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Die Story im Hörbuch läuft jedes Mal anders

Sächsische.de stellt Erfindungen von hier vor, die unser Leben verbessern. Teil 1: Audory, das sind Geschichten, bei denen jeder den weiteren Verlauf mitbestimmt.

Von Stephan Schön
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Max Rose und Pauline Schneider arbeiten für Audory in den Räumen vom Chemnitzer TUCLab an neuen interaktiven Hörbüchern.
Max Rose und Pauline Schneider arbeiten für Audory in den Räumen vom Chemnitzer TUCLab an neuen interaktiven Hörbüchern. © Ronald Bonß

Was war das? Du siehst zwischen den Bäumen etwas Kleines, Weißes verschwinden. Und nun, „du entscheidest,“ sagt das Hörbuch. Und die weitere Geschichte bestimmt jeder für sich. Einfach alles am Wegesrand ignorieren, oder doch neugierig hinterherrennen? Ach ne. Einfach weitergehen – und schon ist man in fünf Minuten raus aus dem Zauberwald, am Ende der Hörbuch-Geschichte. Vielleicht gehst du ja morgen noch einmal in den Wald“, rät das Hörbuch nach dem viel zu schnellen Ende der Geschichte. Um dann doch nachzuschauen, was oder wer im Zauberwald hockt: Hexe, Magier oder Eisbär? Nein, das wird hier nicht gespoilert. Das soll das Hörbuch von Audory schon mal selbst erzählen.

Die Macher von Audory sitzen weder im Wald noch können sie zaubern, aber haben Ideen. Die entstehen in einem Lab vom Gründer-Campus der Technischen Universität Chemnitz. Eine große Halle mit Büros und noch mehr Labors. Im TUClab haben eben neben Sensorik und Chips auch Hörbücher der besonderen Art ihren Platz gefunden. Max Rose, der noch vor einem Jahr hier an der TU Angewandte Informatik studiert hatte, ist jetzt als Unternehmer eingezogen. Er ist der Chef und hat seine Firma erst Ende November gegründet. „Ich habe zu 100 Prozent die Anteile und bin auch der Geschäftsführer.“

Was bei Computerspielen eigentlich Standard ist, also eigene Entscheidungen zu treffen, bei Hörbüchern war das so noch nicht möglich. Eine App und eine Software als Plattform bringen das nun ins Hörbuch. Während die Hörbuch-Autoren mit der Software-Plattform arbeiten, braucht der Hörer von Audory lediglich die App aus den Stores von Android und iOS. Diese App ermöglicht es, in der Geschichte über den weiteren Fortgang selbst zu entscheiden. Die eigentliche Innovation, die steckt jedoch dahinter in der Software und in dem Editor für die Autoren. „Die Autoren können dort selbst festlegen, wo und wann sie ihre Zuhörer letztlich entscheiden lassen wollen“, sagt Max Rose. Und so wie aus der Computerspiele-Szene bekannt, kann jeder Hörbuchautor seinen Zuhörern sogar digitales Inventar auf die Hörbuchreise mitgeben: Münzen, Lebenspunkte, Geschenke oder Werkzeug zum Beispiel. Dinge, die den Verlauf des Hörbuches später im Verlauf dann mit entscheiden könnten.

Im TUClab haben neben Sensorik und Chips auch Hörbücher der besonderen Art ihren Platz gefunden. Max Rose ist hier als Unternehmer mit seiner Mitarbeiterin Pauline Schneider eingezogen.
Im TUClab haben neben Sensorik und Chips auch Hörbücher der besonderen Art ihren Platz gefunden. Max Rose ist hier als Unternehmer mit seiner Mitarbeiterin Pauline Schneider eingezogen. © Ronald Bonß

Doch von wegen als Zuhörer einfach mal unbemerkt unfaire Entscheidungen im Verlauf der Geschichte treffen. Das Hörbuch kann sich Dinge merken, auch Gemeinheiten. Entscheidungen vom Anfang rächen sich dann vielleicht zum Ende der Geschichte hin. Tja, und war die Geschichte dann nicht so gut verlaufen wie erhofft, dann das Ganze eben noch mal von vorn beginnen, mit etwas anderen Entscheidungen.

An die 30 Hörbücher stehen bei Audory im Digitalregal. Waren die ersten Aufnahmen noch selbst eingesprochen von Max Rose und seiner Mitarbeiterin Pauline Schneider, so vertonen inzwischen professionelle Sprecher die Texte. Denn da nicht jeder Buchautor auch ein begnadeter Sprecher ist, hat das Audory-Team professionelle Sprecher angeheuert und in eine Datenbank gepackt. Dort gibt es auch die Hörproben dieser Sprecher. Und dort kann jeder Autor sich anhand der Wortzahl seines Werkes die Audio-Produktionskosten vorab kalkulieren lassen – inklusive Regie und Mastering. Wer selbst gut spricht, für den fallen gar keine Kosten bei Audory an. – Und wie verdient Max Rose dann sein Geld?

Allein der Anteil des Verkaufs der Hörbücher soll es bringen. Es ist eine Art verlegerischer Service im Audiobereich für die Autoren mit Gewinnbeteiligung für Audory. Die Geschäftsidee wäre jedoch nicht bei „Genial Sächsisch“ gelandet, gäbe es da nicht noch ein ganzes Stück „Big Science behind“, die Forschung dahinter.

60.000 Wörter für einen Roman, daraus entsteht ein Hörbuch von etwa fünf bis sechs Stunden. Mehrere davon will Max Rose künftig jede Woche anbieten. Sein Problem dabei: Als Herausgeber ist er für die Einhaltung der Urheberrechte verantwortlich. Ist da ein Sound unrechtmäßig verwendet, dann könnte es für ihn teuer werden. Ist da Musik drin, die nicht frei verfügbar ist, fallen Lizenzgebühren an. Selbst professionell aufgenommene Geräusche sind mitunter geschützt.

Jedes einzelne Buch und jeden Abzweig in der Geschichte müsste sich Max Rose eigentlich anhören und dann freigeben. Doch so gern er Hörbücher hört, sein Job als Geschäftsführer ist vor allem ein anderer. Seinen Bachelor hat er mit einem Projekt der Künstlichen Intelligenz abgeschlossen. Sprachanalyse war dort das Thema. „Ich habe mit meiner Bachelorarbeit eine Künstliche Intelligenz entwickelt. Die ist zehn Tage lang 24 Stunden am Stück auf einem Hochleistungsrechner der Uni trainiert worden.“ Das System wurde mit über 2.000 Stunden Audiomaterial gefüttert. Es sollte schnell und sicher unterscheiden, was ist menschliche Stimme und was ist Geräusch, was ist Musik oder sonstiger Sound.

Der Uploadfilter für die digitalen Hörbücher ist somit ein wissenschaftlicher Kern vom ganzen System. Erst der macht die Firma fit für die Zukunft. Normalerweise müsste sich das kleine Team von Audory stundenlang alles selbst anhören. Das entfällt so. „Alles, was hochgeladen wird, wird zunächst von einer Künstlichen Intelligenz analysiert, bevor wir als Menschen uns überhaupt damit beschäftigen“, berichtet Rose. „Wir hören uns dann nur jene Stellen noch an, bei denen sich die KI unsicher ist. Für mehr wäre gar nicht die Zeit vorhanden.“

Auf dem großen Monitor im Audory-Labor entsteht eine neue Hörbuchstruktur. Ein Riesentisch davor mit Laptops und Skizzen fürs Layout. Eine noch größere Sitz- und Lümmel-Ecke zum Chillen und Diskutieren gleich dahinter. Eher unbewusst, und auch ein klein wenig ungläubig blickt sich Max Rose in seinem Digital-Lab um. „Und das alles startete in einem zehn Quadratmeter Wohnheimzimmer in Chemnitz. Schon verrückt.“

Das Erfinder-Projekt „Genial Sächsisch“ findet gemeinsam mit den drei Gründerschmieden Dresden Exists, Saxeed (Chemnitz) und Smile (Leipzig) statt.

Acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, hat die Serie von 2019 mit dem wichtigsten Preis für Technikjournalismus ausgezeichnet.

Hier noch einmal alle Erfindungen im Überblick:

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