Riesa. Am Freitagvormittag herrscht in der Riesaer Elbgalerie ein Betrieb, der an normale Zeiten erinnert: Kunden fahren voll bepackte Wagen mit dem Wochenendeinkauf aus dem Kaufland, stehen beim Bäcker an oder nehmen die Rolltreppe Richtung Rossmann. Den Mund-Nasen-Schutz tragen alle vorbildlich - auch die Teilnehmer der jährlichen Kerzen-Wiege-Aktion, die als einige von wenigen öffentlichen Aktionen nicht der Pandemie zum Opfer fällt.
Wieder haben ein Jahr lang Riesaer Kerzenreste für einen guten Zweck gesammelt. In Bananenkartons stapelt sich, was in Wohnzimmern, auf Küchentischen oder bei Kaffeekränzchen anfiel: abgebrannte rote Adventskerzen, von der Sonneneinstrahlung krumm gewordene Schmuckkerzen, zusammengeschmolzene Wachsklumpen.
Manche Stummel sind so kurz, dass sie kaum noch als Kerzenrest erkennbar sind. "Man sieht, dass die Leute wegen der Pandemie länger zu Hause waren", sagt Andree Schittko, Centermanager der Elbgalerie. "Sie haben ihre Kerzen offenbar länger brennen lassen: Die Reste sind kleiner geworden." In seiner Eigenschaft als Macher des Stadtbahnvereins greift Schittko zum Bedienteil der elektronischen Waage.
Seit 2010 sammelt der Verein in Riesa Kerzenreste. In der Elbgalerie, in der Riesa-Information, bei der Wohnungsgenossenschaft gibt es zum Jahresende Sammelstellen, wo man Wachsreste abgeben kann. Zeitweise kam dabei mehr als eine Tonne zusammen. Doch schon beim ersten Blick auf die gestapelten Bananenkisten in der Elbgalerie ist klar: Unter Corona-Bedingungen werden es dieses Jahr nicht so viele sein.

Hansgeorg Kießling von den Diakonischen Werkstätten Großenhain - dort landen die Wachsreste - packt zu und wuchtet einen vollen Karton auf die Waage. Andree Schittko liest das Ergebnis vor, was gleich notiert wird. Dann kommt Kurt Hähnichen vom Stadtbahnverein, dann der "Riesaer Riese" Gunter Spies: Routiniert wandert eine Kiste nach der anderen erst auf die Waage, dann auf eine bereitgestellte Palette. Der Center-Manager gibt die Kilowerte durch: 17,5. 20,6. 17,8.
Was jetzt in der Einkaufspassage gewogen wird, geht nachher auf die Reise nach Großenhain. In der Kerzenzieherei Skäßchen der Diakonie stellen Förderschüler daraus neue Kerzen her. Was dabei für extravagante Stücke entstehen können, ist auf einem Tisch nebenan zu betrachten - gestreifte, gemusterte, pyramidenförmige Exemplare sind darunter. Und wenn die Wachsreste gar zu bunt vermischt sind, eignen sie sich immer noch für handgefertigte Kaminanzünder.

In anderen Jahren präsentierten die Schüler selbst ihre Produkte in Riesa. Doch wegen Corona ist einiges anders. Auch in den Diakonischen Werkstätten. "Bei uns gilt derzeit grundsätzlich ein Betretungsverbot", sagt Einrichtungsleiter Kießling. Doch es sind Ausnahmen genehmigt - etwa für die Beschäftigten, die zu Hause nicht angemessen zu betreuen wären. Für die wird eine Notbetreuung sichergestellt. Auch die Berufsausbildung wird trotz Corona fortgesetzt. Und Beschäftigte, die für den wirtschaftlichen Betrieb des Hauses unverzichtbar sind, arbeiten ebenfalls weiter. In Summe heißt das, dass von den sonst 225 Beschäftigten in Großenhain jetzt nur noch ein Viertel vor Ort sind.
Die Kerzenzieher jedenfalls werden jetzt wieder etwas zu tun bekommen: Obwohl 2020 in den Gaststätten weniger Kerzenreste angefallen sein dürften, kommt auch dieses Mal ein ordentliches Ergebnis zusammen: 661,8 Kilogramm ist das Ergebnis am Freitag. "Das ist doch Klasse unter Corona-Bedingungen", sagt Gunter Spies.
Die Kerzen sind zu haben im Laden der Diakonie in Großenhain und in der Riesa-Information - wenn die Läden wieder regulär öffnen dürfen.
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