Von Kathrin Lauer
Bukarest. Das beste Kompliment bekam Rumäniens Justiz unfreiwillig und unerwartet. „Seit Jahren herrscht Angst in Rumänien. Alle unsere Aktionen sind von Angst gelähmt“, sagte der sozialistische Politiker Viorel Hrebenciuc vor vier Monaten bei seiner Verhaftung. Hrebenciuc, der als Strippenzieher zur Geldbeschaffung für die heute regierenden Sozialisten (PSD) galt, wird der Korruption in Verbindung mit der Rückgabe von Wäldern verdächtigt, die von Kommunisten enteignet worden waren.
Noch vor 20 Jahren habe Hrebenciuc locker über einen angeblich notwendigen „vernünftigen Grad von Korruption“ beim Übergang vom Kommunismus zum Kapitalismus schwadroniert, erinnert sich die Bukarester Tageszeitung „Adevarul“. Auch der sozialistische Ex-Ministerpräsident Adrian Nastase (2000-2004) schrieb Anfang 2012 auf seinem Blog: „Aufgrund des institutionellen Vakuums (...) ist die Korruption eine Lebenstatsache, die das Getriebe der Wirtschaft im Übergang schmiert.“ Ein halbes Jahr später wurde Nastase wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Zweckentfremdung, Schmiergelder
Diese „Lebenstatsachen“ scheinen sich nun rasant zu ändern. Ein Schwager des sozialistischen Ministerpräsidenten Victor Ponta sitzt wegen Verdachts der Zweckentfremdung von EU-Geldern in Haft. Ebenso geht es früheren Vertrauten des bürgerlichen Ex-Präsidenten Traian Basescu (2004-2014): Die Ex-Tourismusministerin Elena Udrea (2008-2012) musste in Untersuchungshaft, weil sie Hauptakteurin einer verwickelten Aktion zur Finanzierung der Basescu nahestehenden Partei PDL aus Schmiergeldern gewesen sein soll.
Bald nach Gründung der Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft DNA 2005 kamen in Rumänien die ersten Politiker wegen Korruption hinter Gitter, und so ging es in immer schnellerem Tempo weiter. Den Anstoß gab hierbei die Reform der energischen Justizministerin Monica Macovei (2004-2007). Zusätzlicher Druck kam durch den Überwachungsmechanismus, den Brüssel für Rumänien und Bulgarien einrichtete, die 2007 der EU beigetreten waren. Die EU gab dabei Rumänien von Jahr zu Jahr bessere Noten. Das reichte aber nicht, um alle EU-Staaten davon zu überzeugen, dass das Land reif sei für den sehnlichst angestrebten Beitritt zur grenzkontrollfreien Schengen-Zone.
Die DNA-Ermittler hat allein 2014 mehr als 1 100 Amtsträger vor Gericht gebracht und in mehr als 1 130 Fällen eine rechtskräftige Verurteilung erreicht. Gegen 12 amtierende und frühere Minister leitete DNA Ermittlungen ein. Freisprüche gab es in nur 9 Prozent der Fälle, bilanzierte die DNA-Chefin Laura Kövesi.
Dabei ist DNA katastrophal unterbesetzt: Nur 86 Staatsanwälte haben 2014 in insgesamt 9100 Strafsachen ermittelt - also kamen im Schnitt 105 Fälle auf einen Ermittler. Auch hapert es bei der Eintreibung der Gelder, um die korrupte Politiker und Beamte den Staat betrogen haben: Von den 2014 formell konfiszierten 310 Millionen Euro wurden nur 10 Prozent tatsächlich „gerettet“. Die Gesamtsumme würde reichen, um ein Jahr lang alle Ärzte Rumäniens zu bezahlen, sagte die DNA-Chefin.
78 Prozent mehr Strafanzeigen
Der Erfolg der Ermittler ging Hand in Hand mit dem wachsenden Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz. Die Zahl der Strafanzeigen bei DNA stieg 2014 um gewaltige 78 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Medien tragen dazu stetig bei: Handschellen blinken fast täglich im Fernsehen, die Zeitungen quellen über von Informationen aus Ermittlungsakten. Ob dies korrekt ist, ist umstritten. Der neue Staatspräsident Klaus Iohannis verurteilte dieses „Medienspektakel“ unter Verweis auf das Gebot der Unschuldsvermutung, während die DNA-Chefin das öffentliche Interesse an diesen Strafsachen geltend machte.
Ein Unsicherheitsfaktor bleibt das Parlament, weil es die Aufhebung der Immunität von Politikern verweigern kann. Erst vor kurzem entging so der liberale Ex-Wirtschaftsminister, Parlamentarier und Schriftsteller Varujan Vosganian (2007-2008 und 2012-2013) der Strafverfolgung. Vor dem entscheidenden Votum weinte er im Plenarsaal und besprengte sich mit Weihwasser. Er soll illegal einem Unternehmer billiges Erdgas verschafft haben.
Mutiger war Vosganians Kollegin Elena Udrea. Die 41-Jährige hob ihre Handschellen stolz in die TV-Kameras. Wenige Tage später beantragte sie, ihre Arrestzelle auf eigene Kosten renovieren zu dürfen. Die schmutzigen Wände und der Zustand der Toiletten, aus denen Ratten in die Zelle kämen, sei menschenunwürdig, erklärte sie. Eine Antwort der Gefängnisverwaltung darauf steht noch aus. (dpa)