 1975 wird Peter Sodann Schauspieldirektor an den Bühnen der Stadt Magdeburg.
Seit März 1980 ist Peter Sodann Schauspieldirektor am Landestheater Halle. Dort baut er gemeinsam mit seinen Schauspielkollegen ein neues Theater. Bis 2004 leitet er als Intendant das Theater, möchte es noch bis zu seinem 25. Jubiläum tun. Doch sein Vertrag wird nicht verlängert. Sodann sieht das bis heute als Rausschmiss. "Die haben mich einfach vor die Tür gesetzt", sagt er.
Viel Heuchelei kennengelernt
Peter Sodann engagiert sich auch politisch. 2009 stellt er sich für die Partei Die Linke in der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten. "Vom Ergebnis war ich nicht enttäuscht, es war doch klar, dass ich nicht gewinne", sagt er. Immerhin. Er bekam 91 Stimmen, zwei mehr, als die Partei Die Linke Delegierte hat. "Ich war neugierig, fand mich in meinem Leben bestätigt", sagt er heute. Und er habe viele Erfahrungen gemacht, zum Beispiel mit Heuchelei. "Der Bürgermeister einer norddeutschen Großstadt - gewiss kein Freund der "Linken" - hat sich damals vor mir so tief verbeugt, dass ich Angst hatte, er fällt hin, und ich muss ihn aufheben", sagt er und lacht.
Hat jemand mit solch einem bewegten Leben nicht Lust, seine Biografie zu schreiben? Peter Sodann winkt ab. "So wichtig bin ich nicht, das interessiert doch keinen", sagt er. "Vor Jahren habe ich mal angefangen, was zu kritzeln. Ich weiß gar nicht, wo ich das hingeschmissen habe", so der Träger des Bundesverdienstkreuzes und Ehrenbürger von Halle.
Heimweh nach langen Drehs
Seit mehr als 25 Jahren ist Peter Sodann in zweiter Ehe mit Cornelia Brenner-Sodann verheiratet. Die Hochzeit fand am 27. Dezember 1995 in seiner Heimat Weinböhla statt. Anwesend waren nur das Brautpaar, die Standesbeamte und zwei Trauzeugen - Mitarbeiter der Verwaltung, die man kurzerhand dafür gewonnen hatte. "Die Boulevardpresse war hinter uns her. Ich sollte in Weiß heiraten, was wir ablehnten, schließlich war es für uns beide nicht die erste Hochzeit", sagt sie. Und so haben sie spontan, still und heimlich geheiratet, die Boulevardpresse ausgetrickst.
Seine Frau ist auch bei fast allen Dreharbeiten mit dabei, so auf Sri Lanka oder auf Kreta, wo fünf Wochen gedreht wurde. Auch sie ist sehr bodenständig. "Wenn die Drehs sehr lange dauerten, hatten wir Heimweh, wollten nach Hause, endlich mal wieder Leberwurstbrote essen", sagt sie und lacht.
Nicht nur Leberwurstbrote wird es wohl zum 85. Geburtstag geben. "Jedenfalls sind wir an diesem Tag nicht zu Hause", sagt Cornelia Brenner-Sodann. Ihr Mann verrät es dann doch: Gefeiert wird mit den Kindern in Halle. Die Stadt ist also nicht sein Zuhause, sondern Staucha? Scheint fast so. Dass sich ihr Mann von seinen Büchern trennt, ist für seine Frau kaum vorstellbar. "Ein Künstler wie er kann doch nie aufhören", sagt sie. Möge sie recht behalten. Was wäre schließlich ein Bücherkönig ohne Bücher?
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