Moskau. Bei neuen Massenprotesten in Russland gegen die Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny sind am Sonntag Menschenrechtsaktivisten zufolge mehr als 5.000 Menschen festgenommen worden. Etwa so viele hatte die Polizei auch bei den Demonstrationen vor einer Woche in Gewahrsam genommen. Allein in der Hauptstadt Moskau wurden dem Portal Owd-Info zufolge weit mehr als 1.500 Demonstranten festgesetzt. Mehr als 860 Festnahmen listete das Portal für St. Petersburg im Norden des Landes auf. In mehr als 50 Städten wurden demnach Festnahmen registriert.
Menschenrechtler kritisierten erneut massive Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. In Moskau und St. Petersburg setzten die Sicherheitskräfte demnach Elektroschocker ein. Zudem seien in der Hauptstadt 31 Menschen in einem viel zu engen Gefangentransporter eingesperrt worden. In Kasan etwa 700 Kilometer östlich von Moskau hätten festgenommene Studenten ihre Unterwäsche ausziehen und Handys sowie ihre Habseligkeiten abgeben müssen.
Nach Angaben von Nawalnys Team gab es am Sonntag landesweit in rund 100 Städten Aktionen für eine Freilassung des Oppositionellen. Die Menschen protestierten aber auch gegen Korruption, Justizwillkür und die Unterdrückung Andersdenkender unter Präsident Wladimir Putin.
Nawalny war vor genau zwei Wochen direkt nach seiner Rückkehr aus Deutschland an einem Moskauer Flughafen verhaftet worden, wo er sich fünf Monate lang von einem Giftanschlag erholt hatte. Der 44-Jährige macht Präsident Wladimir Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für das Verbrechen verantwortlich. Putin und der FSB wissen das zurück.
Die Polizei hatte am Morgen das Zentrum der Millionenmetropole Moskau rund um den Kreml nahezu abgeriegelt, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort berichtete. Die Sicherheitskräfte in schwerer Montur hinderten Demonstranten und Passanten mit Absperrgittern daran, zu dem geplanten Versammlungsort nahe dem Sitz des Inlandsgeheimdienstes FSB zu gelangen. Nawalnys Team rief deshalb kurzfristig zu neuen Versammlungsorten auf - ebenso wie in der Stadt St. Petersburg.

An einem der neuen Treffpunkte, an der Moskauer U-Bahn-Station Krasnaja Worota, versammelten sich am Mittag zunächst Hunderte Menschen. Die Polizei verlagerte ebenfalls ihre Sicherheitskräfte. Es waren viele Einsatzwagen mit Blaulicht zu sehen. Autos hupten aus Solidarität mit den Demonstranten.
In Moskau sperrten die Behörden zunächst sieben Metro-Stationen im Zentrum. Geschäfte und Restaurants mussten schließen. Nawalnys Team kritisierte das bei einer Live-Übertragung der Proteste als "völlig unverhältnismäßig" und erinnerte an den friedlichen Charakter der Proteste. Die Polizei war mit einem großen Aufgebot vor Ort. Im Zentrum standen Dutzende Gefängnistransporter bereit. Ein ähnliches Bild bot sich auch in anderen russischen Städten.
Erneut ist auch Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja festgenommen worden. Sie kam erst am Abend wieder auf freien Fuß. Die 44-Jährige kritisierte in den sozialen Medien, dass ihr Mann inhaftiert sei, weil er es gewagt habe, den Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok zu überleben. Sie war bereits bei Protesten vor einer Woche vorübergehend festgenommen worden.
Zudem beklagte Nawalnaja, dass Alexejs Bruder Oleg Nawalny als "Geisel" in Haft genommen worden sei. "Wenn wir schweigen, dann holen sie morgen jeden von uns." Sie warf dem Präsidenten Wladimir Putin vor, nach Belieben das Schicksal von Menschen zu bestimmen - er entscheide, "wer eingesperrt, wer vergiftet wird". Bei Nawalnajas Festnahme kritisierten Unterstützer, dass sie willkürlich von der Polizei abgeführt wurde, wie der Internet-Kanal Doschd zeigte. (dpa)
