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Sachsen sagt am meisten „Nein zum Heim“

Der Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte wächst. Vor allem im Internet. Und vor allem in Ostdeutschland.

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© Screenshot: SZ

Von Ulrich Wolf, Hanna Buiting und Franziska Klemenz

Sie polemisieren. Sie meckern. Sie schimpfen. Im Schutz der Anonymität. Vor allem im Internet. Speziell auf Facebook. Vom „Kanakenpack“ ist da die Rede, von „vorprogrammierten Messerstechereien und Diebstählen“, von „Asylanten, die alles in den Arsch geblasen bekommen.“ So oder so ähnlich lauten die Kommentare auf Seiten, mit denen auf Facebook Stimmung gemacht wird gegen Flüchtlinge im Allgemeinen und Flüchtlingsunterkünfte im Besonderen. Solche Seiten heißen „Freital wehrt sich – nein zum Hotelheim“, „Asylanten in Frintrop – nein danke!“ oder unverfänglicher „Bürgerbewegung Marzahn“. Abseits von Pegida, NPD, Republikanern, Patrioten & Co. organisieren sich zunehmend Menschen im vereinten Hass aufs Fremde. Vor allem in Sachsen.

Die SZ hat regional aktive Anti-Asylbewerber-Bewegungen auf Facebook analysiert. Es gibt sie in 95 Kommunen, mehr als die Hälfte davon vereinen sächsische und brandenburgische Gemeinden auf sich sowie Ostberliner Stadtteile. Ähnlich sieht die Verteilung der „Gefällt mir“-Angaben aus. Auch dabei liegt Sachsen weit vorn. Von den insgesamt rund 151 000 Daumen-hoch-Angaben entfallen allein auf den Freistaat 38,4 Prozent. Auf Rang zwei liegt Brandenburg mit 21,2 Prozent, auf Platz drei kommt Ostberlin mit 16,5 Prozent. Obwohl politisch von völlig verschiedenen Parteien regiert, stoßen diese drei Regionen offensichtlich beim Austoben virtueller Ressentiments auf fruchtbaren Boden.

Auffällig ist zudem, dass im Nordwesten der Republik sowie im Saarland solche Seiten gar keine Rolle spielen und in den großen Flächenländern des Westens und in Mecklenburg-Vorpommern nur sporadisch auftauchen.

In Sachsen selbst sind die Unterschiede auf Landkreis-Ebene teilweise ebenfalls gravierend. Die meisten Nein-zum-Heim-Seiten gibt es im Landkreis Leipzig sowie in der Stadt Leipzig. Die Seite der „Bürgerinitiative Gohlis sagt nein“ steht zudem mit fast 11 000 Likes an der Spitze der Beliebtheitsskala. Zum Vergleich: Die sächsischen Grünen oder die CDU-Landtagsfraktion schaffen gerade mal 1 200 Likes.

Vom Computer auf die Straße

Regen Zuspruch erfahren die virtuellen Anti-Asylbewerber-Bewegungen zudem im Landkreis Bautzen (fünf Orte) sowie im Erzgebirgskreis und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge mit je vier Orten. Die Landkreise Görlitz und Nordsachsen hingegen sind im Freistaat weiße Flecken.

Dass solche Bewegungen imstande sind, nicht nur auf virtueller Ebene intolerante Meinungen zu bestärken, sondern durchaus auch in der realen Welt Folgen haben können, hatte sich erst in der vergangenen Woche in Freital gezeigt. Dort sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus Brähmig seine in einem Gasthof geplante Asyl-Sprechstunde ab, nachdem es auf der Freitaler Internetseite von „Nein zum Hotelheim“ zu Anfeindungen gekommen war und der Gasthof daraufhin seine Zusage zurückzog. Bereits Anfang März hatten die Betreiber der Facebook-Seite es geschafft, rund 1 500 Menschen zu einer Anti-Asyl-Kundgebung zu bewegen, bei der es zu Ausschreitungen kam. Nachdem sich Freitals Oberbürgermeister Klaus Mättig (CDU) lediglich bei den asylkritischen Demonstranten blicken ließ, nicht aber bei der Gegendemo, wurde er von den Befürwortern der Nein-zum-Hotelheim-Bewegung gefeiert. „Super, dass unser OB zum Volk steht“, war da zu lesen. Oder: „Ein OB mit dem Herz auf der richtigen Stelle.“

Das sächsische Innenministerium sieht in den teilweise hetzerisch aufgemachten Facebook-Seiten offensichtlich keine Gefahr. Pressereferentin Patricia Vernhold sagte, solche Facebook-Seiten seien „kein Beobachtungsgegenstand des Ministeriums“. Man könne daher leider dazu auch kein Statement dazu abgeben.

In der Tat zeichnen sich die Macher dieser Seiten durch eine gewisse Feigheit aus. Fast immer fehlen Namensangaben der Verantwortlichen und ein entsprechendes Impressum. Die ebenfalls meist anonymen Nutzer gießen ihre Wut in Parolen wie „Merkel muss weg“ und „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“.

Sie posten eine Vielzahl von Zeitungsartikeln, in denen von gewaltsamen Unruhen mit Asylbewerbern die Rede ist und durch die sie sich in ihrem Unmut noch bestätigt fühlen. Besonders häufig wird ein Vergleich zwischen „unseren armen deutschen Kindern“ und den „sozialschmarotzenden Scheinasylanten“ gezogen, die dem „Nachwuchs der Deutschen“ die Zukunft verbauen würden. Gleichwohl achten die Macher darauf, nach außen hin nicht als Rechtsextreme in Erscheinung zu treten. So heißt es auf der Seite „Flöha sagt nein zum Heim“: „Wir sind keine NPD-Tarnorganisation (oder Ähnliches), sondern vollkommen unabhängig!“ Man bemühe sich lediglich, „für ein asylbewerberfreies Flöha einzutreten“. Wer dies herabwürdige oder gar kriminalisiere, verhalte sich „schäbig“. Mitunter wird auf den Seiten regelmäßig dazu aufgerufen, sich an Spaziergängen und Demonstrationen von Pegdia beziehungsweise deren Ablegern zu beteiligen.

Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden dennoch oft überschritten. So finden sich bei „Chemnitz stellt sich quer“ Kommentare wie: „Denen gehört von früh bis abends eine auf die Fresse. Pack.“ Und auf die Nachricht von einem tot aufgefundenen Flüchtling aus Marokko im vogtländischen Plauen reagiert ein Nutzer mit den Worten: „Natürliche Auslese.“

Ist Facebook überfordert?

Martin Döring, Sprecher des sächsischen Verfassungsschutzes, sagt, der Behörde seien über 60 Facebook-Profile „in diesem Themenspektrum“ bekannt, ihre Anzahl aber wachse. Man beobachte nur Seiten „mit offensichtlichen rechtsextremistischen Inhalten“. Besorgte Bürger dürften nicht überwacht werden, „da es zur Offenheit unserer Gesellschaft gehört, seine Meinung und auch seine Besorgnis frei äußern zu dürfen“. Lediglich in Einzelfällen seien bislang Screenshots an die Polizei weitergeleitet worden.

Facebook selbst äußert sich zurückhaltend. Ein Sprecher des Unternehmens, der nicht genannt werden möchte, sagte der SZ, das Teilen von „kontroversen Inhalten“ sei erlaubt, solange dies nicht aus rassistischen oder sadistischen Gründen geschehe. Zudem dürften keine religiösen Gefühle verletzt werden. Wo da die Grenze liege, wollte der Sprecher nicht genau erklären. Das sei oft „eine individuelle Einschätzungssache“, sagte er. Auch zu konkreten Fällen wie der bereits erfolgten Sperrung der Anti-Heim-Seite von Berlin-Pankow wollte er sich nicht konkret äußern.

Er versicherte jedoch, dass Seiten wie „Nein zum Heim“ ununterbrochen beobachtet würden, sobald sie etwa als rassistisch identifiziert worden seien. Einen möglichen Anstieg solcher Inhalte konnte der Sprecher nicht quantifizieren. Momentan sei Facebook jedoch dabei, sehr viele Inhalte auf solchen Seiten zu löschen.

Auf die Frage, warum Kommentare wie „Kanakenpack“ oder „Die sollte man vergasen“ dann dennoch wochenlang stehenblieben, räumte er ein, die Masse solcher Inhalte würde das darauf spezialisierte Facebook-Team dann wohl doch überfordern.