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Riesa will Derivate-Vergleich anfechten

2012 zog die Stadt bei den hochspekulativen Geschäften ihres Ex-Kämmerers die Reißleine und schloss einen Kompromiss mit der Bank – den sie jetzt beenden will.

Von Eric Weser
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Riesa will raus: Der 2012 geschlossene Vergleich zwischen der Stadt mit der Landesbank Baden-Württemberg soll nach dem Willen von Stadtführung und -räten beendet werden. Doch ob die Kommune sich aus dem Geschäft lösen kann, dahinter steht ein Frageze
Riesa will raus: Der 2012 geschlossene Vergleich zwischen der Stadt mit der Landesbank Baden-Württemberg soll nach dem Willen von Stadtführung und -räten beendet werden. Doch ob die Kommune sich aus dem Geschäft lösen kann, dahinter steht ein Frageze © Eric Weser

Riesa. Die Stadt Riesa will den Vergleich mit der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) beenden, den sie 2012 geschlossen hatte. Zur Erinnerung: Mit dem Vergleich war ein Schlusspunkt unter jahrelange hochriskante Finanzgeschäfte von Ex-Kämmerer Markus Mütsch gesetzt worden. Mütsch hatte sich mit sogenannten Derivaten verspekuliert und die Stadt damit in extreme Finanznot gebracht. Seine Geschäfte wurden deshalb über den Vergleich mit der LBBW beendet (siehe Kasten).

Das alles liegt an die zehn Jahre zurück. Im jüngsten Stadtrat machte Riesas OB Marco Müller (CDU) einen nicht öffentlichen Beschluss der Stadträte bekannt, der aufhorchen ließ. Demnach hatte eine Stadtratsmehrheit den OB ermächtigt, Schritte einzuleiten, damit der Vergleich mit der LBBW beendet werden kann.

Doch warum will Riesa die Vereinbarung von 2012 anfechten? Ein Faktor ist die angespannte Haushaltslage der Stadt. Daraus macht die Rathausspitze keinen Hehl. Finanzbürgermeisterin Kerstin Köhler (parteilos) hatte schon vor längerer Zeit deutlich gemacht, dass 2022 und 2023 für Riesa schwierige Jahre werden und gesagt, dass vor diesem Hintergrund auch der Vergleich mit der LBBW auf dem Prüfstand steht.

Auch im Stadtrat besteht seit Längerem der Wunsch, sich das Geschäft noch einmal genauer anzusehen. Angemahnt hatten das die Linken, aber auch aus den Reihen der CDU gab es solche Stimmen. Denn die Zahlungsverpflichtungen aus dem Vergleich belasten Riesas Finanzen bis heute. Fast eine Million Euro an Zinsen überweist die Stadt allein in diesem Jahr an die LBBW. Das geht aus einem Finanzbericht für die Stadträte hervor, den die SZ einsehen konnte.

Doch auch wenn wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle spielen: Der wesentliche Faktor, den Vergleich jetzt beenden zu wollen, seien Erkenntnisse über eine geänderte Rechtslage, betont OB Marco Müller. Es gebe Gerichtsentscheidungen zugunsten von anderen Kommunen, die ebenfalls Derivatgeschäfte mit Banken abgeschlossen hatten. Gerichte hätten diese Geschäfte aber als unwirksam verworfen.

Der Derivat-Vergleich im Detail

  • Mit dem Vergleich zwischen der Stadt und der LBBW vom Oktober 2012 wurden mehrere Finanzwetten von Riesas Ex-Kämmerer Markus Mütsch aufgelöst. Deren Marktwert lag damals bei etwa minus 30 Millionen Euro.

  • Über die Inhalte der Vergleichsvereinbarung wurde Stillschweigen vereinbart; die SZ konnte Details jedoch damals einsehen. Demnach übernahm Bank zwei Drittel der Summe, die Kommune ein Drittel. Die Stadt schloss im Zuge des Vergleichs ein neues Derivat-Geschäft mit 25 Jahren Laufzeit ab.

  • Diesem Geschäft liegen 25 Millionen Euro Kreditsumme zugrunde. Darauf zahlt die Stadt einen festen jährlichen Zins von fast sechs Prozent. Im Gegenzug erhält sie jährliche Zinszahlungen von der Bank, deren Höhe von einem bestimmten Referenzzinssatz abhängt, dem sogenannten Sechs-Monats-Euribor. Dessen Niveau liegt aktuell im negativen Bereich, weshalb Riesa derzeit auch keine Zahlungen erhält.

  • Seit 2012 steht im Raum, dass die Stadt über die 25-jährige Laufzeit des Vergleichsgeschäfts elf Millionen Euro an die LBBW zahlen muss. Informierte Kreise sprechen indes von einer Summe von bis zu 19 Millionen Euro. (Quelle: SZ-Recherche)

Die Grafik zeigt die Entwicklung des Sechs-Monats-Euribor. Der Referenzzinssatz ist Bestandteil des Finanzgeschäfts, das im Vergleich zwischen Stadt und LBBW im Jahr 2012 vereinbart wurde. Seit Ende 2015 liegt das Zinsniveau im negativen Bereich.
Die Grafik zeigt die Entwicklung des Sechs-Monats-Euribor. Der Referenzzinssatz ist Bestandteil des Finanzgeschäfts, das im Vergleich zwischen Stadt und LBBW im Jahr 2012 vereinbart wurde. Seit Ende 2015 liegt das Zinsniveau im negativen Bereich. © Quelle: euribor-rates.eu/Grafik: SZ

Auch in Riesa ist man der Meinung, dass bereits die Derivat-Geschäfte aus der Ära Mütsch unwirksam sind. Aus Sicht des Rathauses und seiner Berater hätten die hochspekulativen Geschäfte des Ex-Kämmerers damals von der Rechtsaufsichtsbehörde genehmigt werden müssen. Da so eine Genehmigung aber nicht existiere und wegen des hochspekulativen Charakters der Geschäfte seinerzeit wohl auch nicht erteilt worden wäre, fehle den Deals die nötige rechtliche Basis, lautet die Argumentation. Hätte man davon gewusst, dass die Geschäfte des einstigen Kämmerers unwirksam sind, hätte man sich darüber nie mit der LBBW verglichen, so OB Müller.

Bei den Bemühungen, den Vergleich von 2012 anzufechten, lässt sich das Rathaus von Rechtsanwalt Jochen Weck vertreten. Der Münchner Juristen ist auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Wirtschaftswoche bezeichnete ihn 2012 in einem Bericht als "gefährlich für die Banken, die er ins Visier nimmt". Eine Kommunikation zwischen dem Anwalt und der LBBW gab es nach SZ-Informationen bereits. Die Bank soll kein Interesse gezeigt haben, den Vergleich von 2012 anzufassen.

Riesa will nicht locker lassen, macht OB Müller deutlich. Mit den Stadträten solle noch vor der Sommerpause beraten werden, wie es weitergeht – und ob es beispielsweise zu einer Klage der Stadt gegen die LBBW kommt. "Natürlich wollen wir angesichts der Prozessrisiken und -kosten nicht unbedingt eine Klage führen", so der Stadtchef, ohne eine Größenordnung der Kosten zu benennen. Gebe es keine außergerichtliche Einigung, sei aber die Klage ein möglicher Weg für Riesa, so Müller.