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Ein Jahr Sperre nach ein paar Flaschen Schaumwein

Frieder Andrich begann seine Fußball-Laufbahn in Riesa. Später unterbrach ein feuchtfröhlicher Abend seine Karriere, die ihn fast zu Dynamo Dresden geführt hätte.

Von Jürgen Schwarz
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Frieder Andrich heute im Alter von 73 Jahren.
Frieder Andrich heute im Alter von 73 Jahren. © Frank Müller

Riesa. Frieder Andrich dürfte in Röderau kein Unbekannter sein. Am 22. Juli 1948 dort geboren, begann er bei der BSG Chemie Riesa mit dem Fußball spielen. „Mit 18 Jahren ging ich zur BSG Stahl. Eine Delegierung, wie sie in der DDR üblich war“, blickt der 73-Jährige zurück. Stahl spielte damals in der zweithöchsten Liga. „Auch Dynamo Dresden meldete Interesse an, doch mein Vater riet mir, in Riesa zu bleiben.“

In der Saison 1967/68 erzielte Andrich zwölf Tore für Stahl, kam in 25 von 30 Punktspielen zum Einsatz und hatte erheblichen Anteil am Aufstieg der Riesaer in die DDR-Oberliga. Im Aufstiegsjahr machte er auch sein Abitur, in der folgenden Oberliga-Serie bestritt er alle 26 Punktspiele. Stahl hielt die Klasse, ebenso 1969/70. Der gelernte Stürmer wurde meist im Mittelfeld eingesetzt – bis er am 1. November 1970 zur Armee eingezogen wurde.

„1968 war mein Jahr, denn da gelang uns nicht nur der Sprung in die erste Liga, sondern ich machte damals auch mein Abitur“, erinnert sich Andrich gern an den ersten Höhepunkt seiner sportlichen wie beruflichen Laufbahn. In der ersten Oberliga-Saison der Riesaer bestritt Andrich alle 26 Punktspiele, anfangs als Stürmer, in der Rückrunde dann meist im Mittelfeld. Neuling Stahl hielt als Zwölfter knapp die Klasse. In der Folgesaison 1969/70 kam Andrich mit seinem Team auf Rang elf ein, er spielte aber, auch verletzungsbedingt, seltener.

Das änderte sich danach wieder. In den ersten Wochen des Spieljahres 1970/71 wurde er durchweg im Mittelfeld eingesetzt. Doch am 1. November 1970 zog man ihn ein. „Ich war gerade drei Tage in der Grundausbildung, als man mich mit dem Auto abholte und nach Cottbus fuhr“, erinnert sich Andrich. In Cottbus war damals der Hauptsportverein der DDR-Luftstreitkräfte, die Armeesportgemeinschaft (ASG) Vorwärts, beheimatet. Andrich spielte wie anfangs in Riesa in der zweiten Liga. Ein erträglicher Armeedienst.

Der Karriereknick im Jahr 1977

Auch in Cottbus zeigte der offensiv ausgerichtete und technisch versierte Kicker seine Torgefahr. Kein Wunder, dass er 1972 in eine NVA-Auswahl berufen wurde. Mit diesem Team trug Andrich in Syrien mehrere Spiele aus. Er muss gut gewesen sein. „Auf dem Rückflug machte man mir das Angebot, für den zentralen Armeeclub FC Vorwärts Frankfurt/Oder zu spielen. Ich habe noch im Flugzeug zugesagt“, so Andrich. „Ich habe gleich eine Wohnung bekommen und auch gut verdient.“

Einfach war der Start in Frankfurt allerdings nicht, denn der FV Vorwärts hatte da schon sechs DDR-Meistertitel eingefahren und war personell noch immer gut besetzt. Nach und nach avancierte Andrich jedoch auch an der Oder zum Stammspieler. Nicht zufällig berief man ihn in derselben Saison fünfmal in die Nachwuchsauswahl und einmal in die B-Nationalmannschaft der DDR. Dann schaffte er es mit Frankfurt immerhin ins Pokalfinale. Das ging gegen Lok Leipzig 0:3 verloren.

Doch stärker wog der Karriereknick, den Andrich in der Folgesaison erlebte. „Im Frühjahr 1977 herrschte nach einer 1:2-Niederlage bei Hansa Rostock keine gute Stimmung. Doch der Grund dafür, dass wir gleich nach dem Spiel nach Bad Saarow in eine Art Camp mussten, war die Vorbereitung auf ein internationales Heimspiel gegen ein Team aus Schweden oder Dänemark. Jedenfalls wollten wir aus Langeweile in kleiner Runde abends noch ein Bier trinken. Der Objektchef verweigerte uns das, vermutlich hatte er eine Order von unseren Trainern oder Funktionären. Die Trainer standen wegen unserer Niederlage wohl schon etwas unter Druck, zumal der bevorstehende Auftritt selbst bei einem Freundschaftsspiel des Images wegen sehr ernst genommen wurde. Wir wollten uns aber nicht so abkanzeln lassen, fanden sechs Flaschen Schaumwein. Die leerten wir zu viert. Ich wollte beim Objektleiter bezahlen, doch der hat die Sache unserem Trainer Werner Wolf verraten. Die beiden jungen Spieler Lutz Otto und Lothar Enzmann mussten daraufhin umgehend für ein paar Tage in den Armee-Knast, den es an jedem NVA-Objekt gab. Herbst und ich wurden sofort gesperrt. Und zwar für die erste und zweite Liga. Herbst für 18 Monate, ich für zwölf.“

Karriereende gegen Dynamo Dresden

Das war nicht nur sportlich ein herber Einschnitt für den Erstliga-Stammspieler, sondern er bangte auch um die Fortführung seines 1972 begonnenen Sportlehrer-Fernstudiums. „Ich wollte das bis zum Diplom zu Ende bringen“, so Andrich, der schließlich vor dem Sportkomitee der NVA in Berlin landete.

Dort saß unter anderem ein Vertreter der Luftstreitkräfte, deren Repräsentationsteam mittlerweile von Cottbus nach Kamenz verlegt worden war und aktuell nur drittklassig in der Bezirksliga Dresden spielte, aber wieder in Liga zwei sollte. „Der Offizier sprach mich an, ob ich zu Vorwärts Kamenz kommen wolle. Das passte gut und war wichtig für mich, denn Bezirksliga durfte ich ja spielen. Und ich konnte aufgrund der dortigen Ambitionen Leistungssportler bleiben.“

Im ersten Spiel für Kamenz schoss er drei Tore. „Wir Spieler durften dann bis Dienstag nach Hause fahren. Einer meiner Mitspieler war Ulrich Göhr, ein Jenaer Oberliga-Verteidiger, der seinen NVA-Dienst absolvierte. Göhrs Freundin und spätere Frau war die Weltklasse-Sprinterin Marlies Oelsner, die sich dann bei mir bedankte, weil ich ihren Mann für zwei Tage von der Armee losgeeist hatte“, erzählt er amüsiert. Im März 1978 entschied das NVA-Komitee, die Sperre gegen Andrich aufzuheben. Er kehrte nach Frankfurt zurück.

Seine Laufbahn beendete er 36-jährig. Im letzten Spiel gegen Dynamo Dresden wurde er beim Stand von 0:2 eingewechselt. Andrich gelang der 1:2-Anschluss, womit er den Weg zum 2:2-Endstand bahnte. Dieser wiederum genügte Frankfurt, um sich als Tabellenvierter für den Uefa-Cup zu qualifizieren. Heute lebt Andrich in Beeskow rund 80 Kilometer südöstlich von Berlin. Kontakt in die alte Heimat hat er noch. Seine Schwester Mechthild, die er ab und an besucht, lebt in Görzig, einem Ortsteil von Großenhain. Hier sind auch die Eltern des ehemaligen Stahl-Fußballers begraben.