Heidenau/Dresden. Das katholische Bistum Dresden-Meißen will die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Heidenauer Pfarrei St. Georg vorantreiben. Justiziar Stephan von Spies teilte am Mittwoch mit, durch die Presseanfrage seien Namen möglicher weiterer Täter oder Komplizen bekannt geworden. "Wir haben diese Erkenntnisse unverzüglich zur Anzeige gebracht und der Staatsanwaltschaft weitergeleitet."
Die Berichterstattung von sächsische.de zu Missbrauchsvergehen des vor fünfzig Jahren verstorbenen Heidenauer Pfarrers Herbert Jungnitsch habe aufgerüttelt. In den Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozessen sei noch viel zu tun. Insbesondere müsse geklärt werden, wo es Personen, Sachverhalte und Strukturen gegeben habe, die den Missbrauch ermöglicht hätten. Und was davon sogar noch die Gegenwart präge.
Pfarrer Jungnitsch ist von Spies zufolge in der Region noch vielen älteren Christen persönlich bekannt; er habe mit seinem charismatischen und schillernden Auftreten viele
geprägt. "Anzuerkennen, dass zu seinem Handeln auch massive Gewalt und
mehrere Sexualverbrechen an Kindern und Jugendlichen gehören, wird nicht
allen Gemeindemitgliedern ohne weiteres gelingen", teilt der Justiziar des Bistums mit.
Im Rahmen des Aufarbeitungsprozesses werde die Liegezeit des Priestergrabes nicht verlängert. Das Grab werde eingeebnet. "Das bedeutet nicht, dass über die Taten des Pfarrers ein Teppich des Schweigens gelegt wird; vielmehr soll es ein Zeichen dafür sein, dass seine Taten weder von der Pfarrei noch vom Bistum gedeckt werden."
Eine "vorbildhafte Nachricht" aus Heidenau
Benno Kirtzel, der als Gemeindereferent und Präventionsbeauftragter der Pfarrei St. Georg die Aufarbeitung vor Ort betreut, erklärte, die Einebnung des Grabes solle bewusst nicht im Geheimen geschehen. Ein konkretes Datum dafür könne er noch nicht nennen. "Es gilt, einen guten Punkt im Prozess zu finden sowie eine Form zu wählen, die weder heimlich noch reißerisch ist."
Die bundesweite Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" hat unterdessen die geplante Einebnung des Jungnitsch-Grabes begrüßt. "Es hat nichts mit Rache zu tun, wenn die Ehrung des Täters beendet und das Opfer gehört wird", sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch, dem Nachrichtenportal der Deutschen Bischofskonferenz. Er warnte davor, sich aus Pietätsgründen nicht mehr mit der Schuld verstorbener Täter auseinanderzusetzen. "Das geschieht in vielen Pfarrgemeinden bis heute nicht. Dort wird den Priester-Tätern bis heute ehrend gedacht, die Opfer werden ignoriert und ausgegrenzt." Was in Heidenau geplant sei, "das empfinde ich als vorbildhafte Nachricht".

Obwohl dem Bistum Dresden-Meißen der Fall Jungnitsch bereits 2010 bekannt wurde, hatte eine Aufarbeitung bislang nicht stattgefunden. Die wurde erst auf Initiative Kirtzels angestoßen, als er im vorigen Jahr neu als Gemeindereferent nach Heidenau wechselte. Zuvor hatte er am Lehrstuhl der Erfurter Kirchenrechtlerin Myriam Wijlens eine Seminarreihe zum sexuellen Missbrauch in Institutionen mit betreut.
Der Generalvikar des Bistums Dresden-Meißen, Andreas Kutschke, betonte, angesichts dessen, was sich in Heidenau ereignet habe, "können wir nicht schnell mal etwas abarbeiten". Das Bistum könne nur versuchen, einen Weg zu finden, der die Täter benennt "und es den Betroffenen möglich macht, dass man ihren bitteren Erfahrungen Gehör schenkt und das Leid anerkennt". Das Bistum rufe ausdrücklich dazu auf, dass sich Betroffene sexuellen Missbrauchs melden.
Nach Recherchen von Sächsische.de ist die geplante Einebnung des Jungnitsch-Grabes ein Novum in der Katholischen Kirche Deutschlands. Im kommenden Juni will die Heidenauer St.-Georgs-Gemeinde über die Vergangenheit unter Jungnitsch auf einer Abendveranstaltung im Pestalozzi-Gymnasium in Heidenau diskutieren. (mit KNA)