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Warum ein Öl-Embargo Putin kaum schadet

Die Exportsanktionen für Öl und Kohle als Mittel, um den Krieg zu beenden, werden überschätzt. Das findet der Dresdner Ökonom Marcel Thum. Ein Gastbeitrag.

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Professor Marcel Thum von der TU Dresden hält ein Ölembargo für ein überschätztes Mittel, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.
Professor Marcel Thum von der TU Dresden hält ein Ölembargo für ein überschätztes Mittel, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. © Ifo Dresden

Von Marcel Thum*

Als Reaktion auf den russischen Krieg in der Ukraine plant die Europäische Union (EU) einen Einfuhrstopp für russische Kohle, auch russisches Öl soll möglicherweise gegen Ende des Jahres nicht mehr nach Europa exportiert werden dürfen. Ein Einfuhrstopp für Erdgas ist ebenfalls im Gespräch. Doch wie wirksam ist so ein Embargo auf erschöpfbare Ressourcen überhaupt?

In der aktuellen Diskussion wird die Härte der Sanktionen gemessen über die Erlöse. Das Narrativ lautet immer: ‚Wir zahlen Russland jeden Tag über 700 Millionen Dollar. Wenn wir die Rohstoffe nicht mehr abnehmen, schaden wir Putin in derselben Höhe.‘ Das ist ein ökonomisches Missverständnis. Der entgangene Verkaufserlös sagt wenig über die Härte der Sanktion.

Solange Putin fest im Sattel sitzt, kann es ihm recht egal sein, ob sein Regime das Vermögen in Form von internationalen Anlagen oder von Rohstoffen im Boden hält. Warum? Im Allgemeinen gibt es keinen Druck, Öl oder Gas sofort verkaufen zu müssen. Im Gegensatz etwa zu verderblichen Erntegütern lassen sich diese Ressourcen relativ problemlos weiter im Boden lagern, ohne dabei an Wert zu verlieren.

Durch einen verzögerten Abbau entsteht bei gut funktionierenden Rohstoff- und Finanzmärkten kein finanzieller Schaden für die Rohstoffbesitzer. Dies ändert sich erst, wenn der sanktionierte Machthaber es eilig hat, seine Ressourcen zu Geld zu machen. Die könnte der Fall sein, weil er Angst davor hat, künftig nicht mehr auf die Rohstoffe zugreifen zu können, etwa weil ein Umsturz droht. Nun sieht es aktuell nicht so aus, als müsste Putin den Machtverlust fürchten.

Stattdessen wurden ihm mit anderen Sanktionen wie dem Einfrieren von russischen Konten in der Schweiz Möglichkeiten entzogen, das durch die Exporte gewonnene Geld sicher für sich und sein Umfeld anzulegen. Das führt dazu, dass es für Putin wegen des Einfrierens russischer Konten tendenziell dann doch besser ist, mehr natürliche Rohstoffe für sich zu behalten, auch wenn er nicht einhundert Prozent sicher sein kann, dass er sie morgen noch ausbeuten kann. Die Exportsanktionen und das Einfrieren von Konten beißen sich also, was die Wirksamkeit der Strafe betrifft.

Russland stößt nicht schnell an Liquiditätsgrenze

Doch muss Russland Söldner und Kriegsgerät nicht mit Öl und Gas, beziehungsweise den damit erworbenen Devisen, bezahlen? Auf den Embargos liegt dementsprechend auch die Hoffnung, Russland damit die liquiden Mittel für die Kriegsführung entziehen zu können.

Die fehlenden Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas in die EU dürften kurz- und mittelfristig kaum zu Liquiditätsproblemen in Russland führen und Militärausgaben verhindern. Wir reden momentan über einen dreistelligen Millionenbetrag, der, zumindest bis vor Kurzem, jeden Tag an Russland für die Rohstoffe bezahlt wurde. Russland hat selbst nach dem Einfrieren der Vermögenswerte international fungible Vermögen in Höhe von 300 bis 400 Milliarden US-Dollar. Selbst wenn sie ab morgen keinen US-Dollar mehr kriegen – bis sie da an eine Liquiditätsgrenze stoßen, vergeht eine lange Zeit.

Unter den aktuellen Gegebenheiten dürfte der Verzicht auf russisches Öl und Gas nur wenig dazu beitragen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Gleichzeitig könnte die europäische Wirtschaft massiv unter der dann gestiegenen Rohstoffknappheit, vor allem bei Gas, leiden. Dies ist kein Plädoyer, ganz auf Rohstoffsanktionen zu verzichten. Die Überlegungen zeigen aber, dass die Kosten solcher Sanktionen für Europa hoch, der Schaden für Putins Regime eher begrenzt bliebe. Daher sollte der Fokus der europäischen Politik auf möglichst umfassenden Lieferbeschränkungen von Ersatzteilen und anderen wichtigen Gütern liegen, die Russland nicht selbst herstellen kann.

  • *Der Autor: Marcel Thum ist Professor für Volkwirtschaftslehre an der Technischen Universität Dresden und Leiter der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.