Bautzen/Freiberg/Leipzig. In mehreren Orten Sachsens sind am Montagabend erneut Kritiker der Corona-Politik auf die Straße gegangen, darunter auch rechtsextreme Krawallmacher. Bei Protesten in Bautzen kam es dabei zu Ausschreitungen. Nach Angaben der Polizei wurden zwölf Einsatzkräfte verletzt und ebenso viele Fahrzeuge beschädigt. Die meisten der verletzten Beamten hätten ein Knalltrauma erlitten, sagte ein Polizeisprecher.
Nach Angaben des Sprechers war ab etwa 18 Uhr ein starker Zulauf zu den Protesten in Bautzen zu verzeichnen. Insgesamt hätten sich etwa 500 bis 600 Menschen an den Demonstrationen beteiligt, die sich quer durch die Stadt in der Oberlausitz zogen.
Die Polizei habe einen Aufzug von etwa 100 Menschen stoppen wollen, sagte der Sprecher. Dabei seien die Einsatzkräfte mit Flaschenwürfen und Pyrotechnik sowie körperlicher Gewalt angegriffen worden. Die Beamten hätten Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt. Nach Angaben des Polizeisprechers waren im vorderen Drittel der Demonstrationszüge "Personen eher dem extremistischen Spektrum zuzuordnen".
Letztlich sei es gelungen, zunächst etwa 100 Menschen festzusetzen und deren Identität aufzunehmen. Später seien etwas entfernt rund 30 Personen gestoppt worden. Die Beamten der Polizeidirektion Görlitz wurden nach den Angaben von der Bereitschaftspolizei unterstützt. Zeitweise seien auch Bundespolizisten zur Hilfe gekommen.
Wegen extrem hoher Infektionszahlen erlaubt die Corona-Verordnung in Sachsen derzeit nur ortsfeste Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern. Gegner der Corona-Politik versuchen seit Wochen diese Regelungen zu unterlaufen, indem sie zu vermeintlichen Spaziergängen aufrufen.
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) will mit schnellen Verfahren auf die Ausschreitungen reagieren. "Zwölf verletzte Polizeibeamte, die gestern Abend mit Pyrotechnik und Flaschen allein in Bautzen angegriffen wurden als sie die Corona-Notfallverordnung durchsetzen wollten, sind nicht nur eine traurige Bilanz", erklärte Wöller auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. "Das Geschehen zeigt leider auch, dass sich unsere Befürchtung einer verstärkten Radikalisierung des Protestgeschehens bewahrheitet. Recht und Ordnung werden zunehmend ignoriert und Aggressivität potenziert sich."
Wöller sagte weiter: "Es kann nicht sein, dass die, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Schaden von anderen abzuwehren und Recht und Sicherheit durchsetzen, zur Zielscheibe werden. Wir müssen jetzt mit schnellen Verfahren wie in Bayern eine klare Antwort auf derartige Gewalt liefern, damit die Strafe auf dem Fuß folgt." Der Minister begründete: "Das sind wir auch den Polizistinnen und Polizisten schuldig, die zum Schutz der Demokratie ihre Gesundheit riskieren." Er wünschte den Beamten gute Besserung und dankte allen für ihren konsequenten und besonnen Einsatz.
Verbot von "Freien Sachsen" gefordert
Die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz hat ein Verbot der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen angemahnt. Alle Kriterien seien erfüllt, Innenminister Roland Wöller (CDU) müsse handeln, schrieb sie auf Twitter. Die Polizei sei bei den unerlaubten Demonstrationen am Montagabend in Ostsachsen unterbesetzt und überfordert gewesen. Der Staat gebe sein Gewaltmonopol leichtfertig auf. "Hier wird Bürgerkrieg geprobt. Sonst nix", betonte Köditz.
Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt schrieb ebenfalls auf Twitter, wenn in Sachsen Tausende Menschen Neonazis hinterherliefen, dann gebe es ein wirkliches Problem im Freistaat. "Keiner kann nach den vielen Ereignissen mehr behaupten, dass die Leute nicht wissen, was sie tun. Sie wissen es ganz genau."
Für Ostsachsen meldete die Polizei weitere Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen aus Kamenz, Pulsnitz, Radeberg, Hoyerswerda, Görlitz, Zittau, Löbau und Weißwasser. Insgesamt hätten sich allein in den beiden Landkreisen Görlitz und Bautzen mehr als 4.400 Menschen daran beteiligt.
500 Beamte der Polizeidirektion Chemnitz im Einsatz
Auch in zahlreichen anderen Orten Sachsen versammelten sich am Montag Hunderte Menschen. Allein im Bereich der Polizeidirektion Chemnitz waren deshalb nach Polizeiangaben gut 500 Beamte im Einsatz. So zogen etwa 400 Menschen nach Polizeiangaben in verschiedenen Gruppierungen durch Freiberg. Sie hätten sich aber selbst wieder zerstreut, sagte eine Polizeisprecherin. Strafanzeigen seien nicht aufgenommen worden.
In Chemnitz beobachteten Polizisten etwa 150 Menschen, die in losen Gruppen durch die Straßen liefen. Weitere Aktionen gab es nach Polizeiangaben in Frankenberg, Mittweida, Oelsnitz im Erzgebirge und Zwönitz.
Pfefferspray auf Polizisten gesprüht
Auch in Dresden wurde demonstriert: Nach Angaben der Polizei versammelten sich am frühen Abend etwa 500 Menschen am Schillerplatz. Die Beamten forderten die Menschen auf, den Bereich zu verlassen – vergebens, denn der Zug setzte sich in Bewegung. Später stoppten die Polizisten die Demo, wurden dabei aber von Protestierenden körperlich angegriffen und mit Pfefferspray besprüht.
Daraufhin machten auch die Beamten von Pfefferspray Gebrauch. Ein Mann wurde in Zusammenhang mit der Spray-Attacke festgenommen. Zudem gab es in Dresden weitere kleinere Proteste, die Polizei nahm auch hier Personalien auf und leitete Ordnungswidrigkeitsanzeigen ein.
Im Raum Leipzig und in Nordsachsen hatte es nach Polizeiangaben insgesamt rund 30 Aufrufe zu Protesten gegen Corona-Maßnahmen gegeben. An mehreren Orten schritten Polizisten ein und stellten Verstöße gegen die aktuellen Corona-Regelungen fest, wie es hieß.
Im Leipziger Stadtteil Engelsdorf sei ein Aufzug mit 250 Personen gestoppt worden, sagte ein Sprecher der dortigen Polizei. In der Leipziger Innenstadt sei eine Ansammlung auf dem Augustusplatz frühzeitig unterbunden worden. Laut Polizei wurden 13 Platzverweise erteilt und zwölf Ordnungswidrigkeiten festgestellt.
Polizeigewerkschaft für weniger Einschränkungen im Versammlungsrecht
Vor dem Hintergrund der jüngsten Corona-Proteste und gesunkener Infektionszahlen hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen angeregt, Einschränkungen des Versammlungsrechts aufzuheben. Angesichts der sich wöchentlich wiederholenden Versammlungen und dadurch notwendigen Polizeieinsätze entstehe das Gefühl, "dass die Polizei als Ersatz des politischen Meinungsstreits missbraucht wird", erklärte GdP-Landeschef Hagen Husgen am Dienstag. "Gesellschaftliche Probleme lassen sich aber grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen." Deswegen sollten mit Auslaufen der aktuellen Verordnung Änderungen beim Versammlungsrecht geprüft werden.
In Sachsen sind laut Corona-Verordnung nur ortsfeste Versammlungen mit maximal zehn Teilnehmern erlaubt. Die Polizei müsse durch eine lebensnahe Rechtslage in die Lage versetzt werden, sich auf gewalttätige Verläufe, die durch Extremisten provoziert werden, zu konzentrieren, hieß es von der GdP. "Es darf nicht Aufgabe der Polizei sein, einen breit auf der Straße ausgeführten Meinungsstreit, sofern er friedlich ist, mit polizeilichen Mitteln zu stoppen, nur weil die Politik diesen Disput an die Polizei outgesourct hat." (SZ/mja mit dpa)