Rechtsextreme, Linksextreme, Islamisten

Dresden/Riesa. Damals ging das noch: Hunderte Menschen dicht an dicht waren im Januar 2019 durch Riesa gezogen, um gegen den Bundesparteitag der AfD in der Sachsenarena zu protestieren. Nun, gut anderthalb Jahre später, verschafft der Aufzug von damals Riesa noch einmal Aufmerksamkeit: Denn rund 250 der Gegendemonstranten haben der Stadt nun einen ungewohnten Platz im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Freistaats verschafft.
Tauchte Riesa sonst zuverlässig mehrfach in der Rubrik "Rechtsextremismus" in den Jahresberichten der Behörde auf, ist nun auch ausführlicher der Punkt "Linksextremismus" dabei. Der gilt in Sachsen eigentlich als Domäne der Großstädte. Das trifft auch auf die Gruppierung zu, die mit roten Fahnen und Transparenten (siehe Foto) vor dem Riesaer Bahnhof mit zum Anti-AfD-Protest stieß: Laut Verfassungsschutz hat die Gruppierung "Revolution" oder kurz "Revo" nur Ortsgruppen in Leipzig und Dresden, machte aber auch in Riesa auf sich aufmerksam.
Dort zog sie im Protestumzug bis zur Sachsenarena mit, der unterwegs auf 1.300 Teilnehmer anschwoll.
Die Protestierer von "Revolution" ordnet der Verfassungsschutz dem Linksextremismus zu: Ihr Ziel sei es, mit einer "proletarischen Revolution" die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden und durch eine "sozialistische Gesellschaft" zu ersetzen. Klassisch trotzkistisch fordert "Revo" die Schaffung von proletarischen Räten: Pluralismus, Gewaltenteilung und Mehrparteienprinzip wären damit passé, so der Verfassungsschutz.
"Revolution" wolle den Rechtsstaat auch unter Einsatz von Gewalt abschaffen. Die Behörde verweist auf das internationale Programm der Gruppe und auf eine Äußerung von "Revolution Leipzig": "Unsere Gewalt muss somit ins Herz dieses Systems treffen, das Privateigentum an Produktionsmitteln." Die Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse solle mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden. „Nach der Revolution wollen wir einen proletarischen Halbstaat schaffen, organisiert in Räten und gestützt auf eine Arbeitermiliz zur bewaffneten Verteidigung gegen die Konterrevolution.“
Allerdings scheint es mit der Revolution nicht so ganz voranzukommen: Die Verfassungsschützer stellen fest, dass das Personenpotenzial von "Revo" in Sachsen stagniert: Zählten 2018 noch 60 dazu, waren es 2019 bloß noch zehn. Den Fotos nach zu urteilen, dürfte von denen ein großer Anteil in Riesa dabei gewesen sein.
Die waren allerdings nicht die einzigen Linksextremisten beim Anti-AfD-Protest in Riesa: Die Verfassungsschützer ordnen rund 250 der 1.300 Gegendemonstranten dem linksextremistischen Lager zu. In einer Rede sei zudem Gewalt gegen AfD-Mitglieder gerechtfertigt worden - mit den Opfern rassistischer Gewalt.

Das rechtsextreme Lager wiederum sorgt für eine konstant häufige Erwähnung im Verfassungsschutzbericht: Das liegt vor allem an der NPD-eigenen Immobilie am Riesaer Stadtrand, die bundesweit Bedeutung habe: als Sitz des "Deutsche Stimme Verlags", als Treffort von Rechtsextremen und als Veranstaltungsort der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten". In dem Gebäude gab es 2019 nicht nur das Sommerfest der NPD mit 100 Teilnehmern, sondern auch ein Schulungswochenende des Bundesvorstands zur sogenannten "Schutzzonenkampagne".
Die Wahlergebnisse für NPD-Mandatsträger entwickelten sich jedoch sowohl in Riesa als auch im Kreis Meißen im Vergleich zu 2014 sehr deutlich nach unten; nur in Strehla und Riesa schaffte es die NPD in einen Stadtrat; im Kreistag errang die Partei ein einziges Mandat. Auch die Kundgebungen im Vorfeld der Landtagswahl 2019 seien sehr überschaubar aufgefallen; für den Kreis Meißen wird im Bericht nur Riesa erwähnt.
Zwar hielt die NPD ihren Bundesparteitag im November 2019 ebenfalls in Riesa ab, das stieß aber außerhalb der Szene kaum auf Aufmerksamkeit.
Insgesamt ordnen die Verfassungsschützer im Jahr 2019 im Landkreis Meißen der rechtsextremistischen Szene zwischen 150 und 200 Personen zu. Das Personenpotenzial habe im sachsenweiten Vergleich wie bereits zuvor im unteren Bereich gelegen, sei jedoch um rund 50 Personen angestiegen.

Die sogenannte "Sächsische Begegnungsstätte" (SBS) verschafft dem Landkreis auch wieder eine Erwähnung unter dem Punkt "Islamismus". Der Verfassungsschutz ordnet die Organisation dem Umfeld der extremistischen Muslimbruderschaft (MB) zu. Zwar habe die SBS Anfang 2019 verkündet, ihr Ziel einer flächendeckenden Schaffung von Gebetsstätten erreicht und alle Aktivitäten eingestellt zu haben. So seien auch die einstigen SBS-Standorte in Riesa und Meißen wie alle anderen entweder geschlossen worden oder es hätten sich dort neue Vereine gebildet.
Die Verfassungsschützer sind skeptisch. "Ob die MB-nahe Sächsische Begegnungsstätte in Sachsen aber tatsächlich ihre Aktivitäten eingestellt hat, ist fraglich", heißt es. Es sei nicht auszuschließen, dass die handelnden Personen unter anderen Strukturbezeichnungen weiter agieren - das entspräche der traditionellen Verschleierungsstrategie der Muslimbruderschaft. Solange das Marwa-Elsherbiny-Kultur- und Bildungszentrum Dresden durch Saad Elgazar geführt werde, sei davon auszugehen, dass seine Aktivitäten – verfassungskonform verschleiert – "in Wahrheit solche der Muslimbruderschaft" sind. Der promovierte Physiker hatte seinerzeit auch die Riesaer SZ-Redaktion besucht.
Zuletzt hatten Muslime aus Riesa eine stadteigene Immobilie als Gebetsstätte genutzt; die Nutzung des damals von der SBS angemieteten Objekts an der Goethestraße hatte die Stadt aus baurechtlichen Gründen schnell untersagt.
Der ganze 297-seitige Verfassungsschutzbericht 2019 findet sich hier.
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