Riesa. Wenn es um die eigenen Kinder geht, siegt das Gefühl manchmal über den Verstand. Das umso mehr, wenn die Kleinen von Altersgenossen gehänselt und drangsaliert werden. Die Mutter einer Riesaer Drittklässlerin übte sich deshalb vor Jahresfrist in Selbstjustiz. Sie rückte morgens zu Unterrichtsbeginn in der Grundschule an und wollte die betreffenden Kinder zur Rede stellen.
Trotz der mehrfachen Aufforderung der Lehrerin, das Klassenzimmer zu verlassen, versuchte sie, die Namen der vermeintlichen Mobber in Erfahrung zu bringen. Dabei soll sie gedroht haben, beim geplanten Klassenausflug in den Leipziger Zoo am Bahnhof in Riesa aufzukreuzen. Dort werde sie sich die fünf Übeltäter "greifen". Die Lehrerin zeigte sie daraufhin an, und nun sitzt die 36-Jährige auf der Anklagebank des Riesaer Amtsgerichts.
"Ich habe mich im Ton vergriffen", gibt die Frau vor Gericht unumwunden zu. Aber das Maß sei einfach voll gewesen. Ihre Tochter werde schon seit der ersten Klasse gemobbt. Sie sei von Mitschülern zum Beispiel als "fette Schlampe" tituliert worden. Andere hätten ihr Sand aufs Pausenbrot gestreut und ihr ins Gesicht getreten. Am Tag vor der Tat sei die Kleine nach Hause gekommen, habe ein Messer aus Küche geholt und gesagt, sie wolle nicht mehr leben. Daraufhin gingen der Mutter offenbar die Nerven durch.
Schule bat nach der Szene um Polizeischutz
Nun ist das mit Erzählungen von Kindern immer so eine Sache. Man weiß nie genau, was der Realität entspricht und wo die Fantasie einsetzt. Aber ganz aus der Luft gegriffen sind solche Schilderungen meist nicht. Auf der anderen Seite war wohl auch das betroffene Mädchen im Umgang nicht ganz einfach. Die Lehrerin schildert eine Situation, in der sie mit den anderen Schülern den Klassenraum verlassen musste. Die Kleine habe das Zimmer anschließend regelrecht verwüstet. "Meine Tochter ist auch kein Engel", räumt die Angeklagte ein.
Wie die Lehrerin im Zeugenstand aussagt, hat der Auftritt der Mutter im Klassenzimmer etliche Schüler nachhaltig verstört. Einige hätten sich die Ohren zugehalten, andere geweint. Und sie hätte weitreichende Ängste ausgelöst. Immer wieder fragten Kinder besorgt an, ob die Angeklagte nun wirklich zum Bahnhof kommen werde. Letztlich bat die Schule um Polizeischutz, und beim Klassenausflug stand tatsächlich ein Streifenwagen vorm Bahnhof.
Der Konflikt bringt das Gericht in eine sehr spezielle Situation. Auf der einen Seite eine verzweifelte Mutter, die ihre Tochter vor Mobbing schützen will. Auf der anderen Seite die Schule, die natürlich das Wohl aller Kinder im Blick haben muss. Das lässt sich mit Mitteln des Strafrechts kaum auflösen. Richterin Rita Großmann stellt deshalb nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine Geldauflage ein. Die Riesaerin muss 150 Euro an den Kinderschutzbund überweisen.
Ihre Tochter hat inzwischen die Schule gewechselt und wird von den neuen Klassenkameraden wohl auch anerkannt und integriert. Sie bekommt außerdem Unterstützung von einer Psychologin, hat ihr eigenes Verhalten dadurch besser im Griff. Die Mutter konnte das Mädchen sogar für den Besuch des Gymnasiums anmelden.