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Riesa: Ein Dorf zieht an einem Strang

Mit vereinten Kräften haben die Canitzer ihre zerstörte Kirche wieder aufgebaut. Wie konnte das gelingen?

Von Stefan Lehmann
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Für die wiederaufgebaute Kirche mit der spektakulären Glasfront bekam das Architekturbüro einen Preis.
Für die wiederaufgebaute Kirche mit der spektakulären Glasfront bekam das Architekturbüro einen Preis. © Sebastian Schultz

Riesa. Vom Vereinsheim führt ein Tor aufs Kirchengelände, dann geht es am Friedhof vorbei über den geschotterten Weg zur Tür. Ralf Zscherper schließt die Tür auf und bittet ins Innere der neuen Kirche: helles Holz, viel Licht, eine große Glasfassade zum früheren Altarraum, der nun als kleiner Hof im Freien liegt.

Seit 2005 hatten sich Zscherper und die anderen Mitglieder des Canitzer Fördervereins um den Wiederaufbau des während der DDR-Zeit verfallenen Hauses bemüht. Nach der feierlichen Eröffnung im Juni soll nun am Sonntag der erste reguläre Gottesdienst stattfinden.

Für die neu errichtete Kirche konnte das Architekturbüro gleich noch einen Preis einheimsen. "Das ist schon erstaunlich", sagt Ralf Zscherper, "dass unsere Kirche bei 73 Einreichungen unter die sieben besten kommt."

40.000 Euro Eigenmittel gesammelt

Es ist nicht bloß Verdienst des Fördervereins, dass die Kirche wieder auferstanden ist. Man habe das ja am besten gesehen, als die Canitzer 2019 in der Sendung "Mach dich ran" Spendengelder für den Wiederaufbau erspielten. 70.000 Euro kamen so noch mal zu den 40.000 Euro, die der Verein aus eigener Kraft gesammelt hatte. Bei der MDR-Sendung waren unter anderem auch Mitglieder der SG Canitz dabei, im Hintergrund kümmerte sich die Feuerwehr um die Bewirtung der vielen Gäste – wie kürzlich bei der Eröffnungsfeier.

"Das ist Canitz", sagt Ralf Zscherper dazu. Es ist das Zitat eines Bekannten aus einem Nachbarort, der bei der MDR-Sendung geholfen hatte. Es gebe da diesen Gemeinschaftssinn, man helfe einander. Der Kirchenaufbau ist da nur eine Aktion von vielen, bei denen sie sich unterstützen.

Die Canitzer bei einer der drei Mach-Dich-Ran-Runden. 70.000 Euro von der Stiftung "Kiba" erspielten sie am Ende in der MDR-Sendung. Ein wichtiger Baustein für die Wiedererrichtung der Kirche.
Die Canitzer bei einer der drei Mach-Dich-Ran-Runden. 70.000 Euro von der Stiftung "Kiba" erspielten sie am Ende in der MDR-Sendung. Ein wichtiger Baustein für die Wiedererrichtung der Kirche. © privat

Der Sportverein ist wohl so etwas wie der Anker im Dorf. Die SG Canitz, 300 Mitglieder, ein halbes Dutzend Sparten, hat ihr Vereinsgrundstück in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche. Der Vorsitzende Gerd Keller erzählt, dass er den Kirchenrettern beispielsweise beim Schreiben der Förderanträge geholfen hatte. Und als es an den Einzug ging, hätten sich in kürzester Zeit elf Umzugshelfer gefunden, um beispielsweise die Elektroorgel nach oben zu hieven.

"Wir haben hier eigentlich relativ wenig Gemeindemitglieder", sagt Ralf Zscherper, der ehrenamtlich auch noch im Ortschaftsrat und bei der SG Canitz arbeitet. "Trotzdem wollten auch viele wieder eine Kirche im Dorf, die nicht christlich sind. Das hat auch dem Baupfleger der Landeskirche imponiert." Auf das Geld der Kirche war man angewiesen gewesen, ohne hätte es nicht geklappt mit dem Wiederaufbau.

"Die Canitzer feiern auch gern"

Manch anderes Dorf dürfte auch neidisch werden, wenn es sich ansieht, wie oft in Canitz in den vergangenen Jahren etwas los war. "Die Canitzer feiern auch gern", sagt Ralf Zscherper und schmunzelt. Dorffest, Martinsumzug, Flohmarkt, Ortsführungen oder Tage der offenen Tür. "Jeder organisiert dabei mal etwas", erklärt Ortswehrleiter Denis Balzer. Er lebt seit den frühen 1990er-Jahren im Riesaer Stadtteil. Sorgen macht ihm, ob das auch in Zukunft so möglich ist. Die Sicherheitsauflagen seien infolge der Pandemie deutlich strenger geworden.

Der Nachwuchs bereitet da weniger Probleme. Zwar sei er mit 41 der Jüngste in der Canitzer Feuerwehr, sagt Denis Balzer. Die SG Canitz aber wird wohl kein Nachwuchsproblem haben – auch wenn der Vorsitzende Gerd Keller Ende des Jahres wohl kürzertreten will, ebenso wie Ralf Zscherper, der in der Sportgemeinschaft stellvertretender Vorsitzender ist. "Es haben sich einige Jüngere gefunden, die sich jetzt schon mal mit einarbeiten", sagt Gerd Keller. "Es könnte mehr sein, aber ich bin da zuversichtlich."

Ralf Zscherper in der sanierten, wieder aufgebauten Kirche in Canitz.
Ralf Zscherper in der sanierten, wieder aufgebauten Kirche in Canitz. © Sebastian Schultz

Weil im Dorf nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht, ist in den vergangenen Jahren auch einiges mehr geworden als allein der Kirchenaufbau. Einen Rastplatz für Radfahrer samt Reparaturstation gibt es sowie neue Schautafeln. Da rentiert sich aus Gerd Kellers Sicht, dass man miteinander redet, auch der Draht zu allen Ortschaftsräten funktioniert. "Wir haben hier schon einiges erreicht, das macht mich auch stolz."

Der Bau an sich ist fertig, Hochzeiten und Trauerfeiern können hier wieder stattfinden, der monatliche Gottesdienst, vielleicht auch mal kleine Konzerte. "Für den August ist die erste Taufe angemeldet", sagt Ralf Zscherper, der selbst noch in Borna heiraten musste, weil die Kirche damals eine Ruine war.

"Das große Ziel ist erreicht", so Zscherper. Da könnten sie sich beim Förderverein für den Wiederaufbau der Kirche auch zurücklehnen – oder? "Der Verein wird sicher weiter bestehen", entgegnet er. Um die Kirche seien noch einige Wege anzulegen. Und dann wird man sich wohl weiteren Aufgaben fürs Dorf widmen: "Die Landfrauennachmittage wollen wir weiterführen, das wird gut angenommen." Dann wären da noch Martinsumzug und Tag des Denkmals, bei denen der Verein aktiv bleiben möchte.

Perspektivisch würden sie sich im Ort noch ein modernes Dorfgemeinschaftshaus wünschen, sagt Zscherper. Dann wäre die Ortsmitte vollständig wiederbelebt. Bis dahin gibt es noch einige kleine Projekte, die sie angehen werden, um ihr Dorf zu verschönern. Um Geld aus dem Bürgerfonds von Sprungbrett haben sie sich etwa beworben, erzählt Gerd Keller. Davon könnten neue Bänke und einige Schautafeln angeschafft werden.