Riesas Obdachlose müssen weiter frieren

Riesa. Ein leichter Luftzug hat gereicht, erzählt Lisa Smyrek. "Das Fenster im Speiseraum schlug zu - und die Scheibe ging zu Bruch." Die Leiterin des Riesaer Obdachlosenheims an der Klötzerstraße steht nun in einem unbewohnten Zimmer im ersten Stock, das mit Möbeln zugestellt ist. "Den Raum nutzen wir als Lager, deshalb haben wir von hier ein Fenster aus- und unten wieder eingebaut." Im Lagerraum wurde das Fenster vernagelt.
Die notdürftige Fensterreparatur ist eine von vielen Kleinigkeiten, mit denen sich Bewohner und Mitarbeiter des Obdachlosenheims öfter herumplagen müssen. 1999 war das Haus bezogen worden, schon damals nicht im besten Zustand. Längst merkt man dem Gebäude sein Alter an. Gerade erst wurde eine neue Stufe am Eingang gebaut. An der alten war eine Metallleiste abgebrochen, nachdem der Zement zerbröselt war. Eine Stolperfalle für die Bewohner, von denen manche nicht mehr richtig gut laufen können. Die alten Abflussleitungen verstopfen regelmäßig, ins dritte Stockwerk traut sich schon niemand mehr allein und erst recht nicht ohne Atemschutz; zu schwerwiegend ist dort nach Einschätzung der Mitarbeiter der Schimmelbefall.
Heizung macht Probleme
Auch die Heizung wäre reparaturbedürftig. "Wir verlieren regelmäßig Wasser", erklärt Lisa Smyrek, während sie durch das Haus führt. Das wiederum führt dazu, dass in dem ohnehin schlecht isolierten und zugigen Gebäude die Heizung nur im Erdgeschoss funktioniert. Eine Fachfirma könne das zwar lösen - müsse aber quasi jede Woche im Heim vorbeischauen, weil der Fehler ständig auftritt. Der Austausch des Teils, das ihn verursacht, ist teuer, da warte man noch auf eine Lösung.
Gerade das Heizen ist ein Problem. "Gestern kamen die ersten Bewohner und haben gefragt, ob wir bald die Heizung anstellen, weil sie letzte Nacht gefroren haben", sagt die Heimleiterin. Man könne sich zwar noch mit dickeren Decken behelfen, aber irgendwann nützt eben auch das nicht mehr.
Eigentlich hatten nicht nur die Bewohner, sondern auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als Betreiber auf einen Umzug noch in diesem Jahr gehofft. DRK-Vorstand Falk Glombik hatte noch 2019 zur Weihnachtsfeier im Obdachlosenheim die Hoffnung geäußert, das nächste Fest vielleicht schon in der Speicherstraße verbringen zu können. Eine Hoffnung, die sich längst zerschlagen hat. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass Cargill als direkter Nachbar Widerspruch gegen das Vorhaben angemeldet hatte. "Aus unserer Sicht sollten geplante neue Wohnbebauungen nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu Industrieanlagen erfolgen", so lautete damals die Begründung des Unternehmens. "Hier legen wir Wert auf präventiven Nachbarschaftsschutz."
Eine Argumentation, die Falk Glombik schwer nachvollziehen kann. "Direkt gegenüber des Ölwerks, an der Friedrich-List-Straße, stehen doch auch Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe." Trotzdem hofft der Riesaer DRK-Chef nach wie vor auf eine Lösung. Gerüchteweise sei bei Cargill zu dem Thema demnächst ein Treffen geplant, bei dem man entscheiden wolle, ob der Widerspruch aufrechterhalten wird oder nicht.
Eine Cargill-Sprecherin teilt dazu lediglich mit: "Derzeit hat noch kein Treffen stattgefunden, daher gibt es zur Zeit nichts Neues zu berichten." Auch die Stadt Riesa bestätigt auf Nachfrage nur, dass in den vergangenen Monaten Gespräche in der Sache mit dem Unternehmen stattgefunden haben. "Aber aktuell gibt es dazu keine Neuigkeiten, die irgendwelche Wasserstandsmeldungen oder Spekulationen rechtfertigen", sagt Pressesprecher Uwe Päsler.
Ein Scheitern des Umzugs wäre auch ein Minusgeschäft für die Stadt-Tochter WGR. Die Wohnungsgesellschaft hatte das Objekt in der Speicherstraße erworben. Nachdem Cargill der Baugenehmigung widersprochen hatte, ruhen die Arbeiten. Falk Glombik glaubt nicht, dass für das Gelände so schnell eine alternative Nutzung möglich wäre.
24 Menschen bewohnen derzeit das Riesaer Obdachlosenheim. "Sie sind schon interessiert daran, wie es weitergeht, fragen auch öfter nach." Mancher helfe sich mit Galgenhumor über die Situation, aber sicher sei auch Unzufriedenheit zu spüren. Schließlich war schon der geplante Umzug an die Freitaler Straße gescheitert. In diesem Jahr jedenfalls wird es definitiv nichts mehr mit einem Umzug an die Speicherstraße - selbst, wenn doch noch grünes Licht von Cargill kommt. Denn für den Umbau des neuen Objekts veranschlagt die WGR ein halbes Jahr Bauzeit. Für die Bewohner und Mitarbeiter des Heims bleibt bis dahin nur die Hoffnung auf einen milden Winter.