Teigwaren-Mitarbeiter treten in den Streik

Riesa. Als die beiden älteren Herren zu ihrem Auto zurückkommen, werden sie mit dem Lärm aus Dutzenden Trillerpfeifen begrüßt. Neugierig schaut der eine in die Runde, während der andere den Einkauf aus dem Nudelkontor in den Wagen lädt. Auf dem Weg vor dem Werkverkauf der Teigwaren Riesa stehen Männer und Frauen in gelben Westen der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG), an der Mauer hängt ein Plakat. "Lohnmauer einreißen" steht darauf.
Anfang Juli hatten Teigwaren und Gewerkschaft neue Tarifverhandlungen aufgenommen. Die NGG hatte schon zuvor offensiv die Forderung vertreten, den Lohn im Riesaer Unternehmen an das Westniveau anzupassen - und auf westdeutsche Nudelproduzenten verwiesen. Bei Barilla, Burk und Birkel bekomme ein Facharbeiter 788 Euro mehr Ecklohn, sagt Gewerkschaftssekretär Thomas Lißner. Ein Unterschied, der vermutlich nicht mit einer Tarifrunde zu überbrücken sein wird. "Wir möchten uns aber auf den Weg machen", so Lißner.
"An den Haaren herbeigezogene Forderung"
Schon im Vorfeld hatte Teigwaren-Geschäftsführer Mike Hennig betont, diese Forderungen seien nicht realistisch. Eine Lohnerhöhung wie sie die NGG fordere, würde das Unternehmen vermutlich in die Insolvenz treiben, hieß es schon Ende Juni. Das Angebot der Arbeitgeberseite: eine Nullrunde, mit der Option, im Januar 2022 noch einmal zu verhandeln. Hennig verweist auf die besondere Lage auf dem Weltmarkt: "Die Preise für Rohware explodieren gerade." Gleichzeitig habe man aber nur im Herbst die Möglichkeit, über Lieferpreise zu verhandeln. "Wir können jetzt auch noch nicht sagen, wie sehen die Ernten aus und damit die Preise." In so einer Lage wolle das Unternehmen keine Versprechen machen - zumal in den vergangenen drei Jahren die Löhne deutlich gestiegen seien. Daher der Vorschlag, im Januar die Lage neu zu betrachten. Die NGG lehnte ab.
Hennig kritisiert, die Gewerkschaft sei von Beginn an mit einer an den Haaren herbeigezogenen Forderung an das Unternehmen herangetreten. Es scheine, als wolle sich die NGG auf Kosten der Teigwaren profilieren. "Am Ende einer solchen Geschichte wird es nur Verlierer geben." Auch der Vergleich mit anderen Nudelherstellern sei für ihn nicht nachvollziehbar. Am Ende des Tages entschieden eben auch Faktoren wie Kaufkraft und Nachfrage. "Oder wir preisen uns aus dem Markt."

Nun stehen sie also wieder auf dem Werkgelände und streiken. "Wir haben 6 Uhr morgens darüber informiert", erklärt Betriebsratschef Frank Meyer. Um die Führung durch die gläserne Produktion nicht zu beeinträchtigen, habe man erst nach der letzten Besuchergruppe mit dem Streik begonnen. Vier Stunden sind angesetzt, von 12 bis 16 Uhr. Still steht die Nudelherstellung in dieser Zeit nicht, wie sich unter den Streikenden schnell herumspricht: Einige Teigwaren-Mitarbeiter aus anderen Bereichen helfen offenbar aus. Der Geschäftsführer bestätigt das. Es sei darum gegangen, einen kompletten Stillstand zu vermeiden. "Dann hätten wir eine Zwischenreinigung durchführen müssen, und das hätte noch höheren Produktionsausfall bedeutet."
Gewerkschaft rechnet mit längerem Streit
Momentan verdient ein Facharbeiter bei den Teigwaren nach Angaben der NGG 2.267 Euro brutto im Monat. Es gebe allerdings auch Lohngruppen, bei denen der Bruttolohn knapp über 1.700 Euro beträgt, sagt Thomas Lißner. "Es gibt hier Kollegen, die liegen nur 34 Cent überm Mindestlohn." Betriebsratschef Meyer bestätigt das. "Eine Reihe von Mitarbeitern haben das Glück, dass der Partner ordentlich verdient. Aber andererseits haben wir auch Alleinerziehende. Wie die das machen, keine Ahnung!"
Ihn ärgert, wie mit dem Riesaer Standort umgegangen wird. Es könne durchaus sein, dass bei den Teigwaren kein Geld vorhanden sei. Dann müsse man sich aber auch fragen, warum. Meyer verweist darauf, in Riesa werde zunehmend auch für die Mutterfirma Albgold produziert. Die in Sachsen geschaffenen Werte würden damit erst in Schwaben zu Gewinnen gemacht, kritisiert die NGG.
Die Teigwaren-Mitarbeiter haben mittlerweile Erfahrung, was Streiks angeht. Vor gut zwei Jahren erstritt sich die Belegschaft einen Tarifvertrag - und bewies dabei einen langen Atem. Riesa sei ein Beispiel dafür, "dass der Kampf sich lohnt", sagt André Schnabel vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Ob es, wie Anfang 2019, erneut auch zu 24-Stunden-Streiks kommen wird, ist derzeit noch offen. "Ich hatte auch überlegt, politische Akteure einzuladen", sagt Gewerkschaftssekretär Thomas Lißner. "Falls es kein weiteres Angebot gibt, werden wir alles auffahren, was Rang und Namen hat." In einer Mitteilung der NGG am Montagnachmittag bekräftigte Lißner, man stelle sich auf eine längere Auseinandersetzung ein.