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Roma-Handwerker ziehen durchs Elbland

Zwei Gruppen mit Wohnwagen und einer unkonventionellen Lebensweise sorgen derzeit für Aufsehen.

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© Claudia Hübschmann

Von Peter Anderson

Niederau / Riesa / Meißen. Ein Teil des Parkplatzes am früheren Real-Markt in Niederau hat sich in einen Campingplatz verwandelt. Misstrauisch wird die eintreffende Presse beäugt. Ein junger Mann sitzt auf einem Klappstuhl und arbeitet mit einer Schleifmaschine. 15 Wohnwagen stünden hier, gibt er Auskunft. Die Familien stammten aus Straßburg in Frankreich. Ihr Angebot richte sich sowohl an Privatleute als auch an Firmen. Der mobile Handwerksdienst schleife alle Metallwerkzeuge, die stumpf geworden seien. Die Dauer des Aufenthaltes gestalte sich je nach Nachfrage.

Ein kleiner Junge kommt über den sauberen Platz herbeigesprungen und freut sich über die Abwechslung in seinem Alltag. Ein paar Nachbarn treten heran. Das Fotografieren ihrer handwerklichen Tätigkeit möchten die Besucher aus Frankreich allerdings nicht gestatten. „Die Leute hier sind so skeptisch“, sagt der junge Mann mit der Schleifmaschine. Das solle nicht durch Bilder befördert werden. Viel mehr gebe es nicht zu sagen. Das Gespräch ist schnell erschöpft.

Wie Bürgermeister Steffen Sang (parteilos) informiert, sind die Roma am Montagabend in Niederau eingetroffen. Zuvor hätte die Gruppe bereits einen Versuch unternommen, sich auf dem Festgelände in Meißen niederzulassen. Dies sei allerdings unterbunden worden. Sang zufolge hat ein Sprecher der Roma angekündigt, am Freitag weiterzuziehen.

In der Kommentarspalte bei Facebook wird das Ereignis unterschiedlich bewertet. So schreibt etwa Thomas Hoidis aus Freiberg: „Ihr werdet froh sein, wenn sie wieder weiterfahren und der Platz nicht eine Müllhalde ist.“ Der Nossener CDU-Mann Stephan Degen verweist darauf, dass es sich bei den Roma um Europäer handele, die schon Jahrhunderte hier lebten.

Niederau hat in der Vergangenheit eher positive Erfahrungen mit der Minderheit gemacht. So hätten vergangenes Jahr Roma mehrere Wochen auf dem Campingplatz Oberau verbracht und dort kräftig für Umsatz gesorgt, sagt Bürgermeister Sang. Die Besucher zahlten stets pünktlich wöchentlich ihre Gebühren. Zuvor sollen sie bereits in Torgau gewesen sein. Der dortige Platzwart habe dann bei der Suche nach einem weiteren Standort geholfen.

Auffällig ist, dass parallel zu den Campern in Niederau auch in Riesa eine ähnliche Gruppe seit Freitag in der Nähe der Erdgasarena lebt. Wiederum handelt es sich um französische Roma.

Bei der für den Landkreis zuständigen Polizeidirektion Elbland gehen die Beamten davon aus, dass die zwei Gruppen zusammengehören. Speziell die in Riesa Station machenden Roma seien bereits mehrfach in der Stahlstadt zu Gast gewesen. „Bislang gab es dahingehend keine polizeirelevanten Probleme“, so ein Polizeisprecher auf SZ-Anfrage. Die Kollegen würden im Rahmen der allgemeinen Streifen den Standort beachten.

Sinti und Roma leben seit Jahrhunderten in Europa und bilden hier sehr vielfältig strukturierte Minderheiten. Ihre Vorfahren stammen ursprünglich aus Indien und Pakistan. Der für sie früher verwendete Begriff „Zigeuner“ ist eine in bis ins Mittelalter zurückreichende Fremdbezeichnung und wird von der Minderheit als diskriminierend abgelehnt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma systematisch verfolgt und ermordet. Nach Angaben der Bundeszentrale für Politische Bildung liegen die Opferzahlen bei etwa einer halben Million.

Bis heute wirken Vorurteile gegen Angehörige der Minderheit fort und führen zu Ausgrenzung. So vertritt laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2014 in Deutschland jeder zweite der Meinung, Sinti und Roma würden selbst durch ihr Verhalten Feindseligkeiten hervorrufen. Jeder dritte Deutsche lehnt es ab, neben ihnen zu wohnen.

Entgegen weit verbreiteten Klischees sind in Deutschland deutlich über 90 Prozent der Minderheit sesshaft. Die Vorstellung vom fahrenden Volk stammt aus einer Zeit, als Sinti und Roma nicht das Recht besaßen, sich auf dem Land oder in Städten fest niederzulassen. Sie galten als vogelfrei und waren zum Herumziehen gezwungen.