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Chemnitzer Forscherin: Wenig legale Zufluchtswege für russische Flüchtlinge

In Chemnitz diskutieren Experten über Fluchtbewegungen. Jüngst hat die Einberufung Hunderttausender Reservisten in Russland zum Krieg gegen die Ukraine einen neuen Exodus in Gang gesetzt. Wie soll die EU reagieren?

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Für russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gibt es kaum legale Zufluchtswege.
Für russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gibt es kaum legale Zufluchtswege. © Uncredited/AP/dpa

Die Migrationsforscherin Birgit Glorius hat einen Mangel an legalen Zufluchtswegen für russischer Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in die EU beklagt. Nach ihrer Einschätzung hätten sie mindestens ein Anrecht auf subsidiären Schutz, sagte die Professorin der Technischen Universität Chemnitz.

Viele seien nach Georgien und in die Türkei geflohen. "Nun sind sie in einer genauso prekären Situation wie andere Menschen, die nicht visafrei in die EU einreisen können." Zu befürchten sei, dass sie sich mit Hilfe von Schleppern auf gefährlichem Weg in die EU machen, etwa per Schlauchboot.

Das ganze Ausmaß dieser jungen Fluchtbewegung und die Folgen ließen sich derzeit nicht abschätzen, erklärte die Expertin, die dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vorsteht. Dazu verwies sie auf die schiere Größe Russlands und seiner Bevölkerungszahl von mehr als 145 Millionen Menschen. Denn betroffen seien nicht nur die Reservisten selbst, sondern auch ihre Familien.

Eine Möglichkeit wären humanitäre Visa, erklärte sie. Doch könnte dies von Seiten Russlands als Eingriff und Parteinahme in seinen Krieg gegen die Ukraine gewertet werden, räumte Glorius ein. Letztlich brauche es eine gesamteuropäische politische Lösung.

Baltische Staaten und Polen wollen keine Russen aufnehmen

Die EU-Staaten haben bisher keine gemeinsame Linie im Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern gefunden. Vor allem die baltischen Staaten und Polen lehnen eine Aufnahme ab. Glorius äußerte Verständnis für die Haltung dieser Länder. Einerseits gebe es dort moralische Vorbehalte, andererseits Befürchtungen, von russischen Agenten unterwandert zu werden. Länder wie Polen seien bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge Vorreiter gewesen; aus ihrer Sicht wäre es nachvollziehbar, wenn die russischen Flüchtlinge nun primär in anderen EU-Ländern Zuflucht erhalten, erklärte Glorius. Auch aus ihrer Sicht ist hierbei eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich.

Und Konflikte könnte es nach Einschätzung der Expertin auch mit Blick auf die vielen ukrainischen Kriegsflüchtlinge geben. "Man kann sich vorstellen, dass jemand, der vor dem Krieg in der Ukraine geflohen ist und dort vielleicht Angehörige verloren hat, keinem Russen unvoreingenommen gegenüber treten kann." Darauf müsse man sich präventiv einstellen.

Noch bis Freitag diskutieren Fachleute aus aller Welt in Chemnitz über aktuelle Fluchtprozesse und ihre Folgen sowie neueste Studien und Forschungsergebnisse aus der internationalen Migrationsforschung. "In diesem Jahr erreichen wir mit 89 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen weltweit einen traurigen Höchststand", betonte Glorius als Gastgeberin. "Dabei ist mit dem Krieg in der Ukraine das Thema für die deutsche Öffentlichkeit wieder näher gerückt." An der Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung nehmen den Angaben zufolge 400 Gäste aus mehr als 30 Ländern in Präsenz oder online teil. (dpa)