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Strehla: "Die Wölfe nehmen langsam überhand"

Schafe werden gerissen, immer mehr Handy-Videos von Sichtungen kursieren. Einwohner fürchten, dass es dabei nicht bleibt.

Von Christoph Scharf
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Ein Strehlaer Jäger bekommt ständig Wolfssichtungen gemeldet – kann aber nichts tun. Einer seiner Bekannten hat Sorge um seine Schafe, die bei Görzig nahe der Elbe weiden.
Ein Strehlaer Jäger bekommt ständig Wolfssichtungen gemeldet – kann aber nichts tun. Einer seiner Bekannten hat Sorge um seine Schafe, die bei Görzig nahe der Elbe weiden. © Sebastian Schultz

Strehla. Neugierig mustert das Tier die Landmaschine, die da gerade auf dem Feld an ihm vorbeifährt. Sein Gefährte schaut aus etwas größerer Entfernung zu. Beide Tiere nehmen aber erst Reißaus, als der Traktorfahrer stehen bleibt und überdies die Hupe betätigt. 35 Sekunden lang ist das Handyvideo, das jetzt in Strehla von Hand zu Hand geht. Es reiht sich ein in eine Reihe ähnlicher Videos von mutmaßlichen Wolfssichtungen: Da gibt es Tiere, die über ein umgepflügtes Feld laufen. Und ein Exemplar, das direkt am Ortsschild des Ortsteils Trebnitz schnuppernd die Fahrbahn quert – alles am helllichten Tag.

"Die Wölfe nehmen langsam überhand", sagt ein Jäger aus Strehla. Ständig würden ihn Leute anrufen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Sichtungen habe es auch in Oppitzsch, Großrügeln, Paußnitz, Görzig, sogar aus dem Strehlaer Stadtpark gegeben. "Es heißt: Mach doch was! Aber was soll ich denn machen?", sagt der Jagdpächter. "Wer einen Wolf erschießt, bekommt doch mehr Ärger, als wenn er einen Menschen tötet", sagt er mit sarkastischem Unterton.

Eine Frau habe sich bei ihm beschwert, dass beim Gassigehen der Wolf zwischen ihr und ihrem frei laufenden Hund durchgelaufen sei. "Die Leute haben Angst", sagt der Jäger. Mancher würde sich schon gar nicht mehr trauen, auf dem Elbdeich spazieren zu gehen. Der Landwirt, der das Video vom Fahrersitz seiner Maschine aus gedreht hat, pflichtet ihm bei. "Die Wölfe sind neben meiner Sämaschine hergelaufen und haben zugeschaut. Das hat ihnen gar nichts ausgemacht." Wo bleibe denn da die Scheu? Rehe und Wildschweine hätten Respekt vor dem Menschen und würden abhauen, wenn der Traktor kommt. Aber Wölfe?

Für die Fachstelle Wolf ist das Verhalten keine große Überraschung. Sie bestätigt nach Sichtung des Videos, dass es sich um zwei Wölfe handelt. "Das Tier im Vordergrund zeigt ein häufig bei Jungwölfen vorkommendes noch unerfahrenes und neugieriges Verhalten", sagt Karin Bernhardt vom Landesamt für Umwelt. Auch am Fell lasse sich erkennen, dass es sich um einen jungen Wolf handele – also einen Welpen aus dem Vorjahr: Es sei flauschiger als bei älteren Tieren.

Es sei nicht ungewöhnlich, dass Wölfe bei Fahrzeugen eine geringe Fluchtdistanz zeigen: Diese würden sie nicht mit Menschen in Verbindung bringen. "Auffällig wäre das Verhalten dann, wenn zum Beispiel menschliche Wohnbehausungen aktiv aufgesucht werden, weil die Tiere auf Komposthaufen fleischhaltige Nahrungsreste finden", sagt Karin Bernhardt. Auch Sichtungen tagsüber seien nicht ungewöhnlich – und nach Ansicht der Fachstelle Wolf kein Anzeichen einer fehlenden oder verlorenen Scheu.

Der Strehlaer Landwirt, der genauso wie der Jäger mit Hinweis auf möglicherweise militante Wolfsschützer nicht namentlich genannt werden möchte, ist da skeptisch. "Das geht so lange gut, bis was passiert." Wo solle das hinführen? Längst gäbe es zu viele Wölfe in der Region. Die Schafsrisse im Winter sind bei den Strehlaern noch in schlechter Erinnerung – sowohl im Februar als auch im Januar waren jeweils sechs Tiere von Wölfen getötet worden, 2021 und 2020 gab es im Raum Strehla ähnliche Fälle.

Eines der sechs Schafe, die im Februar in Strehla vom Wolf gerissen wurden.
Eines der sechs Schafe, die im Februar in Strehla vom Wolf gerissen wurden. © privat

"In der Gohrischheide können ja meinethalben Wölfe leben", sagt der Jäger. "Oder in der Dahlener Heide." Doch viel mehr Wälder gäbe es in der Region gar nicht – aber reichlich Wölfe. Während man das in der Großstadt bejuble, sei das auf dem Land ein echtes Problem. So mancher hat hier Schafe auf dem Grundstück stehen. "Manches Lamm hat man vielleicht mit der Flasche aufgezogen. Und dann holt es nachts der Wolf", ergänzt der Landwirt. Nach Glaubitz, auf das umzäunte Areal einer Solaranlage, waren die Raubtiere vergangenes Jahr sogar zweimal gekommen, um insgesamt 40 Tiere zu reißen.

Ein Einwohner aus dem Strehlaer Ortsteil Görzig hat ebenfalls Sorge um seine Schafe. Auch bei ihm sei der Wolf schon tagsüber vorbeigekommen, direkt in der Traktorspur auf dem Feld, 30 Meter vom Einfamilienhaus entfernt. "Den Elektrozaun habe ich gefördert bekommen. Aber ob das den Wolf auf Dauer abhält?" Zwei Schafsrisse habe er bereits gehabt. Und wer könne garantieren, dass seine Kinder sicher draußen spielen können?

Dieses Handyvideo hat ein Anwohner aus einem Strehlaer Ortsteil aufgenommen.
Dieses Handyvideo hat ein Anwohner aus einem Strehlaer Ortsteil aufgenommen. © Sebastian Schultz

Der langjährige Jagdpächter hingegen merkt den Einfluss des Wolfes vor allem bei den Wildtieren: Der Rehwildbestand in seinem Revier sei radikal zurückgegangen, von Wildschweinen habe er zwei Jahre gar nichts mehr gesehen – nicht mal mehr eine frische Fährte. Immerhin darüber könnten sich wegen sonst drohender Flurschäden und der aktuell grassierenden Schweinepest die Landwirte freuen. Doch zumindest der, der das Wolfs-Video gedreht hat, würde lieber auf Wölfe verzichten. "Wildschweine haben immerhin noch Respekt vor den Menschen."

Was könnte aus ihrer Sicht eine Lösung sein? Eine Abschussquote, schlägt der Jäger vor. "In der Slowakei, in Finnland, Russland und Schweden geht das doch auch. Und die haben dort deutlich mehr Platz als wir." Schieße man ab und an einen einzelnen Wolf ab, würden auch die anderen Tiere mehr Scheu zum Mensch entwickeln, so die Hoffnung.

In Deutschland aber ist das bislang streng verboten. Die Fachstelle Wolf gibt stattdessen Tipps, wie man sich bei Begegnungen mit Wölfen verhalten sollte: In der Regel ziehe sich der Wolf zurück, sobald er Menschen bemerkt. Junge Wölfe könnten aber neugieriger reagieren als ältere Tiere. Wichtig sei es, den Wolf nicht in die Enge zu treiben. Ansonsten sollte man sich ruhig verhalten, Abstand wahren und langsam zurückgehen. Und falls der Wolf trotzdem folge, solle man stehen bleiben und das Tier einschüchtern – etwa durch "Großmachen" oder Anschreien. Wenn nötig, könne man einen Stein nach dem Wolf werfen – und ihn niemals füttern.