Wilsdruffer Riesenantenne liegt jetzt flach

Nach 68 Jahren ist die Mittelwellenantenne bei Wilsdruff Geschichte. Am Sonntagvormittag wurde der 153-Meter-Mast gesprengt, was aber erst im zweiten Anlauf geklappt hat.
Denn der Mast war nicht fest mit dem Erdboden verbunden, sondern stand lose auf einem Isolator. Sechs Seile haben ihn gehalten, sogenannte Pardunen. Geplant war, die beiden Seile im Nordosten mit sogenannten Schneidladungen zu sprengen. Wenn dieser Halt fehlt, sollte es eine Sache von Sekunden sein, bis der Mast in die Gegenrichtung nach Südwest fällt. Aber diese Rechnung ging nicht auf.
Die Sprengung kam etwas früher als geplant. Schon um 9.30 waren zwei Sprengungen zu hören und kleine Qualmwolken am Mast zu sehen. Der Turm blieb aber stehen. „War das nur eine Vorwarnung?“, fragten sich Zuschauer.
Nein. Es hätte die Sprengung sein sollen. Ein Halteseil war auch gefallen. Aber das zweite, das ebenfalls hätte gekappt werden sollen, war immer noch gespannt. Der Turm konnte deshalb gar nicht fallen.
Unklare Situation nach der misslungenen Sprengung
Jetzt wurde es brenzlig. Auf der Autobahn 4 staute sich der Verkehr. Wie sehr das zweite Seil beschädigt war, war da nicht klar. In einer Einsatzbesprechung wurden die Lösungsmöglichkeiten abgeklopft. Variante eins war, eine neue Sprengladung anzubringen. Variante zwei, das Halteseil mit dem Schneidbrenner zu kappen, berichtete Manfred Hermann, der Sprecher von Media Broadcast, der Eigentümerfirma der Antenne.
Die Zuschauer bekamen davon nichts mit. Bis plötzlich der Ruf kam: Sie fällt! Das Wilsdruffer Wahrzeichen neigte sich leicht, wurde schneller und wirbelte eine Staubwolke auf, als die Antenne auf den Boden stürzte. Es war eine Sache von Sekunden, die am Ende noch planmäßig ausgegangen war.
Viele Fachleute unter den Zuschauern
Unter den Hunderten Schaulustigen waren Fachleute und Menschen, die auch persönlich mit dem Sender zu tun hatten. Über eine Stunde vor dem geplanten Zeitpunkt der Sprengung pilgerten sie schon auf die Felder bei Wilsdruff. An Stellen mit guter Aussicht bauten sie Stative auf, beobachteten mit Ferngläsern die Riesenantenne.
Sigrid Lippert war unter ihnen. Sie war von 1979 bis 1981 im Sender Wilsdruff als Röhrensachbearbeiterin angestellt. Sie erinnert sich noch, wie bei der regelmäßigen Grundinstandsetzung die obere Plattform der Antenne erneuert wurde. „Dort hat man gesehen, wie Blitze wirken. Da waren richtige Löcher im Stahl“, erzählt sie. Dagegen musste die Technik geschützt werden.
Strikt gesichert war aber auch die Arbeitsumgebung. „Es gab zwei Sperrkreise. Am ersten musste man seinen Ausweis der Volkspolizei zeigen. Und auf dem Gelände war noch eine zweite Ausweiskontrolle - auch für uns, die jeden Tag dort gearbeitet haben“, berichtet sie. „Am Telefon durften wir uns wegen der Geheimhaltung nur mit 'Wilsdruff 285' melden.“
Dieses Sicherheitsregime war auch der Grund, warum selbst ein Rundfunkmechaniker wie Dieter Schröer aus Dresden den Sender erst nach der Wende einmal besichtigen konnte. Er erinnert sich aber, wie das Mittelwellensignal aus Wilsdruff ihm in seiner Lehrzeit geholfen hat, die Skala bei den Rundfunkgeräten zu justieren.
Markus Ditz und Stefan Ecklebe aus Dresden haben sich Picknickausstattung mitgebracht und machen es sich bequem. Für sie als studierte Elektrotechniker ist es fachlich spannend. Ecklebe berichtet von einem Kollegen, der in sein Radio eine Frequenzsperre eingebaut hatte, damit der Sender Wilsdruff nicht mehr das Signal des Rias überlagern konnte.
Bauleute hatten Angst um ihren Lkw
Eberhard Fuchs aus Wilsdruff hat in jungen Jahren den Bau der Antenne miterlebt. Seine Familie hat eine Autowerkstatt in Wilsdruff am Markt. Dort hatten sie auch eine Unterstellmöglichkeit, welche die Bauarbeiter nutzten „Die hatten damals einen neuen Horch-Lkw. Das war denen zu heiß, ihn über die Nacht auf der Baustelle zu lassen. Deswegen haben sie ihn jede Nacht bei uns untergestellt“, erzählt er. Seitdem hatte er immer wieder mit den Mitarbeitern des Senders zu tun. Er ist nach der Sprengung, als die Absperrung wieder aufgehoben war, zu dem ehemaligen Wahrzeichen von Wilsdruff gegangen und hat sich ein kleines Eisenteil als Andenken gesichert.
Als die Zaungäste allerdings wieder nach Hause fahren wollten, musste sie Geduld mitbringen. Wegen der Sperrung der A4 waren viele Fahrer auf die Nebenstraßen ausgewichen. Durch Wilsdruff in Richtung Autobahn herrschte deshalb wieder einmal Stau.