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Nawalny in berüchtigtem Gefängnis

Nach seiner Landung in Moskau ist der Kremlgegner prompt in Haft gekommen. Das Entsetzen ist international groß. Russland zeigt sich unbeeindruckt.

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Alexej Nawalny macht ein V-Zeichen, während er in Handschellen von einem Polizeibeamten vor der 2. Abteilung der Direktion des russischen Innenministeriums von Chimki eskortiert wird.
Alexej Nawalny macht ein V-Zeichen, während er in Handschellen von einem Polizeibeamten vor der 2. Abteilung der Direktion des russischen Innenministeriums von Chimki eskortiert wird. © TASS

Moskau. Der gerade erst nach Russland zurückgekehrte Kremlkritiker Alexej Nawalny wird in der Hauptstadt Moskau in einem besonders gefürchteten Untersuchungsgefängnis festgehalten. Nawalny sei am Montagabend in die Haftanstalt Matrosenruhe gebracht worden, schrieb ein Sprecher von Moskaus ziviler Beobachtungskommission am Dienstag in seinem Telegram-Kanal. Zuvor hatte auch Nawalnys Team diese Befürchtung geäußert. In dem Gefängnis gab es immer wieder rätselhafte Todesfälle - unter anderen starb dort im Jahr 2009 der Anwalt Sergej Magnitski.

Die Behörden äußerten sich weiter nicht zum Aufenthaltsort des 44-jährigen Oppositionellen, der am Sonntagabend direkt nach seiner Ankunft aus Deutschland am Flughafen festgenommen worden war. Angaben der Beobachtungskommission zufolge soll es Nawalny in der Haft verhältnismäßig gut gehen. Er sei "froh, wieder in der Heimat zu sein", die Gefängniswärter übten bislang "keinen moralischen und physischen Druck" auf ihn aus.

Nawalny, der sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im August erholt hatte, war am Montag in Moskau in einem umstrittenen Eilverfahren zu 30 Tagen Untersuchungshaft verurteilt worden. Der 44-Jährige habe gegen Meldeauflagen nach einem früheren Strafprozess verstoßen, hieß es. Die Haft gelte bis zum 15. Februar, teilte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch am Montag mit. Der Oppositionsführer kritisierte das Verfahren als politische Inszenierung mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen.

"Das lässt sich nicht einmal als eine Parodie auf Gesetzmäßigkeit bezeichnen", sagte Jarmysch. Nawalnys Anwalt Wadim Kobsew kündigte an, das Urteil anzufechten.

In einem Video bei Twitter beklagte Nawalny, dass die Justiz in Russland eine neue Stufe der "Gesetzlosigkeit" erreicht habe.

"Ich habe oft gesehen, wie der Rechtsstaat ins Lächerliche gezogen wird, aber dieser Opi in seinem Bunker fürchtet sich inzwischen so sehr (...), dass nun einfach der Strafprozesskodex zerrissen und auf die Müllhalde geworfen wird", sagte Nawalny in dem improvisierten Gerichtszimmer. Mit "Opi in seinem Bunker" meint Nawalny den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der wegen der Corona-Pandemie meistens in seiner Moskauer Vorstadtresidenz per Video-Schalte arbeitet. "Es ist unmöglich, was hier passiert", sagte Nawalny.

Nawalnys Anwälte hatten offenbar ein Schreiben über den Beginn einer Gerichtsverhandlung im Polizeigebäude erhalten, die dann prompt eröffnet wurde, ohne dass jemand sich hätte vorbereiten können. Zuvor hatten Nawalnys Anwälte und Mitarbeiter erklärt, dass von dem Oppositionellen jede Spur fehle.

Nawalny hatte am Sonntag nach fünf Monaten Deutschland verlassen, wo er sich von einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte. Nach seiner Ankunft in Moskau wurde er umgehend festgenommen. Die Justiz hatte ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Der Kremlkritiker soll während seines Aufenthalts in Deutschland gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben. Konkret warf der Strafvollzug ihm vor, Meldeauflagen nicht eingehalten zu haben.

Nach Landung festgenommen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte die umgehende Freilassung Nawalnys. Die hatte ihn auch in Berlin in der Charité während seiner Behandlung besucht. Mehrere Staaten und die Nato verurteilten das Vorgehen gegen Nawalny. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin als einen politischen Gefangenen Russlands ein.

Olga Michailowa, Anwältin von Kremlkritiker Nawalny, der nach seiner Landung in Russland noch am Flughafen festgenommen wurde, steht am Morgen nach der Festnahme vor der Polizeistation in Chimki im Moskauer Gebiet, in die Nawalny vermutlich gebracht wurde
Olga Michailowa, Anwältin von Kremlkritiker Nawalny, der nach seiner Landung in Russland noch am Flughafen festgenommen wurde, steht am Morgen nach der Festnahme vor der Polizeistation in Chimki im Moskauer Gebiet, in die Nawalny vermutlich gebracht wurde © Alexey Filippov/Sputnik/dpa

Die Anwältin Nawalnys, Olga Michailowa, beklagt seit Sonntagabend, dass sie ihren Mandanten nicht betreuen dürfe. Sie werde nicht vorgelassen, sagte sie dem Radiosender Echo Moskwy am Montag vor der Polizeistation. Die Anwältin hatte am Sonntag am Flughafen Scheremetjewo Nawalny zwar gesehen, Uniformierte verwehrten ihr allerdings, ihn zu begleiten, wie auf einem Video zu sehen war.

Auch Menschenrechtler stünden vor dem Polizeigebäude und hätten keinen Zugang, sagte Michailowa. Sie warf den Polizeibehörden Gesetzesverstöße vor, weil Nawalny der rechtlich vorgesehene Schutz verwehrt werde.

"Die Wahrheit ist auf meiner Seite"

"Die russischen Behörden müssen Alexej Nawalnys Rechte akzeptieren und ihn umgehend freilassen", forderte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter. Als unrechtmäßig kritisierten auch EU-Ratschef Charles Michel und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) die Inhaftierung. Auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen forderten die sofortige Freilassung Nawalnys. Die Festnahme sei "völlig inakzeptabel", hieß es in einer Erklärung der drei an Russland grenzenden EU- und Nato-Länder. An diesem Montag dürfte sich Außenminister Sergej Lawrow bei einer Pressekonferenz zu dem Fall äußern.

Bereits im Vorfeld wurden Unterstützer des Oppositionellen am Flughafen Moskau verhaftet.
Bereits im Vorfeld wurden Unterstützer des Oppositionellen am Flughafen Moskau verhaftet. © AP

Kritik an der Festnahme Nawalnys gab es auch aus den USA. "Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Schärfste die Entscheidung Russlands, Alexej Nawalny zu inhaftieren", teilte US-Außenminister Mike Pompeo mit. "Wir nehmen mit großer Sorge zur Kenntnis, dass seine Festnahme der jüngste in einer Reihe von Versuchen ist, Nawalny und andere Oppositionelle und unabhängige Stimmen, die den russischen Behörden kritisch gegenüberstehen, zum Schweigen zu bringen." Der künftige US-Sicherheitsberater Jake Sullivan forderte Nawalnys sofortige Freilassung und warf dem Kreml Angriffe auf die Menschenrechte vor. Zudem müssten die Verantwortlichen für Nawalnys Vergiftung in Sibirien am 20. August zur Rechenschaft gezogen werden.

Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat die sofortige Freilassung Nawalnys gefordert. "Alexei Nawalny ist nach seiner Genesung aus eigenen Stücken und bewusst zurückgekehrt nach Russland, weil er dort seine persönliche und politische Heimat sieht. Dass er von den russischen Behörden sofort nach Ankunft verhaftet wurde, ist völlig unverständlich", sagte Maas am Montagmorgen.

Russland sei durch seine eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und an den Schutz der Bürgerrechte gebunden. "Diese Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber Alexei Nawalny zur Anwendung kommen. Er sollte unverzüglich freigelassen werden", betonte Maas.

Im September wird gewählt

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete Nawalnys Inhaftierung als "rechtswidrig". "Diesem Mann ist Unrecht geschehen. Es ist ein Mordanschlag auf ihn verübt worden und er müsste vom Staat beschützt und nicht verhaftet werden", sagte der Finanzminister am Sonntagabend im "Bild"-Talk "Die richtigen Fragen". Es stehe ihm zu, "sich als freier Mann in Russland zu bewegen und sich um politische Mandate zu bewerben»". Das dürfe nicht dazu führen, "dass die Staatsgewalt alles gegen ihn unternimmt".

Kritik kam auch von den Grünen im Bundestag. Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt schrieb auf Twitter: "Der Kreml zeigt wieder eindeutig, wie er mit Oppositionellen umgeht und KritikerInnen mit allen Mitteln einschüchtern will." Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik, erklärte: "Der Kreml und Wladimir Putin wollen Alexej Nawalny in diesem Duma-Wahljahr um jeden Preis aus dem Verkehr ziehen." Das neue Parlament wird im September gewählt.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff kritisierte den "autoritären Kurs des russischen Präsidenten". Putin führe das Land in eine Sackgasse. "Die Bundesregierung muss darauf drängen, dass den Anwälten Nawalnys die Gründe für die Verhaftung dargelegt werden und er selber korrekt behandelt wird." Nawalnys Anwältin empfing Nawalny auf dem Airport, durfte ihn aber nicht begleiten.

Nawalny hatte sich in Deutschland von dem Anschlag mit dem als Chemiewaffe verbotenen Nervengift Nowitschok behandeln lassen. Russland bestreitet, dass es ein Verbrechen gegeben habe und lehnt deshalb Ermittlungen ab, solange es dafür eine Beweise gebe. Allerdings wiesen Labore der Bundeswehr sowie in Frankreich, Schweden und bei der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) den illegalen Kampfstoff Nowitschok nach. Die EU hat wegen des international kritisierten Verbrechens Sanktionen gegen Vertreter des russischen Machtapparats verhängt.

"Danke Freunde"

Vor seiner Rückkehr nach Russland hatte sich Nawalny in einen Instagram-Beitrag sehr positiv über Deutschland geäußert. Nach dem Giftanschlag auf den Politiker war dieser in ein künstliches Koma versetzt und in die Berliner Charité ausgeflogen worden. Er hat die letzten Monate hier verbracht und war auch in Dresden zu Besuch. (dpa)