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Kritik an Kretschmers Vorstoß zur Asylpolitik

Sachsens Ministerpräsident bekräftigt erneut seine Forderung nach einer anderen Asylpolitik. Er schließt eine Grundgesetzänderung nicht aus - und provoziert damit fast ausschließlich Widerspruch.

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Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) schlägt die Bildung einer Kommission zur Frage der Flüchtlingspolitik vor. Eine Grundgesetzänderung schließt er nicht aus
Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) schlägt die Bildung einer Kommission zur Frage der Flüchtlingspolitik vor. Eine Grundgesetzänderung schließt er nicht aus © Archiv: Paul Glaser/glaserfotografie.de

Dresden. Mit einem Vorstoß zur Asylpolitik hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) heftigen Widerspruch ausgelöst. Von SPD, Grünen, Linkspartei und der AfD und FDP gab es fast durchgehend Kritik an Kretschmers Forderung nach einer Grundgesetzänderung.

Von Seiten der Union lobte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn den Vorstoß Kretschmers. Er habe recht. "Unser Herz ist weit, aber die Möglichkeiten sind begrenzt - und im ganzen Land überlastet", kommentierte Spahn auf Twitter. "Wir müssen das Thema Flucht und Migration neu zu denken wagen." Seit 2015 drehe sich Deutschland "ohne irgendeinen Fortschritt im Kreis" - damals regierte in Berlin noch die Große Koalition aus CDU und SPD.

Harsche Kritik kam dagegen vom sächsischen CDU-Bundestagsabgeordnetem Marco Wanderwitz. "Irgendeine Kommission brauchen wir genauso wenig, wie eine Grundgesetzänderung bei Asyl." Schlüssel einer weiteren Lageverbesserung liegt in Europa und in gewollter schnellerer und besserer Integration. Dafür müssten Bundes- und Landesregierung "ihre Arbeit ordentlich machen", so Wanderwitz via Twitter.

Kritik kam auch von den sächsischen Jusos. Die Zahl der Flüchtlinge sei nicht das Problem, erklärte der Vorsitzende Max Stryczek am Dienstag. Vielmehr sei die öffentliche Infrastruktur "kaputtgespart" worden und die CDU habe es versäumt, angemessen auf den Wohnungsmangel in Leipzig und Dresden zu reagieren. Die Co-Vorsitzende Mareike Engel lehnte auch Kretschmers Vorschlag einer Kommission für eine Grundgesetzänderung ab. Die Jusos forderten den sächsischen Regierungschef auf, "sich für eine stärkere Integration von Geflüchteten und eine gerechte Verteilung von Ressourcen einzusetzen, anstatt stärkere Instrumente zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber und Einwanderer zu fordern".

SPD-Bundestagsfraktionsvize Dirk Wiese sagte "Welt", in der aktuellen Situation sei Besonnenheit statt Panik gefragt. "Herr Kretschmer scheint massiv unter Druck zu stehen, da Teile seiner CDU in Sachsen offen mit der AfD koalieren wollen." Kretschmer hatte zuvor in einem "Welt"-Interview mit Blick auf die stark gestiegene Zahl der Migranten vor einem Kollaps gewarnt.

Stephan Thomae von der FDP sagte der Zeitung, von den rund 228.000 Asylentscheidungen im Jahr 2022 sei nur in 0,8 Prozent der Fälle Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz gewährt worden. Die weitaus meisten Anerkennungen erfolgten auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das zeige, dass die von Kretschmer erwähnte Grundgesetzänderung "praktisch keinen Effekt" hätte.

Clara Bünger von der Linke-Fraktion hielt dem sächsischen Ministerpräsidenten in der "Welt" vor, "wahllos mit rechten Narrativen um sich" zu werfen.

AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla sagte: "Das Grundrecht auf Asyl sollte zur Disposition gestellt werden, wenn es nicht mehr im Interesse der deutschen Bürger funktioniert."

"Die Anzahl der Menschen ist einfach zu groß"

Kretschmer hatte der Bundesregierung in dem Interview mit der "Welt" Versäumnisse in der Asylpolitik vorgeworfen. Die Grünen würden in dieser Frage "quer im Stall stehen". "Wir stehen aber vor einem Kollaps", sagte er mit Blick auf die stark gestiegene Zahl der Migranten.

"Die Anzahl der Menschen ist einfach zu groß. Wir können sie nicht integrieren. Schulen und Kindergärten sind überlastet, es gibt keine Wohnungen. Wir können kaum noch Sprachunterricht anbieten. Deshalb müssen die Zahlen reduziert werden", erklärte der Ministerpräsident. Doch dazu sei die Ampel-Koalition nicht bereit.

Kretschmer brachte dafür auch eine Änderung des Grundgesetzes ins Spiel, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Man brauche beim Thema Asyl endlich eine Lösung, die das Land befriede. "Die Spannungen steigen, die Frustrationen nehmen zu. Das wird nicht gut ausgehen, wenn wir die Dinge so weiterlaufen lassen."

Kretschmer macht Grünen-Minister für hohe Umfragewerte der AfD verantwortlich

Der Regierungschef bekräftige seine Forderung, für dieses Problem eine Kommission mit Vertretern aller politischen und gesellschaftlichen Gruppen einzusetzen. "Diese Kommission erarbeitet einen Vorschlag, hinter dem sich Bund und Länder versammeln können und zu der auch eine Grundgesetzänderung gehören könnte."

"Vieles muss geklärt werden, etwa die Höhe von Sozialleistungen für Flüchtlinge, die in Europa sehr unterschiedlich und für Deutschland ein klarer Pull-Faktor sind. Wir brauchen stärkere Instrumente und wirksame Abkommen zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber und illegaler Einwanderer. Und wir brauchen sichere Außengrenzen in der EU", betonte Kretschmer.

"Ich bin die Ausreden leid. Mit Trippelschritten können wir nicht weitermachen. Ständig höre ich, dass die Dreier-Koalition in Berlin schwierig ist, dass deshalb alles länger dauert. Diese Selbstverzwergung muss aufhören", betonte Kretschmer. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse "beherzte Entscheidungen" treffen.

Abschließend machte er indirekt die Grünen und vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für hohe Umfragewerte der AfD besonders in Ostdeutschland verantwortlich. "Der selbstherrliche Politikstil, mit dem gerade Energie- oder Wirtschaftspolitik betrieben wird, hat großen Schaden angerichtet." Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnte Kretschmer strikt ab. "Das habe ich vor der letzten Wahl gesagt, und das gilt auch vor der nächsten Wahl." (dpa/SZ/abi)