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Familienkompass

Westdeutsche Familien werden sächsisch

Mehr Kinder, mehr Fremdbetreuung, mehr Alleinerziehende. Wie im Freistaat könnten Familien bald im ganzen Land leben.

Von Daniel Krüger
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Spielen mit den Kleinsten: Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, bleibt dafür oft nur wenig Zeit. Das empfinden viele sächsische Väter und Mütter als belastend.
Spielen mit den Kleinsten: Wenn beide Eltern erwerbstätig sind, bleibt dafür oft nur wenig Zeit. Das empfinden viele sächsische Väter und Mütter als belastend. © Maria Howenstine/Unsplash

Sachsen sei „Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen“, sagte Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung im Sommer 2019 in einem Interview. Dass dies nicht nur für politische Spaltungstendenzen, sondern auch für das Familienleben gilt, legen aktuelle Zahlen der statistischen Ämter in Bund und Land nahe. 

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Sie zeigen: Dreißig Jahre nach dem Mauerfall nähern sich Familien in Ost und West einander immer stärker an. In Sachsen bündeln sich bestimmte Tendenzen dieser Entwicklung besonders stark. Zum Start des großen Familienkompass 2020 haben wir die wichtigsten Daten und Fakten für Sie zusammengefasst.

Sächsische Frauen werden bei der Familiengründung immer älter

Eine Familie zu gründen, war zu DDR-Zeiten selbstverständlich, dies bereits Anfang der Zwanziger zu tun, der Regelfall. Wer sich im jungen Alter für Kinder entschied, konnte mit der vollen Unterstützung des Staates rechnen – und hatte zahlreiche Vorteile, etwa bei der Wohnungssuche. 

So verwundert es kaum, dass Mütter in der DDR bei der Geburt des ersten Kindes noch Mitte der 80er-Jahre im Durchschnitt erst 22 Jahre alt waren. Auch in der Bundesrepublik lag der Altersschnitt mit 25 für heutige Verhältnisse niedrig – weil im Westen damals noch immer eine konservative Rollenverteilung dominierte.

„Frauen erhalten heutzutage eine bessere und längere Ausbildung. Dadurch erhöhen sich ihre Karrieremöglichkeiten“, sagt die Soziologin Nina Weimann-Sandig von der Evangelischen Hochschule Dresden. 

So erkläre sich, dass Mütter in der gesamten Republik bei der Geburt ihres ersten Kindes immer älter werden. Waren sie 2014 im Schnitt noch 29,5 Jahre alt, lag ihr Alter 2018 bereits bei 30 Jahren. Auch in Sachsen stellen junge Mütter mittlerweile eher den  Ausnahmefall dar. Etwa acht Monate jünger als der Bundesschnitt sind Frauen im Freistaat bei der Familiengründung.

Die meisten Frauen in Sachsen sind Mutter

Und doch sind Kinder außergewöhnlich fester Bestandteil der sächsischen Identität: Mit einer Kinderlosenquote von lediglich 15,2 Prozent sind nur Frauen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern deutschlandweit häufiger Mütter.

Bei den Geburtenraten ist hingegen eine deutliche Angleichung zu erkennen. Bekam eine deutsche Frau im sogenannten „gebärfähigen Alter“ 2014 noch 1,47 Kinder im Schnitt, waren es 2018 schon 1,57 – in Sachsen brachte eine Frau im selben Jahr durchschnittlich 1,59 Kinder zur Welt. 

Den meisten Nachwuchs bekommen Frauen übrigens in den Landkreisen Bautzen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, in Leipzig ist man hingegen am wenigsten zeugungsfreudig. 

Dass Sachsen einen demografischen Trend setzt, führt die Soziologin Weimann-Sandig auch auf viele Kitas zurück. „Die Kindertagesbetreuung war in Sachsen schon immer besonders gut ausgebaut. Deshalb ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hier einfacher als in anderen Bundesländern.“

Krippen stehen in Sachsen hoch im Kurs

Dass der vermehrte Ausbau von Kindertagesstätten Wirkung zeigt, bestätigen auch die Statistiken. 2006 wurde jedes dritte Kind in Sachsen unter drei Jahren professionell betreut, 2019 war es schon jedes Zweite. 

Doch beim Ost-West-Vergleich scheiden sich noch immer die Geister: In den alten Bundesländern lag die Betreuungsquote im vergangenen Jahr bei 30,3 %, in den neuen Bundesländern bei 55,8 %. Die meisten Eltern, die ihre Kinder nicht in die Krippe schicken, findet man übrigens in Niedersachsen.

„Sachsen hat seit Verabschiedung des Rechtsanspruchs im U3-Bereich erhebliche Anstrengungen unternommen, die Kindertagesbetreuung weiter auszubauen und gute Angebotsstrukturen zu schaffen“, erklärt Weimann-Sandig die Unterschiede im Ländervergleich. 

Trotzdem gebe es besonders im ländlichen Raum Probleme. „In vielen strukturschwachen Regionen Sachsens herrscht Fachkräftemangel, der die Betreuungslücke verschärft.“ 

Sachsens Eltern erziehen gleichberechtigter

Aber wie sieht es eigentlich in puncto gleichberechtigte Erziehung aus? Das sächsische Familienmodell kann hier als durchaus wegweisend bezeichnet werden. Im Vergleich zu 2005 ist die Zahl erwerbstätiger Mütter im Freistaat 2015 nämlich um sieben Prozent gestiegen – auf insgesamt 79 Prozent.

Deutschlandweit gingen hier nur 68 Prozent aller Mütter arbeiten. Unterschiede gibt es auch bei der Wochenarbeitszeit: Während in Sachsen 40 Prozent aller Mütter einen Vollzeitjob ausüben, sind es bundesweit nur knapp die Hälfte.

Gute Bedingungen, um auch Männer mehr an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen, meint die Expertin. „Das paritätische Elternzeitmodell wird in Sachsen sehr gut angenommen.

Väter in Sachsen legen Wert darauf, die Elternzeit gemeinsam mit der Partnerin zu gestalten, und planen dafür auch berufliche Auszeiten“, sagt Weimann-Sandig. Mit 44 % nehmen hier so viele Väter Elterngeld in Anspruch wie in keinem anderen Bundesland. 

Neue Familienformen sind in Sachsen auf dem Vormarsch

Auch eine Hochzeit gehört für überdurchschnittlich viele Sachsen nicht zwangsläufig zur Familiengründung. 2015 waren laut des sächsischen Sozialberichts nur etwas mehr als die Hälfte aller Eltern im Freistaat verheiratet, in den alten Bundesländern lag die Quote hingegen bei knapp 70 Prozent. 

Gleichzeitig wachsen immer mehr Kinder in Sachsen nur bei einem Elternteil auf. So ist der Anteil der Alleinerziehenden an Familien im Freistaat mit 24 % überdurchschnittlich hoch. Allerdings dürfe diese Zahl nicht überbewertet werden, erklärt Weimann-Sandig. „Vielmehr ist es so, dass neue Familienformen auf dem Vormarsch sind“, so die Soziologin. 

„Der Osten Deutschlands ist bunter. Paare leben zusammen ohne zu heiraten, Singles entscheiden sich auch ohne einen festen Partner dafür, ein Kind zu bekommen, Regenbogenfamilien setzen sich durch. Gerade bei letzteren ist die rechtliche Zuordnung der Kinder viel schwieriger als bei heterosexuellen Paaren, so dass Mütter oder Väter als alleinerziehend betrachtet werden.“

Die Kinderarmut in Sachsen ist deutlich gesunken

Positiv stimmen auch die Zahlen zur finanziellen Situation sächsischer Familien. Obwohl deren Median-Netto-Einkommen mit 3.030 Euro über 300 Euro unter dem deutschen Schnitt liegt, sank die Zahl der sächsischen Kinder in Hartz-IV-Familien von 2010 bis 2019 um über fünf Prozent. 

Sie liegt damit momentan deutlich unter dem Bundesschnitt. Den meisten sächsischen Eltern fehle es vorrangig nicht an Geld, sondern an Zeit, fand die AOK-Familienstudie 2018 heraus. Auch hier liegt Sachsen im Trend, wie Soziologin Weimann-Sandig feststellt. 

„Doppelte Erwerbstätigkeiten stellen Familien heute vor erhebliche organisatorische Herausforderungen. Alles muss stets verhandelt werden.“ Gleichzeitig sei der Anspruch an die eigene Erziehung gestiegen, weshalb Eltern immer mehr Freizeitaktivitäten für ihre Kinder planten. Dies führe letztlich zu einer „extremen Erschöpfung der Familie“

Sachsens Familien könnten positives Beispiel für andere Bundesländer sein

Ob positive oder negative Entwicklungen: Viele Tendenzen des modernen Familienlebens in Ost und West spiegeln sich in Zahlen aus Sachsen. Könnte der Freistaat diese Vorreiterrolle für sich nutzen? Durchaus, meint Weimann-Sandig. Doch dazu brauche es noch viele gesellschaftspolitische Veränderungen.

"Besonders im Bereich der Kinderbetreuung kann der Fachkräftemangel nur bewältigt werden, wenn junge Leute in Sachsen ein strukturelles Umfeld und ein weltoffenes politisches Klima vorfinden“, sagt die Professorin. Daran müsse gearbeitet werden. Und: Auch beim Thema Löhne müsse Sachsen endlich aufholen. 

Familienkompass 2020

  • Was ist der Familienkompass? Der Familienkompass ist eine sachsenweite Umfrage von Sächsische.de, LVZ und Freie Presse, wissenschaftlich begleitet von der Evangelischen Hochschule Dresden.
  • Worum geht es? Wir wollen wissen: Wie kinder- und familienfreundlich sind die einzelnen Gemeinden und Städte im Freistaat? Dafür brauchen wir Ihre Hilfe. Alle Ergebnisse werden wissenschaftlich ausgewertet und nach der Befragungsphase intensiv für unsere Leser aufbereitet.
  • Wann? Die Befragung findet bis zum 9. April 2020 statt.
  • Wie kann ich mitmachen? Den Fragebogen finden Sie unter www.sächsische.de/familienkompass
  • Was passiert mit meinen Daten? Die Daten der Befragung werden streng vertraulich behandelt und ohne Personenzuordnung wissenschaftlich ausgewertet. Und als Dankeschön für die Zeit wartet ein tolles Gewinnspiel.