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Abgelehnte Asylbewerber: Abschieben unter Beobachtung

Sachsens Abschiebepraxis ist seit Jahren umstritten. Eine Mitarbeiterin der Diakonie wird künftig Rückführungen abgelehnter Asylbewerber am Flughafen überprüfen.

Von Karin Schlottmann
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1.223 Abschiebungen waren 2021 in Sachsen geplant, etwa die Hälfte konnte realisiert werden.
1.223 Abschiebungen waren 2021 in Sachsen geplant, etwa die Hälfte konnte realisiert werden. © Symbolfoto: dpa/Julian Stratenschulte

Sachsen hat im vorigen Jahr 605 Ausländer in deren Heimatländer abgeschoben. Weitere 618 Abschiebungen sind laut Landesdirektion gescheitert, weil die zur Ausreise verpflichteten Personen von der Polizei nicht angetroffen wurden oder weil die Abschiebung aus humanitären Gründen abgebrochen wurde.

Die zwangsweisen Rückführungen sind, insbesondere wenn Familien betroffen sind, in der Landespolitik seit jeher umstritten. Ein Leitfaden für Abschiebungen, auf den sich in diesem Frühjahr nach zähem Ringen die Koalitionspartner CDU, Grüne und SPD geeinigt haben, schreibt nun Standards vor, die in jedem Fall zu beachten sind.

Mit einem sogenannten Abschiebungsmonitoring will die Landesregierung bei diesem Thema zusätzlich für etwas mehr Transparenz sorgen. Danach wird eine Mitarbeiterin der Diakonie Leipzig ab sofort Abschiebungen durch sächsische Behörden am Flughafen Leipzig beobachten, wie ein Sprecher des Innenministeriums auf Anfrage mitteilte.

Die Ergebnisse ihrer Überprüfung werden anschließend in regelmäßigen Abständen einem Beratergremium übermittelt. Dort werden die Einzelfälle kritisch überprüft, gegebenenfalls legen die Mitglieder dem Innenministerium Verbesserungsvorschläge vor, erläuterte der Sprecher.

Nicht immer endet die Abschiebung auf dem Flughafen: Viele geplante Ausweisungen fallen aus, zum Beispiel weil die betreffenden Personen nicht auffindbar sind.
Nicht immer endet die Abschiebung auf dem Flughafen: Viele geplante Ausweisungen fallen aus, zum Beispiel weil die betreffenden Personen nicht auffindbar sind. © Archivfoto: dpa/Michael Kappeler

In dem Forum wirken der Sächsische Ausländerbeauftragte, die evangelisch-lutherische Landeskirche, das Bistum Dresden-Meißen, die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, die Bundespolizei, die Landespolizei, die Landesdirektion sowie das Innenministerium mit. Das Forum verfasst über seine Arbeit einen jährlichen Bericht an den Landtag. Zur Finanzierung der Beobachtertätigkeit und der Arbeit des Forums plant das Ministerium jährliche Ausgaben zwischen 55.000 und 60.000 Euro.

Abschiebungen finden nahezu jede Woche statt, sagte der Sprecher der Landeskirche, Albrecht Engelmann. Die Beobachterin begleitet den Vorgang vom Eintreffen am Flughafen bis zum Einsteigen ins Flugzeug. Die Begründung für eine Abschiebung sowie alle weiteren Umstände entziehen sich ihrer Kontrolle.

Geert Mackenroth, Sachsens Ausländerbeauftragter, sagte, dem Monitoring komme eine Art Wächterfunktion zu. Es könne helfen, Vorurteile und Misstrauen abzubauen. „Es soll aber niemand glauben, dass Abschiebungen schöner werden“. Dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehe, habe er bisher nur als Ausnahme erlebt. Die Beobachterin werde beispielsweise darauf achten, dass den Betroffenen die nötigen Medikamente und ein wenig Bargeld mitgegeben werden. Auch der Gesundheitszustand könne ein Thema für die Überprüfung sein.

Politikfern und unabhängig

Mackenroth verteidigte die Zusammensetzung des Forums mit dem Wunsch nach Politikferne und Unabhängigkeit des Monitorings. Weder Landtagsabgeordnete noch Organisationen wie Flüchtlingsrat oder Pro Asyl würden dieses Kriterium erfüllen. Es sei nicht die Absicht, die Ausländer- und Asylpolitik vor ein Tribunal zu bringen, sagte der frühere Justizminister.

Unter Mackenroths Moderation hatten sich CDU, Grüne und SPD nach langen Auseinandersetzungen auf den gut 20 Seiten umfassenden Leitfaden verständigt, der humanitäre Aspekte bei den Abschiebungen stärken soll, wie das Innenministerium mitteilte. Die Koalitionspartner hatten dies in ihrem Vertrag vereinbart.

Die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht soll, so der Grundsatz, mit möglichst geringen Belastungen für die Betroffenen verbunden sein. Die Behörden werden verpflichtet, auf die besonderen Belange von Familien, Kindern und anderen besonders schutzbedürftigen Menschen zu achten. Abschiebungen sollen möglichst nicht mitten in der Nacht stattfinden, Familien möglichst nicht getrennt werden. Minderjährige werden grundsätzlich nicht aus Kindertageseinrichtungen oder Schulen abgeholt, schreibt der Leitfaden vor. Außerdem sollen die Behörden es vermeiden, die Ausreisepflichtigen von ihrem Arbeitsplatz abzuholen. Auf Wunsch sollen sie die Möglichkeit erhalten, Kontakt zu Anwälten, Angehörigen oder Seelsorgern aufnehmen zu können.

Schwerpunkte der Abschiebungen waren 2021 nach Angaben der Landesdirektion Georgien, Tunesien und Russland. Ende 2021 lebten danach 14.742 ausreisepflichtige Asylbewerber in Sachsen, 11.424 haben eine Duldung.