Bahretaler fährt im Frieden nach Russland und kehrt aus dem Krieg zurück

Robert Semmann macht gern, was andere für verrückt halten. Er hat schon in Fernsehshows wie der Küchenschlacht gekocht, machte per House-Running einen „perfekten Antrag“ und verkleidete sich für die Sendung "Sag die Wahrheit" als Schlumpfine. Jetzt stand Russland auf dem Programm des 36-jährigen Unternehmensberaters, Bloggers und Influencers. Mit dem Fahrrad über den zugefrorenen Baikalsee. Als der Bahretaler am 13. Februar mit seinem Onkel und seiner Tante in Berlin mit dem Flugzeug startete, ahnte er nicht, dass er in einer anderen Zeitrechnung zurückkommen würde.
Die Idee zu der Reise hatten sein Onkel und dessen Partnerin, die schon mal im Sommer am Bai+kal waren. Diesmal begleitete sie auf ihrer Tour ein Auto, in dem sich für den Notfall auch ein Satellitentelefon befand. Jeden Tag schien die Sonne, es war das perfekte Wetter, mit maximal minus 40 Grad, sagt Robert Semmann.
Die Reise begann mit einem Bombenverdacht. Drohne, Akkus, Actioncam, Selfiestick und Kamera im Gepäck des Onkels waren verdächtig und wurden ausführlich untersucht. Beim Umsteigen in Moskau hat Robert vor der Sicherheitsschleuse schnell sein Wasser ausgetrunken. "Da sprach mich eine angeheiterte Russin mit einer Flasche Wein an, ob ich ihr beim Austrinken helfe."
Flugangst, Banja, Borschtsch und Mäuse
Als die drei am frühen Morgen bei Minus 34 Grad in Irkutsk aus dem Flugzeug steigen, gefriert ihnen sofort der Schleim in der Nase zu Kristallen. Am nächsten Morgen fliegen sie mit einem 60 Jahre altem Flugzeug nach Nieschnagarsk. "Selbst ich hatte bei diesem Flugzeug etwas Flugangst", sagt Robert. Es war so kalt, dass sie ihre Winterjacken anbehielten. Nieschnagarsk liegt in der Republik Burjatien (Nord Mongolen) am Ende des Baikalsees.
Am vierten Tag der Reise schließlich betraten sie mit ihren ausgeliehenen Fahrrädern, an deren Rädern sich Spikes befanden, das erste Mal das Eis des Baikals. 35 Kilometer fahren sie und begegnen nur einem einzigen Fahrzeug, einem alten russischen Luftkissenboot. Die Strecke am Baikalsee ist sonst nicht zugänglich, wenn nicht das Eis wäre. Es gibt auf dem Land keine Wege, Straßen oder dergleichen. "Auf dem glatten Eis zu fahren, hat am Anfang etwas Übung gebraucht", sagt Robert.

Übernachtet wurde in Hütten. Hier kochten die drei Borschtsch, gruben Eislöcher, um Trinkwasser zu bekommen, tranken Wodka, feuerten mit Holz den Ofen, schwitzten in der Banja, der russischen Sauna und hatten Begegnungen mit Spitzmäusen. "Für mich, der Horror vor kleinen Mäusen hat, war das sehr schlimm. Vor allem als sie nachts über den Schlafsack gelaufen sind, weil wir ja auf dem Fußboden schlafen mussten", berichtet Robert Semmann.
Das laute, 70 Zentimeter dicke Eis
Komfortabler war das Übernachten in einem Rathaus und in einer Wetterstation. "Hier lagen meine Füße am Ofen und ich habe super geschlafen." Die Frau von der Station zeigte ihnen ihre Fotobücher. Die tolle Tierwelt im Frühling und Sommer mit ihren vielen Bären, Zobeln, Elchen und Robben beeindruckte die Reisenden. Am nächsten Morgen begrüßte sie an der Zimmertür eine Ziege. Zu den tierischen Begegnungen gehörte auch ein Fuchs, der nachts die Vorräte durchwühlte.
Umso weiter sie fuhren, umso mehr Schnee war auf dem Eis. Hinzu kamen riesige Packeisflächen. So schaffen sie auch schon mal nur 20 Kilometer am Tag und fuhren den Rest mit dem Begleitauto. An zwei Tagen mussten sie sogar laufen, weil anders kein Durchkommen war. "Dann wurde das Eis auch immer lauter, da es Tag und Nacht arbeitete", erzählt Robert Semmann. "Entweder war es ein lautes Knallen oder ein Blubbern, wenn Methangasblasen unter das Eis knallen." Das Eis war bis zu 70 Zentimeter dick.
Der verschwundene Demonstrant
Am 24. Februar fahren sie mit dem Auto 350 Kilometer Richtung Irkutsk." Die Reise geht zu Ende, wir haben wieder Handyempfang und sind etwas schockiert über die Nachrichten, auch wenn uns Umfang und Ausmaß aufgrund der spärlichen Informationen nicht klar war", sagt Robert Semmann. "Jedoch merkte man bei den Einheimischen, dass eine sonderbare Stimmung in der Luft war." In Irkutsk sahen sie einen Mann in der Fußgängerzone für den Frieden demonstrieren. Dass er schnell verschwand, fanden sie erst komisch. Inzwischen ist klar, Putin lässt Demonstranten gegen seinen Krieg verhaften.

Robert Semmann und seine beiden Mitreisenden fliegen mit einem der letzten Flugzeuge Richtung Deutschland. In Moskau an der Anzeigetafel waren bereits viele Flüge storniert. Zu Hause wird ihnen langsam klar, was geschehen ist. Sie sind im Frieden abgereist und im Krieg wiedergekommen. "Trotzdem war es eine unvergessliche Reise", sagt Robert. "Ich habe besonders die Stille genossen, die viele Sonne, die atemberaubenden Landschaften, das krachende Eis unter uns und die vielen schönen Momente und Begegnungen."