Riesa. Wann hat es das zuletzt gegeben? Mehrere Dutzend Profimusiker, die sich mit dunklen Anzügen oder schwarzen Kleidern für ihren Auftritt zurecht gemacht haben? Die vor dem Spiegel ein letztes Mal die Fliege zurecht rücken und einen prüfenden Blick auf ihre Frisur werfen? Früher war das Alltag in der Kulturbranche. Aber jetzt, nach einem gefühlt endlosen Lockdown, springen solche Details ins Auge.
Die Orchester-Musiker nehmen im Saal in Gröba ihre Plätze ein. Hier, in Sichtweite des Riesaer Hafens, befindet sich der Sitz der Elbland-Philharmonie. Und hier beginnt nun gleich das erste große Konzert seit Monaten.

Die letzten größeren Auftritte hatte es im Herbst gegeben, da hatte man noch fleißig für den Dezember geprobt. Dann folgte der zweite Lockdown - in dem lediglich kleine Blechbläser-Ensembles vor Pflegeheimen oder Krankenhäusern spielen konnten oder spezielle Formate wie eine Online-Weinprobe mit der Winzergenossenschaft möglich waren.
Aber ein Konzert wie jetzt, das gab es noch nicht. Schon der Blick von der Empore herab auf das Orchester verrät: Da ist einiges anders als sonst. Große Abstände befinden sich zwischen den Musikern. Der Saal reicht kaum aus, um die 32 Musiker zu fassen. Und da verlaufen auch noch bündelweise schwarze Kabel netzartig durch den Raum. Sie enden an Mikrofonständern, die überall im Raum verteilt sind.
Denn eines fehlt hier an der Riesaer Kirchstraße: das Publikum. Konzerte mit Hunderten Zuhörern sind bislang noch nicht zulässig. Und deshalb hat man sich bei der Elbland-Philharmonie entschlossen, nun erstmals ein großes Konzert mitzuschneiden - und es über Ostern im Internet zu übertragen.

"Der Lockdown zieht und zieht sich hin", sagt Mitarbeiterin Julia Gläßer. "Eigentlich wollten wir längst wieder mit Auftritten präsent sein." Aber wann das wieder möglich ist, kann keiner mit Verlässlichkeit sagen - deshalb nun die Online-Variante. "Wir wollen den Leuten im Elbland zu Ostern etwas bieten!" Dann kann sich jeder Internet-Nutzer auf der Orchester-Homepage anschauen, was da gerade in Riesa aufgezeichnet wird.
Nun hat der Dirigent auf seinem kleinen Podest den Einsatz für Respighis „Die Vögel" gegeben - die Geigen erklingen, Querflöte, Fagott und Klarinette fallen ein, während Trompete und Horn noch auf ihren Einsatz warten. Aber warum bloß sitzt Chefdirigent Ekkehard Klemm am Rand und blättert zuhörend durch die Partitur?
"Bei diesem Stück binden wir Dirigierstudenten ein", sagt Julia Gläßer. Schon traditionell können Studenten der Dresdner Musikhochschule bei der Elbland-Philharmonie Praxiserfahrungen sammeln - in Orchesterworkshops oder bei Schülerkonzerten. Nur: Die gibt es im Lockdown nicht. "Gerade den jungen Künstlern in Ausbildung fehlt seit langer Zeit jegliche Praxis mit dem Orchester", sagt die Sprecherin.
Daher tritt nun bei jedem Satz aus „Die Vögel“ ein anderer Student aufs Pult und dirigiert. Dabei dürfte einige Aufregung im Spiel sein, wenn es den jungen Damen und Herren auch nur wenig anzumerken ist: Ihre Dirigate werden benotet.

Die Profimusiker an den Instrumenten gehen gelassen damit um. Für mehr Aufregung sorgt in einer Pause die Frage, wer in einem Takt immer ein Cis spielt, wo doch eigentlich alle ein C spielen sollen. Schnell hat sich der Verantwortliche gefunden: ein Klarinettist greift zum Bleistift und korrigiert seine Noten. Kein Problem - noch ist das hier die Generalprobe für die Aufzeichnung. Und warum dann schon die guten Anzüge?
Die Antwort kommt von einer Stimme aus dem Off: "Obacht, vor dem offenen Fenster wird jetzt eine Drohne fliegen, wir machen eine Aufzeichnung." Und so setzen die Musiker wieder ein - während vom Hof her ein Geräusch immer lauter wird, als nähere sich ein wütender Wespenschwarm. Dann ist die graue Drohne zu erkennen, deren Kamera von außen in den Saal späht. Denn das auf Video aufgezeichnete Frühlingskonzert soll nicht nur die Musiker ins rechte Licht rücken - sondern auch die Region, in der die Elbland-Philharmonie zuhause ist. Von Pirna aus bis nach Riesa fliegt dieser Tage eine Drohne durchs Elbtal, um Luftaufnahmen aus dem Elbland zu sammeln. Bekannte Auftrittsorte des Orchester werden in Szene gesetzt, um die Musik mit Bildern zu untermalen.
Und wann sind dann wieder ganz reguläre Live-Konzerte möglich? Mit Sicherheit kann das noch niemand sagen. Eigentlich wären im April die Schülerkonzerte dran. Aber werden die Schulen ihre Schüler nach monatelangem Heim-Unterricht gleich ins Konzert schicken? Unwahrscheinlich. "Wir schauen derzeit auf den Mai", sagt Julia Gläßer. Die Proben jedenfalls laufen schon. Und der Orchesterplan für das Jahr 2022 ist schon jetzt so voll wie nie zuvor.
Das Frühlingskonzert ist vom 1. bis zum 11. April 2021 kostenfrei verfügbar unter elbland-philharmonie-sachsen.de. Das Programm:
- Wolfgang Amadeus Mozart - 29. Sinfonie A-Dur
- Wolfgang Amadeus Mozart - Violinkonzert Nr. 3 G-Dur
- Ottorino Respighi - Gli Uccelli (Die Vögel)
- Edvard Grieg - Hochzeitstag auf Troldhaugen
- Johann Strauss Sohn - Frühlingsstimmen-Walzer
- Gerhard Winkler - Frühling in Paris
- Gesang: Subin Park (Koloratursopran); Solistin: Charlotte Thiele (Violine); Dirigent Ekkehard Klemm; außerdem die Dirigierstudenten Ovanes Ambartsunian, Benedikt Kantert, Yeuun Oh, Alexander Sidoruk, Sungjin Kim
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