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Geheimnisse aus der Riesaer Gruft werden gelüftet

Jahrhundertelang gaben die Mumien in der Klosterkirche den Riesaern Rätsel auf. Eine Ausstellung beantwortet jetzt einige Fragen - und wirft neue auf.

Von Stefan Lehmann
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Kuratorin Amelie Alterauge erfuhr in Mannheim erstmals von der Riesaer Gruft. Ihr ist es zu verdanken, dass die Begräbnisstätte erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.
Kuratorin Amelie Alterauge erfuhr in Mannheim erstmals von der Riesaer Gruft. Ihr ist es zu verdanken, dass die Begräbnisstätte erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet wurde. © Sebastian Schultz

Riesa. Diese Schau ist ein Mammutprogramm, sagt Riesas Museumsleiterin Maritta Prätzel. "In dem Umfang und finanziellen Rahmen hatten wir hier noch keine Ausstellung." Ab Sonntag widmet sich das Haus am Poppitzer Platz den "Geschichten über den Tod hinaus" - und dabei im Besonderen der Gruft unter dem Altar der Klosterkirche.

Den Anstoß hatte die Archäologin und Anthropologin Amelie Alterauge gegeben. Als sie beruflich in Mannheim zu tun hatte, habe sie von den Mumien in der Partnerstadt gehört, erzählt sie. Die Wissenschaftlerin arbeitete zu dieser Zeit an ihrer Promotion zu neuzeitlichen Gruftbestattungen - und fragte an, ob sie nicht den Bestand in der Klostergruft aufarbeiten könne.

Er sei ganz zu Beginn skeptisch gewesen, erzählt Michael Herold vom Kirchenvorstand. Es habe auch schon Leute gegeben, die sich fälschlich als Forscher ausgaben, nur um einen Blick in die Gruft zu erhaschen. Letztlich fasste der Kirchenvorstand aber Vertrauen - der Grundstein für die wissenschaftliche Aufarbeitung war gelegt.

Das ist mittlerweile fast fünf Jahre her. 2018 waren die Untersuchungen vor Ort abgeschlossen, nun ist es Zeit, der Öffentlichkeit die Ergebnisse vorzustellen. Im Stadtmuseum werden dabei vor allem die kostbaren Grabbeigaben zu sehen sein, die teils aufwendig restauriert wurden: Gebetsbücher, Totenkronen, verschiedene Kleidungsstücke. Eins der Prunkstücke sind Kinderschuhe aus Goldleder. Die Technik, mit der das Gold in den Stoff eingearbeitet wurde, kannte man bislang nur von Goldtapete, erklärt Amelie Alterauge. "Es war völlig unbekannt, dass diese Technik auch bei Schuhen angewandt wurde." Ebenfalls goldverziert sind die Sargfragmente, die in der Ausstellung zu sehen sind, und auf denen Bibelsprüche vermerkt wurden.

Pfarrer Martin Scheiter lobt kurz vor der Eröffnung die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerin, Kirche, Stadt und Museum. Die Ausstellung sei "Ausweis dafür, dass es sich lohnt, sich Partner zu suchen". Allein hätte die Kirche die wissenschaftliche Aufarbeitung wohl nicht stemmen können.

Diese Sargfragmente sind mit Gold verziert. Zum Vorschein kam das erst bei der Restaurierung.
Diese Sargfragmente sind mit Gold verziert. Zum Vorschein kam das erst bei der Restaurierung. © Sebastian Schultz
Die wertvollsten Stücke aus der Klostergruft sind Textilien, erklärt Kuratorin Amelie Alterauge. Für die Kinderschuhe unten rechts wurde Goldleder verwendet. Ein Fund, den es so noch nie gab.
Die wertvollsten Stücke aus der Klostergruft sind Textilien, erklärt Kuratorin Amelie Alterauge. Für die Kinderschuhe unten rechts wurde Goldleder verwendet. Ein Fund, den es so noch nie gab. © Sebastian Schultz
Diese fast 150 Jahre alte Taufschale haben die Nachfahren der Gutsbesitzer ans Museum verliehen. Sie ist bis heute in Benutzung.
Diese fast 150 Jahre alte Taufschale haben die Nachfahren der Gutsbesitzer ans Museum verliehen. Sie ist bis heute in Benutzung. © Sebastian Schultz
Werkzeug, mit dem die Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen arbeiteten. Auch davon berichtet die Ausstellung.
Werkzeug, mit dem die Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen arbeiteten. Auch davon berichtet die Ausstellung. © Sebastian Schultz

Thematisch ist die Ausstellung etwa in fünf größere Bereiche unterteilt, erklärt Museumsleiterin Maritta Prätzel. Am Eingang können sich die Besucher zunächst über die Vorgeschichte informieren: das Riesaer Kloster und dessen Umwandlung zum Rittergut. Dort sind auch einige der archäologischen Entdeckungen zu sehen, die während der Bauarbeiten auf dem Rathausplatz auftauchten. Ein zweiter Ausstellungsteil widmet sich der Geschichte der Grüfte und der Entdeckungsgeschichte der Riesaer Klostergruft. Im dritten Teil geht es schließlich um die Arbeiten des Forscherteams in der Gruft. Die waren mit einigem Aufwand verbunden, denn die Mumien blieben dafür vor Ort. Die Geräte mussten also nach Riesa gebracht werden.

Nach der umfangreichen Vorstellung der Grabbeigaben und Fundstücke aus der Gruft widmet sich die Ausstellung schließlich den Einzelschicksalen der Gutsherren - und stellt drei von ihnen vor. Dort wird auch eins der vielen Rätsel um die Gruft gelüftet. "Lange hielt sich das Gerücht, dass in der Gruft auch der Militärschriftsteller und Kartograph Ernst Otto Innocenz Freiherr von Odeleben bestattet sei. Damit konnte dank DNA-Analysen aufgeräumt werden. Aber wer war die unbekannte Mumie dann? Auch darauf gibt die Ausstellung eine mögliche Antwort. In diesem Abschnitt der Schau werden auch Leihstücke zu sehen sein, die die Nachkommen der Gutsbesitzer dem Museum zur Verfügung stellen - darunter eine Taufschale, die seit fast 150 Jahren in Familienbesitz ist.

Den Abschluss der Ausstellung bildet eine Tür, die in einen kleinen Raum führt - und gedanklich zurück zur Gegenwart. Der kleine Raum soll dazu einladen, sich mit Tod und Bestattungskultur auseinanderzusetzen. "Der Tod findet heute versteckt statt", erklärt Pfarrer Martin Scheiter. Gestorben werde in Heimen oder Krankenhäusern, es gebe keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Tod. "Ich halte das für eine ungute Entwicklung." Auch dazu will die Ausstellung einen Beitrag leisten: sich mit der eigenen Vergänglichkeit und dem Sinn des Daseins auseinanderzusetzen.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gruft sieht Amelie Alterauge übrigens längst noch nicht beendet. Sie sei "sehr offen für weitere Projekte", sagt sie. "Je weiter man forscht, desto mehr Rätsel gibt es."

  • Die Sonderausstellung wird am 22. August eröffnet, dann führt Kuratorin Amelie Alterauge um 11 Uhr persönlich durch die Ausstellung. Zuvor gibt es ab 9.30 Uhr in der Trinitatiskirche einen Gottesdienst.
  • Anmeldung für die Expertenführung: 03525 659300 oder [email protected]

  • Außerdem gibt es ab 23. August Führungen durch die Gruft; entweder nach Vereinbarung unter 03525 62010, oder ohne Anmeldung an Wochenenden von 14 bis 18 Uhr.